Sie zählt zu den populärsten Präsentationen, die je auf Slideshare veröffentlicht wurden: Über 15 Millionen Views, mehr als 100.000 Downloads und 670 Kommentare haben die Folien bis dato gesammelt. Der größte Ritterschlag jedoch kam von Facebook-COO Sheryl Sandberg, die einst in der GQ zu verstehen gab, dass die 124 Slides zu den wichtigsten Dokumenten zählen dürften, die das Silicon Valley je hervorgebracht habe. „Netflix Culture“ ist so etwas wie die Bibel der Unternehmenskultur. Denn es ist auch ihr zu verdanken, dass der einstige DVD-Versandhändler zu einem der größten Innovatoren der Broadcasting-Branche wurde.
Bei Netflix können nur „völlig erwachsene Personen“ gedeihen
Verantwortlich für den Inhalt ist Patty McCord. Damals als Chief Talent Officer angestellt, definierte sie zusammen mit dem Netflix-Gründer Reed Hastings, wofür das Unternehmen stehen sollte. Und nicht zuletzt, was das Unternehmen von seinen Mitarbeiter erwartete. Die beiden US-Amerikaner hatten bereits in einer anderen Firma zusammengearbeitet, bevor Netflix im Jahr 1997 gegründet wurde. Zu beliebig seien bei dem alten Arbeitgeber die Werte gewesen: Gegenüber dem Magazin „Fast Company“ ließ McCord einmal wissen, dass es „dort wie in jedem anderen Unternehmen gewesen sei“. Mitarbeiter hätten sich kaum mit der Firma identifiziert.
Das sei etwas gewesen, was McCord und Hastings um jeden Preis verhindern wollten. Es galt, ein völlig anderes Unternehmen aufzubauen, dessen Ziel es sein sollte, ein großes Verantwortungsbewusstsein der Mitarbeiter zu kreieren. Das Ergebnis waren unkonventionelle HR-Methoden wie unbegrenzte Urlaubstage, keine Mitarbeiterbewertungen und eine Spesenpolitik, die am besten mit fünf Wörtern beschrieben werden könnte: „Handel in Neftlix bestem Interesse!“ Es galt, so McCord, ein Unternehmen aufzubauen, in dem nur „völlig erwachsene Personen“ gedeihen könnten.
Für Netflix war klar, dass nur Vertrauen in die Mitarbeiter dazu führen würde, dass diese sich mit vollem Potential einbringen. Selbständigkeit und Verantwortungsbewusstsein waren oberste Gebote. Ansätze, die diverse andere Tech-Unternehmen in der Folge adaptierten – und nicht zuletzt durch eigene Benefits zementierten. Facebook beispielsweise erlaubt seinem Team, während der Arbeit auch persönlichen Projekten nachzugehen. Überhaupt sind wöchentliche Arbeitszeiten nicht festgelegt. Das Unternehmen habe sich bei der Definition der eigenen Unternehmenskultur sehr von Netflix inspirieren lassen.„Wir sind natürlich Risiken im Umgang mit den Mitarbeitern eingegangen. Genau wie wir sie im Business eingegangen sind.“
Genau genommen hat McCord mit ihrem Ansatz eine Revolution im Bereich der Mitarbeiterführung losgetreten. „Ein Innovator wird nie sagen, dass er genau wisse, was zu tun ist: dass man sich nur umschauen und die Dinge so machen müsse wie die anderen Mitbewerber um einen herum – halt nur besser“, sagte die HR-Expertin vor Jahren gegenüber der New York Times. „Wir sind natürlich Risiken im Umgang mit den Mitarbeitern eingegangen. Genau wie wir sie im Business eingegangen sind.“ Beides habe sich jedoch ausgezahlt. Heute ist Netflix ein Gigant auf dem Streaming-Markt, um dessen Jobs Talente sich reißen.
„Hire ’n‘ Fire“ gehört genauso zur Unternehmenskultur
Doch auch andere Punkte sorgten für Aufsehen: Eine Folie besagt, dass allein harte Arbeit nicht relevant sei, sondern das im Endeffekt wichtiger sei, was dabei herauskomme. Im Matheunterricht würde man wohl sagen: Allein das Ergebnis zählt, nicht jedoch der Lösungsweg. Eine weitere Folie erklärt, Netflix verstehe sich als Team und stelle keine Familie für die Mitarbeiter dar. Auf einer anderen steht konkreter, dass das Unternehmen sogar wie ein Profi-Sport-Team sei und keine Kinder-Freizeit-Sportgruppe. Alle Freiheiten stehen einer enormen geforderten Leistungsbereitschaft gegenüber. Niemandes Platz ist sicher!
Auch dieser Ansatz hat sich im Silicon Valley durchgesetzt und ist heute Grundlage für die weitverbreitete „Hire ’n‘ Fire“-Mentalität, der angeblich auch Patty McCord selbst zum Opfer gefallen sein soll. Sie war mitverantwortlich für einen Plan, der aus Netflix zwei Unternehmen machen sollte, eines für den DVD-Versand und eines für das Streaming. Teil des Plans war es auch, die Abopreise anzuheben – was zu über 800.000 Kündigungen führte. Laut dem NPR-Moderator Steve Henn habe dies wenig später das Ende der Karriere Patty McCords bei Netflix bedeutet. Sie selbst bestritt das jedoch.„Es war an der Zeit zu gehen und Platz für jemand anderen zu machen.“
Vielmehr sei es wie Schlussmachen gewesen, gab sie Fast Company im vergangenen Jahr zu verstehen. „Ich war sehr lange dabei und habe eine Menge großartige Dinge gemacht. Das Unternehmen steckte mitten in einer Veränderung – hin zu einem global agierenden Unternehmen und zu einem Content-Producer,“ erklärte sie. „Es war an der Zeit zu gehen und Platz für jemand anderen zu machen.“ Heute arbeitet McCord als Beraterin. Doch ganz egal, was auf ihren Folien steht: Dass das Netflix-Team in den mehr als 15 Jahren, die sie an Bord war, nicht zu einer Familie geworden sein soll, ist nur schwer vorstellbar.
Die Unternehmenskultur von Netflix hat das Silicon Valley geprägt wie kaum etwas anderes. Nicht nur Google ist die Mutter der modernen HR-Methoden. Reed Hastings Unternehmen gebührt mindestens der gleiche Respekt.
Weitere Artikel aus unserer Themenwoche Karriere findet ihr hier.