
Frei wählbare Staatsbürgerschaften, wie frei wählbare Mitgliedschaften im Fitnessstudio – das ist der Traum einer nicht geringen Zahl von Technologieunternehmern, die vornehmlich der Kryptobranche zuzurechnen sind. Dabei handelt es sich zwar teils offenkundig um Spinner, aber manche sind auch ernst zu nehmende Vertreter der Finanzwelt wie Balaji Srinivasan.
Schwerreicher Risikokapitalgeber will Netzwerkstaat gründen
Srinivasan ist mehrfacher Technologieunternehmer und Risikokapitalgeber. Er war zuvor Partner beim Risikokapitalunternehmen Andreessen Horowitz. Er glaubt, dass Technologie so ziemlich alles, was Regierungen derzeit tun, besser kann.
Srinivasan träumt vom „Netzwerkstaat“. Der bildet sich nach seiner Vorstellung zunächst im Internet um eine Reihe gemeinsamer Interessen oder Werte. Dann erwirbt er Land und wird zu einem oder mehreren physischen „Ländern“ mit eigenen Gesetzen. Diese würden neben den bestehenden Nationalstaaten existieren und sie schließlich ganz ersetzen, so die Vision des Unternehmers.
Man kann die Idee des Netzwerkstaates als neokoloniales Projekt, das gewählte Staats- und Regierungschefs durch Unternehmensdiktatoren ersetzen würde, die im Interesse ihrer Aktionäre handeln, betrachten. Andere sehen darin eher eine Möglichkeit, die aus ihrer Sicht von Vorschriften überfluteten westlichen Demokratien von heute zu durchbrechen.
Cabin, eine Startup-Gesellschaft
Fakt ist, Elemente des Netzwerkstaates existieren bereits. Ihre Gründer:innen bezeichnen sie als „Startup-Gesellschaften“. Eine dieser Startup-Gesellschaften ist bekannt als Cabin, eine „Netzwerkstadt moderner Dörfer.“
Im Konzept soll Cabin eine neue Form des Wohnens, Arbeitens und Lebens, die moderne, dezentrale Lebensmodelle fördert, sein. Das Konzept beruht darauf, dass mehrere kleinere Siedlungen, sogenannte „moderne Dörfer“, über ein intelligentes Netzwerk miteinander verbunden sind. Diese Dörfer teilen Ressourcen, Infrastrukturen und Dienstleistungen miteinander und bieten gleichzeitig ein hohes Maß an Unabhängigkeit für die Bewohner. Solche Dörfer können grundsätzlich überall auf der Welt errichtet werden – verbunden durch Technologie.
Próspera: Stadtstaat vor Honduras Küste
Deutlich staatlicher präsentiert sich hingegen das Projekt Próspera. Dabei handelt es sich um eine Stadt auf einer Insel vor der Küste von Honduras, die sich selbst als „Privatstadt“ für Unternehmer bezeichnet. Próspera wird von einem Unternehmen mit Sitz im US-Bundesstaat Delaware betrieben und erhielt unter einer früheren honduranischen Regierung einen Sonderstatus, um eigene Gesetze zu erlassen.
Die derzeitige Präsidentin Xiomara Castro will Próspera schließen und hat damit begonnen, einige der Sonderrechte, die der Stadt gewährt wurden, zu entziehen. Próspera verklagt die Regierung von Honduras auf 10,8 Milliarden US-Dollar.
Balajis Konzept des Netzwerkstaates baut auf der Idee der „Charter Cities“ auf. Das sind städtische Gebiete, die eine Sonderwirtschaftszone bilden, ähnlich wie Freihäfen. Weltweit sind mehrere solche Projekte im Bau, unter anderem in Nigeria und Sambia.
Praxis: Stadtstaat irgendwo am Mittelmeer
Ganz ähnlich scheint die Idee für einen neuen Stadtstaat irgendwo an der Mittelmeerküste. Der soll Praxis heißen. Das ist das altgriechische Wort für „Handlung“. Die Regierung soll auf der Blockchain erfolgen.
Das Konzept scheint indes etwas wirr. Viel mehr als Events und Partys in New Yorker Clubs hat der Gründer und Unternehmer Dryden Brown seit 2019 nicht zuwege gebracht, wie die BBC in einem sehr ausführlichen Beitrag darstellt. Dennoch sollen die ersten Bürger:innen bereits 2026 einziehen können. Wo ist unklar. Im Moment existiert die „Praxis-Community“ hauptsächlich im Internet in Form einer Website, auf der man die Staatsbürgerschaft beantragen kann.
Staatengründung per Crowdfunding
Da geht das Konzept des Netzwerkstaates noch ein Stück weiter. Danach können Online-Gemeinschaften Gebiete per Crowdfunding finanzieren und schließlich die diplomatische Anerkennung bereits bestehender Staaten erlangen.
Tatsächlich gibt es Bestrebungen, mehr autonome Zonen, Freihäfen und Charterstädte zu fördern. Auch der republikanische US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump stellte kürzlich in Aussicht, Land im US-Bundesstaat Nevada freigeben zu wollen, um „spezielle neue Zonen mit extrem niedrigen Steuern und extrem geringer Regulierung zu schaffen“. So will er neue Industrien anziehen, bezahlbaren Wohnraum bauen und Arbeitsplätze schaffen. Der Plan würde, so sagte er, „den Pioniergeist und den amerikanischen Traum“ wiederbeleben.