Neue Arbeit heißt Loslassen
Kürzlich habe ich in einem Interview gesagt: „Ich kann das. Und was ich nicht kann, lerne ich unterwegs.“ Auf diese beiden Sätze habe ich besonders viel Rückmeldung bekommen. Für mich beschreiben sie meine Erkenntnis, dass die Welt da draußen anders funktioniert, als ich lange Zeit dachte – dass da draußen die Dinge so schnell in Bewegung sind, dass ich mich schwerlich darauf vorbereiten kann, sondern einfach springen muss. Dass ich manchmal auch einfach nur mir selbst vertrauen muss. Und dass meine Arbeit ein konstanter Lernprozess ist, der nicht aufhört.
Tatsächlich habe ich mich, seit ich im Bereich Neuer Arbeit unterwegs bin und Unternehmen auf ihrer Reise begleite, von einigen Überzeugungen verabschiedet. Mir ist klar geworden: Neue Arbeit heißt loslassen – loslassen von Glaubenssätzen, loslassen von lieb gewordenen Gewohnheiten, loslassen von gewohnten Prozessen. Das ist es auch, was Neue Arbeit manchmal so schmerzhaft und langwierig macht. Deshalb betone ich so oft, dass es eine Reise ist, auf die man sich machen muss, eine Reise, die vielleicht Unwägbarkeiten bereithält, eine Reise, deren Weg nicht bis zur letzten Kreuzung vorgezeichnet ist.
Neue Arbeit heißt aber nicht nur für Unternehmen, loszulassen. Auch ich musste loslassen – im Rahmen meiner Arbeit in den Unternehmen bereite ich am besten den Boden und lasse hier und da ein paar Samen fallen. Doch wachsen müssen die Pflänzchen schon von selbst – auch dann, wenn ich nicht mehr da bin. Ich habe gelernt, dass ich damit am erfolgreichsten bin, wenn ich mich in eine dienende Haltung versetze. Der größte, schwerwiegendste Glaubenssatz, von dem ich mich verabschieden musste, war die Vorstellung, ich könnte irgendetwas wissen und müsste in der Lage sein, dieses Wissen weiterzugeben. Oder mehr noch: Ich müsste aus diesem Wissen konkrete Handlungsempfehlungen ableiten können.
New Work funktioniert nicht alleine
Nach all den Jahren, in denen ich in der Digitalisierung unterwegs bin, kann ich allenfalls sagen: Neue Arbeit und die Transformation unserer Wirtschaft ist nichts, was einzelne Führungskräfte stemmen können. Es ist auch nichts, was einzelne Unternehmen zurechtbiegen können. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, in der Akteurinnen aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zusammenkommen müssen. Doch das enthebt die Einzelne nicht aus ihrer Verantwortung zu gestalten.
Was für Führungskräfte gilt, gilt für mich ganz genauso: Was da draußen passiert ist zu komplex, als dass eine Person es auch nur ansatzweise überschauen könnte. „VUCA“ heißt: Alte Gewissheiten gelten nicht mehr, Ursache und Wirkung sind nicht mehr auseinanderzuhalten, Anforderungen können paradox sein. Für mich heißt Unternehmensbegleitung deshalb, die Menschen in den Unternehmen zu ermächtigen, Selbstwirksamkeit zu erfahren. Und Selbstwirksamkeit ist: Ins Tun kommen und zu erfahren, dass es erwünscht ist.
Das Bedürfnis ist da, das weiß ich. Viele Menschen haben große Schmerzen in den Unternehmen, mit den Prozessen, mit den Arbeitsbedingungen. Wenn ich Räume schaffe, in denen sie in den Austausch kommen, bin ich immer wieder überrascht, wie groß ihr Bedürfnis danach ist, wie sehr sie nach Austausch dürsten, nach Gehörtwerden.
Prozesse benötigen Zeit
Ich werde oft gefragt, wie das denn nun geht mit dem Kulturwandel. Mittlerweile kann ich immerhin dazu sagen: Wenn es Unternehmen gelingt, den Menschen Selbstwirksamkeit zu ermöglichen, ist ein wesentlicher Schritt in Richtung Transformation getan. Und: Lasst Euch Zeit und pflegt den Prozess. Lasst es sich entwickeln, seid aufmerksam, wagt den Blick nach außen. Der Schlüssel für den Erfolg ist die Haltung, mit der wir in diesen Prozess hineingehen: dienend. Ich habe mich davon verabschiedet, Dinge wissen zu müssen. Ich habe Wissen gegen Lernen eingetauscht, bevorzuge Wissbegier und Neugierde vor vermeintlich festen Gewissheiten. Ich sehe mich als Möglichmacherin von Selbstwirksamkeit.
Als ich die erste Anfrage aus einem Unternehmen bekam, habe ich gezögert sie anzunehmen. Ich dachte, ich wüsste noch nicht genug. Ich war verunsichert, ob ich die richtige Person bin. Doch ich habe mich darauf eingelassen und stellte dabei fest, dass es vor allem meine Aufgabe ist, einen Rahmen zu schaffen, in dem die Menschen in den Unternehmen ihre eigenen Antworten finden können und eine Atmosphäre zu schaffen, in der sie sich selbst trauen können. Das war für mich eine echte Befreiung.
Es hat meine Arbeit auf die nächste Stufe gehoben. Ich muss die Antworten nicht kennen, weil ich sie gar nicht kennen kann. Bei vorgefertigten „new workigen“ Lösungen sollten Unternehmen immer skeptisch sein, das weiß ich nun. Und deshalb heißt Leadership im 21. Jahrhunderts: Sich neugierig auf einen Prozess mit offenem Ausgang einlassen. Und sich gegenseitig den Raum dafür bereiten.
Die Frage ist doch: Warum das alles? Wenn die Veränderung vor allem Unsicherheit, Schwierigkeiten und Anstrengungen mit bringt, warum sollte man sich dann darauf einlassen??
Weil wir sonst alle stööörben!!!