New Work: Notwendigkeit statt Trend für Unternehmen in der digitalen Ära

Wer Innovation und engagierte Mitarbeitende will, muss dafür Selbstbestimmung und gute Beziehungen ermöglichen: Diesen Grundtenor vertritt Tina Ruseva, Präsidentin des Bundesverbandes New Work. Wie das gelingen kann und welche Rolle Führungskräfte dabei spielen, erklärt die Unternehmerin, Autorin und promovierte Innovationsmanagerin im Gespräch mit t3n.
Machtkampf in der Arbeitswelt: „Wir drehen uns im Kreis und vergessen die Menschen“
t3n: Frau Ruseva, Sie sagen, unsere Gesellschaft und auch unsere Wirtschaft brauchen mehr Gemeinsinn, um zu bestehen. Wie soll dieser Gemeinsinn entstehen?
Tina Ruseva: Gemeinsinn entsteht durch Gemeinschaft und eine Gemeinschaft aus den zwischenmenschlichen Beziehungen. Die sind in der bisherigen Diskussion zwischen starren Hierarchien und New Work eher untergegangen. Es ging in erster Linie um Machtverteilung und die Regelwerke dazu.
Erst lag die Macht in der Chefetage, dann sollte sie zu möglichst großen Teilen beim Team liegen, jetzt will die Chefetage wieder mehr Macht zurück. Wir drehen uns im Kreis und vergessen die Menschen dazwischen. Was wir stattdessen brauchen, ist ein Fokus auf eine Teamkultur, in der wir uns als Menschen auf Augenhöhe begegnen können.
Wir müssen zusammenarbeiten, über den „Dienst nach Vorschrift“ hinaus. Ich spreche dabei gerne von „Soft Work“. Wir sollten uns die Frage stellen: Was motiviert Menschen für Zusammenarbeit? Und das ist Selbstbestimmung. Untersuchungen wie die New Work Experience Studie zeigen, dass sich junge Menschen, ältere Menschen, Berufseinsteiger, Umsteiger, nicht einfach nur Homeoffice, sondern schlicht alle Autonomie und Selbstbestimmung wünschen. Also nicht wie ein Zahnrädchen in einer großen Maschine fremdbestimmt zu sein, sondern ein bisschen das Gefühl zu haben, mitzuwirken.
t3n: Was gehört denn zur Selbstbestimmung?
Selbstbestimmung an sich misst man in drei Aspekten. Da ist einerseits die Frage der Kompetenz. Kann ich meinen Job gut ausführen oder werde ich einfach so in kaltes Wasser geworfen? Werde ich beim Onboarding unterstützt oder werde ich bei Projekten alleingelassen, die mir eigentlich noch gar nicht liegen? Wenn ich Arbeit verrichten soll, ohne die entsprechenden Kompetenzen zu haben, geht das vielleicht eine Zeit lang gut, aber irgendwann gebe ich innerlich ab, weil ich weiß, das ist zu schwer.
Der zweite Aspekt von Selbstbestimmung ist Autonomie. Wir tun uns unheimlich schwer damit, in unseren regelbasierten Konstrukten Autonomie zu gewährleisten. Wir treffen uns für Meetings, nur um etwas zu erledigen, aber kaum noch zu richtigen Workshops in einem Raum, mit Kollegen und Post-its. Was früher in acht Stunden vor Ort stattgefunden, wird jetzt auf zwei Stunden online zusammengedampft. Und dabei fühlen wir uns fremdbestimmter, zum Beispiel, weil wir nur zu bestimmten Zeiten sprechen dürfen oder weniger Raum für Gestik und Mimik bekommen.
Und der dritte Aspekt ist die soziale Eingebundenheit, das Gefühl, wir sind so willkommen, wie wir sind. Das fällt uns bisher am schwersten, weil Organisationen bis jetzt entweder volle Autonomie oder gar keine ermöglicht haben – was beides nicht zu sozialer Eingebundenheit führt.
t3n: Und wie hängt die Selbstbestimmung jetzt mit unseren Arbeitsbeziehungen zusammen?
Gesunde Beziehungen setzen ja immer auf Freiwilligkeit und können nicht vorgeschrieben werden; es braucht ein eigenständiges, authentisches Interesse und das Mitwirken von allen Beteiligten. Darüber hinaus fördert Selbstbestimmung die Teamkultur durch gesunde Grenzen und Austausch „auf Augenhöhe“.
Momentan verstehen wir aus meiner Sicht aber das Konzept von Freiheit in der Gruppe noch nicht ausreichend.
Autonomie ist nicht das Gegenteil von sozialer Einbindung, sondern eine Voraussetzung hierfür. Es gibt Menschen, die sich zum Beispiel im Ehrenamt oder sozialen Berufen selbst völlig hinten anstellen, andere koppeln sich im Job komplett ab und arbeiten nur für sich. Das ist beides nicht sinnvoll. Letztendlich können wir nur als Teil einer Gruppe Sinn erfahren und die Welt gestalten. Und genau dafür braucht es eine gesunde Teamkultur, in der zwischenmenschliche Beziehungen über die einfache To-do-Liste hinaus entstehen können.
„Innovation entsteht heute gemeinsam“
t3n: Die Beziehungen aufbauen müssen Beschäftigte also selbst. Welche Verantwortung liegt dann bei Führungskräften?
Unsere Aufgabe als Chefinn:en ist es heute, weniger die Regeln vorzugeben, sondern viel mehr gute, produktive Arbeitsbeziehungen zu ermöglichen. Den Begriff Arbeitsbeziehungen benutzt dabei leider fast keine Führungskraft, da ist eher die Rede von Teamatmosphäre oder Unternehmenskultur. Das sind Sammelbegriffe, aber unsere Arbeitsbeziehungen spielen sich immer eins zu eins ab.
Diese Beziehungen hängen natürlich auch maßgeblich von uns selbst ab, aber sie stehen immer im Kontext der Organisationsstruktur und werden davon beeinflusst und zum Beispiel durch Unfairness oder orthodoxe Vorstellungen von Performance und Hierarchien zum Scheitern verurteilt.
Für Unternehmen sollte es von Interesse sein, solche Strukturen aufzubrechen – denn Innovation entsteht heute gemeinsam und hängt damit von den Beziehungen im Team ab.
t3n: Was wäre denn ein Beispiel, wie man das diese Beziehungen ermöglichen kann?
Öfter mal den Austausch wagen – direkt und unvoreingenommen. Andere in Entscheidungen und Gestaltungsprozesse einbinden. Ich ermögliche zum Beispiel viel eher eine Beziehung auf Augenhöhe mit meiner neuen Mitarbeiterin, wenn ich sie nach ihrer Meinung und Bedürfnissen zum Onboarding frage. Es darf nicht nur um den Prozess gehen, sondern viel mehr um die Sache – ihre Weiterentwicklung.
Ich muss meinen Beschäftigten erlauben, dass sie selbstständig an Projekten arbeiten, aber ihnen auch zeitlich, räumlich und organisatorisch die Möglichkeiten anbieten, sich untereinander zu vernetzen. Wenn ich zum Beispiel frage „Mit wem trinkst du denn schon wieder Kaffee?“ oder „Warum lernst du dies und das?“, „Musst du nicht deine Arbeit erledigen?“, dann lege ich ganz eindeutig die Priorität auf die Arbeit. Und ja, die Arbeit ist wichtig, aber sie wird langfristig einen Schaden davontragen, wenn die Beziehungen drumherum nicht passen oder gar nicht entstehen dürfen.