Nextsense: Ex-Google-Startup arbeitet an Earbuds, die Gehirnaktivität messen
Um die Aktivität des Gehirns nichtinvasiv zu messen, wird vor allem die Elektroenzephalografie (EEG) verwendet. Mittels einer Haube werden dabei zahlreiche Elektroden direkt auf der Kopfhaut der Patientinnen und Patienten angelegt, die anschließend die Spannungsschwankungen messen. Somit können Neurologen feststellen, welche Bereiche des Gehirns zu welchem Zeitpunkt aktiv sind.
Ein Nachteil der EEG ist, dass sie in der Regel stationär stattfindet. Die untersuchten Personen müssen die gesamte Zeit verkabelt an die Kontrollgeräte angeschlossen bleiben. Deshalb finden EEGs selten über einen längeren Zeitraum statt; allenfalls bei Schlafstudien über Nacht oder bei Patienten, die ohnehin das Krankenhaus nicht verlassen können, gibt es langfristige Aufzeichnungen der Gehirnaktivität. Zwar gibt es inzwischen einige EEG-Produkte in Form von Headsets, die sich für den Heimgebrauch eignen, doch auch sie sind weniger dafür gedacht, sie dauerhaft im Alltag zu tragen.
Ein Startup namens Nextsense (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen österreichischen Unternehmen) möchte das ändern. Im vergangenen Dezember ging Nextsense erstmals an die Öffentlichkeit, nun gibt das US-Magazin Wired in einem längeren Porträt der Gründer weitere Einblicke in die Pläne der jungen Firma, die aus Googles Forschungsabteilung X heraus entstanden ist.
Nextsense arbeitet an vernetzten Ohrstöpseln, neudeutsch Earbuds, die ebenfalls ein Elektroenzephalogramm, so heißt die grafische Darstellung der EEG-Schwankungen, aufzeichnen können – allerdings ohne die mühsame Einrichtung oder auffällige Headsets, die aus Science-Fiction-Filmen stammen könnten. Lediglich zwei dünne Kabel gehen von den Ohrstöpseln zu einem tragbaren Kontrollgerät, das man in die Hosentasche stecken kann.
Nextsense hofft auf eine „Apple Watch fürs Gehirn“
Gemeinsam mit Hirnforscherinnen und Forschern des Brain Health Center an der Emory Universität in Atlanta, haben die Experten von Nextsense den Prototypen getestet. Dieser wurde genau an die Ohrform des Probanden angepasst, damit er auch exakt passt. Zur Überraschung der Neurologen, konnte dieser tatsächlich Gehirnaktivitäten aufzeichnen. Noch nicht ganz so genau wie eine traditionelle EEG auf der Kopfhaut, aber dennoch schon recht genau.
Das NextSense-Team hofft, dass eines Tages die Menschen mit den Ohrstöpseln ihre Gehirnaktivität ähnlich tracken werden wie bereits jetzt ihren Puls oder Blutdruck. Dadurch könnten nicht etwa Epilepsie-Patienten profitieren, die dadurch möglicherweise vorab gewarnt werden, wann sich der nächste Anfall anbahnt. Auch völlig gesunde Menschen könnten ihre Gehirnaktivität aufzeichnen und sie mit der Wissenschaft teilen: Gehirnaktivität, die über Tage, Wochen und Monate in einer Vielzahl an Alltagssituationen aufgezeichnet wird, beim Einkaufen, beim Sport, auf Partys oder im Büro, könnte völlig neue Einblicke geben, wie das menschliche Gehirn funktioniert.
Bis es soweit ist, müssen die Gründer von Nextsense aber noch einiges an wissenschaftlichen Argumenten liefern. Bislang gibt es noch keine größere Studie, die besagt, dass sich über unser Ohr tatsächlich messen lässt, wie die Neuronen in unserem Gehirn kommunizieren. Die Vision einer „Apple Watch fürs Gehirn“ mag verlockend klingen. Ob sie wirklich realisiert werden kann oder weiterhin ein Moonshot bleibt, muss sich noch zeigen.