Wer im Homeoffice sitzt, bekommt nicht viel von den Team-Mitgliedern mit. Oft wird über Einsamkeit geklagt. Ein häufig gegebener Tipp lautet deshalb, dass zumindest in Online-Meetings mehr Gesicht der Teilnehmenden gezeigt werden solle. Das ersetzt zwar nicht den persönlichen Kontakt, aber schlussendlich menschelt es mehr als ohne.
Überhaupt gilt die Face-to-face-Kommunikation als ehrlicher und authentischer. Sie gibt Gesprächen eine weitere Informationsebene. In Gesichtern lassen sich beispielsweise Gefühle ablesen.
Viele Führungskräfte glauben deshalb, dass die Kommunikation über Kameras besser funktioniert, da diese Gespräche möglichst nah an ein persönliches Treffen heranreichen. Sie ermutigen deshalb ihre Kolleginnen und Kollegen, die Kameras in ihren Arbeitsgeräten im Online-Meeting anzuschalten.
Online-Meetings: Kamera an oder aus?
Eine Studie aus dem März 2021, die der Harvard Business Manager thematisiert hat, zieht jedoch die uneingeschränkten Vorteile etwas in Zweifel.
Darin haben US-Forschende insgesamt 198 Teilnehmerpaare, die remote arbeiten, in zwei Gruppen aufgeteilt und ihnen verschiedene Aufgaben gegeben, um deren sogenannten „kollektive Intelligenz“ zu messen. Der Begriff beschreibt das Phänomen, dass die individuellen Handlungen vieler einzelner Personen zu einer systematischen Lösung eines übergeordneten Problems führen.
Nachdem sie verschiedene Aufgaben gelöst hatten, kamen die Teilnehmerpaare jedes Mal zusammen, um ihre Resultate zu besprechen. Die der ersten Gruppen kommunizierten über Videocalls, die in der zweiten nur über die Audiofunktion.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beurteilten anschließend mithilfe einer künstlichen Intelligenz die Synchronität der Gesichtsausdrücke und der sogenannten prosodischen Sprache der Probandinnen und Probanden – sprich den Tonfall, den Rhythmus und andere Stimmparameter. Zudem beobachteten sie, wie gut sie sich beim Sprechen abwechselten.
Das Ergebnis der Studie zeigt, dass die Videofunktion weder die kollektive Intelligenz noch die Synchronität der Gesichtsausdrücke verbessert hat. Überraschend war jedoch, dass die Teilnehmerpaare, die sich nur hörten und nicht sahen, ihre Stimmparameter besser miteinander synchronisierten und so offenbar abwechselnder sprachen.
Oder anders gesagt: Niemand fiel sich ins Wort.
„Ein eingeschränkter Zugang zur Videofunktion könnte die Kommunikation und soziale Interaktion während des gemeinsamen Problemlösens verbessern“, heißt es von den Forschenden. „Offenbar entstehen so weniger Reize, die die Menschen ablenken.“
Inwiefern die Studie tatsächlich repräsentativ ist, bleibt jedoch offen. Um wirklich aussagekräftig zu sein, müsste weitere Forschungsteams das Ergebnis in eigenen Tests überprüfen. Die Datenlage ist somit noch zu gering, um wirklich beweiskräftig zu sein.
Nichtsdestotrotz: Wer im Team gerne mit verschiedenen Kommunikations- und Meeting-Formen experimentiert, könnte auch in dieser Studie etwas Inspiration finden.