So politisch ist Tiktok
App runterladen, kurze Videos angucken – das geht auch ohne sich auf der Social-Media-Plattform Tiktok anzumelden. Die ersten Videos, die einem dabei unter die Augen kommen, zeigen immer gleiche Tänze zu Pophits und witzige Lip-Sync-Gags. Doch verbringt man mehr als fünf Minuten mit der App, sieht man jede Menge queer- und transpositive Clips, Videos der #Blacklivesmatter-Bewegung und Statements gegen die AfD und Donald Trump. Kürzlich sollen Teile der Tiktok-Community einen Wahlkampfauftritt des US-amerikanischen Präsidenten ad absurdum geführt haben. Wie politisch ist die Plattform, die als lächerlicher Zeitvertreib der Generation Z verschrien ist?
Tiktok hat es schneller als jede andere Social-Media-Plattform geschafft, die Eine-Milliarde-Nutzer-Marke zu knacken. Schon seit einiger Zeit ist das Netzwerk des chinesischen Entwicklers Bytedance damit ein ernsthafter Konkurrent von Facebook, Instagram und Co.. Nicht verwunderlich, hat Tiktok es doch geschafft, die erfolgreichsten Features verschiedener digitaler Anwendungen in sich zu vereinen: das Daumenwischen von Tinder, den Zufallsfaktor von Chatroulette und die einfallsreiche Videoproduktion von Snapchat. Selbst die Tagesschau unterhält auf Tiktok einen eigenen Account.
Doch wie gesellschaftlich relevant ist der Content auf Tiktok wirklich?
„Unsere Mission besteht darin, das Leben der Menschen zu bereichern und zu inspirieren, indem wir ein Zuhause für die Kreativität unserer Nutzer*innen sind und ihnen eine authentische, freudvolle und positive Erfahrung bieten.“ So beschreibt das Unternehmen selbst den Zweck seiner Plattform. Nach einer Anlaufstelle für ein kritisches Meinungsbild klingt das nun nicht.
Analysiert man allerdings genauer, was auf Tiktok ausgespielt und abgerufen wird, ergibt sich schnell ein anderes Bild. Tatsächlich stehen unzählige der 15 bis 60 Sekunden langen Clips im Kontext öffentlicher Debatten: mal mehr, mal weniger ernsthaft. Videos mit dem Hashtag #trump wurden auf Tiktok insgesamt 3,3 Milliarden Mal aufgerufen. Diskussionen um den amerikanischen Präsidenten sind auf der Social-Media-Plattform fest etabliert. Zum Vergleich: Zwar hat der Hashtag #tiktokdance mit 5,1 Milliarden Aufrufen noch wesentlich mehr Konsumenten, die Gegenüberstellung der beiden Trends zeigt aber, wie verbreitet politischer Content auf der Plattform geworden ist.
Es scheint daher durchaus denkbar, Tiktok-Nutzer könnten dafür gesorgt haben, dass Trumps Wahlkampfauftritt in Tulsa zu einem peinlichen Event für den Präsidenten wurde. Es heißt, Fans koreanischer Popmusik, kurz K-Pop, hätten auf Tiktok dazu aufgerufen, Tickets für das Wahlkampfevent zu reservieren – und am Ende nicht hinzugehen. Trumps Wahlkampfmanager Brad Parscale hatte auf Twitter freudig verkündet, dass über eine Million Tickets für den Auftritt reserviert worden seien – am Ende sprach Trump allerdings vor halbleeren Rängen. Lediglich rund 6.200 Besucher sollen schließlich vor Ort gewesen sein.
Junge Menschen outen sich auf Tiktok
Doch nicht nur Debatten um den Präsidentschaftswahlkampf der Vereinigten Staaten werden über Tiktok ausgetragen. Auch im Trend: der Hashtag #ImComingOut. Ganze 59,5 Millionen Nutzer haben einen Beitrag zu dieser Markierung gepostet, um sich als queer zu outen. In Anbetracht internationaler Entwicklungen kann auch das als politisches Statement gewertet werden. Aktuell ist Polen in der Kritik, LGBT-freie Zonen eingerichtet zu haben, und auch in Russland gehören Hass und Hetze gegen Homosexuelle vielerorts zum Alltag. Ganz zu schweigen davon, dass auch in Deutschland und anderen westlichen Staaten Diskriminierung von queeren Menschen nach wie vor weit verbreitet ist.
Dass fast alle Tiktok-Nutzer auf die ein oder andere Art politisch agieren, lässt sich so pauschal allerdings nicht sagen. Konkrete Zahlen dazu, wie viel des Contents auf Tiktok als politisch gewertet werden kann, gibt es nämlich nicht. Auf Anfrage von t3n gibt Tiktok bekannt, dass generell nicht getrackt würde, wie viele politische Inhalte über das Netzwerk ausgespielt werden. Zwar gebe es Daten dazu, welche Hashtags gerade im Trend liegen – die auch für den Nutzer einsehbar sind –, was davon aber politische Meinung beinhaltet, wird nicht überwacht.
Der Top-Hashtag ist aktuell #blacklivesmatter. Das bestätigte Tiktok auf Nachfrage. Ganze 13,3 Milliarden Mal wurden Videos zur #Blacklivesmatter-Bewegung angeschaut. Damit sind Videos zur Rassismus-Debatte die am häufigsten geschauten Clips überhaupt in der App.
Tiktok-CEO bezieht Stellung
Seit Anfang Juni ist Kevin Mayer neuer CEO von Tiktok und ebenfalls Leiter des operativen Geschäfts des Mutterkonzerns Bytedance. An seinem ersten Arbeitstag soll er verkündet haben: „Niemals zuvor war es wichtiger, Schwarze Mitarbeiter*innen, Nutzer*innen, Creator*innen, Künstler*innen und unsere gesamte Community zu unterstützen. Ich bitte unsere Community, uns für alle Maßnahmen, die wir in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren ergreifen, zur Verantwortung zu ziehen.“ Das Unternehmen selbst positionierte sich damit klar in der politisch brisanten Rassismus-Debatte. Was naheliegend klingt, ist dennoch verwunderlich. Immerhin tun sich die Konkurrenten von Tiktok, vor allem Facebook, zumeist schwer damit, in politischen Debatten eine klare Haltung anzunehmen.
Tiktok ist aber nicht nur Plattform für gesellschaftliche Debatten, mit einer eigenen Initiative will das Netzwerk selber zu Aktivismus aufrufen. Mit „Tiktok for good“ will die Plattform dazu motivieren, Gutes zu tun, wie das Unternehmen selbst sagt. Im Rahmen der Aktion sollte zum Beispiel auf den Klimawandel aufmerksam gemacht werden. Dafür stellte Tiktok seinen Nutzerinnen und Nutzern verschiedene Filter, Sticker und Spezialeffekte zur Verfügung, die das Kampagnenziel untermauern sollten. Mit einem glühenden Thermometer zum Beispiel können User in ihren Videos deutlich machen, wie sich das Klima erwärmt hat. Frei nach dem Motto: Aufmerksamkeit ist der erste Schritt zur Besserung.
Werden chinakritische Inhalte zensiert?
Mit der Initiative und dem Statement von CEO Mayer präsentiert sich das Unternehmen natürlich von seiner besten Seite. Es sieht fast so aus, als gingen kurzweilige Unterhaltung und Aktivismus bei Tiktok wunderbar Hand in Hand. Wenn man die Medienberichte der Vergangenheit verfolgt hat, scheint das allerdings nur eine Seite der Medaille zu sein. Immer wieder war die chinesische Plattform in Kritik geraten, weil sie unter Verdacht stand, chinakritische Inhalte aus der App zu verbannen. Recherchen von Netzpolitik.org sollen ergeben haben, Tiktok würde Beiträge von politischen Protesten und Demonstrationen gezielt unterdrücken. Vor allem Videos der Hongkong-Proteste sollten dabei verborgen worden sein.
Auf Nachfrage von t3n zu den mehrfach geäußerten Vorwürfen sagte eine Sprecherin des Unternehmens: „Wir moderieren keine Inhalte aufgrund ihrer politischen Ausrichtung. Unsere Moderationsentscheidungen werden von keiner Regierung beeinflusst, auch nicht von der chinesischen.“ Grundlage für die Moderation von unangebrachten Inhalten seien die Community-Guidelines, heißt es.
„Fehlinformationen“ werden entfernt
Die sind offen einsehbar und lassen in der Tat kaum Rückschlüsse auf manipulative Praktiken zu. Allerdings erklärte Tiktok gegenüber t3n auch, Fehlinformationen zu entfernen, die der Gesundheit einer Person oder der öffentlichen Sicherheit schaden könnten. „Außerdem entfernen wir Inhalte, die im Rahmen von Desinformationskampagnen verbreitet werden“, heißt es weiter. Da die deutsche Sprecherin von Tiktok dieses Statement nicht näher konkretisiert, bleibt Interpretationsspielraum. Wer entscheidet unter welchen Kriterien darüber, was Fehlinformationen sind? Schließlich steht fest, die Proteste in Hongkong dürften für die Protestierenden in einer anderen Realität stehen als für das chinesische Regime.
Inwieweit die Vorwürfe gegen Tiktok berechtigt sind, kann abschließend nur schwerlich geklärt werden. Als private Nutzerin von Tiktok bleibt der Eindruck, dass die App sehr wohl der gesellschaftlichen Meinungsbildung und dem politischen Austausch dient und nicht nur zu Tanz- oder Schminkvideos einlädt. Zugegeben: Dieser Blick auf die Plattform ist sehr eurozentrisch. Inwieweit kritische und vor allem chinakritische Inhalte tatsächlich blockiert werden, bleibt dem User in der Regel verborgen.
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Facebook? Das ist doch was für alte rechte Krawallniks. Oder so.
Dass TikTok ursächlich anders gedacht war, darf man annehmen. Die chinesische Nomenklatur ist restlos kontrollmanisch und genau auf dem Pfad bewegen sich alle chinesischen Unternehmen.
Das liegt aber zu 100% entgegen der international üblichen machbaren Linie. Weltweit betrachtet interessiert ein Milliardenpublikum garantiert niemanden die speziellen Karotten einiger weniger chinesischer Politiker.
Womit schon relativ klar definiert ist, wie chinesische Unternehmen überhaupt erfolgreich sein können: indem sie dien speziellen Eigenheiten des Heimatmarktes möglichst weit außen vorhalten. Und das tun die dann auch.
Finden sie? Ich denke schon, dass der chinesische Staat Einfluss darauf nimmt, denn nicht ohne Grund hat dieser einen gewissen Anteil am Unternehmen und setzt rigide Richtlinien auch in Deutschland-Berlin durch. Nur durch die Veröffentlichung solcher Dokumente wurde in der Vergangenheit bekannt, dass die Sichtbarkeit von Videos, die Homosexualität dort thematisieren, von Mitarbeitern aktiv verringert wurde.
Die Betonung liegt auf „Vergangenheit“. Die Chinesen lernen schnell, anders als das bei den westlichen Pendants so erscheint.
Aber grundsätzlich darf man nicht naiv sein. Die chinesische Führung setzt seit einiger Zeit nicht nur auf Dominanz in der Pazifik-Region, sondern vor allem auf weltweite Führerschaft. Und greift dabei selbstverständlich auf das Vorbild USA zurück, auch wenn es in Bezug auf die volkswirtschaftlichen Bedingungen noch nicht ganz reicht, die USA ernsthaft einzuholen. Unter der Voraussetzung, dass sich die mit Trump an die Regierung der USA gelangten Kräfte weiter durchsetzen können, wird das aber eher ein Nahziel sein und weniger eine Perspektive für die Zukunft.
Aber rein grundsätzlich gilt, wenn sich chinesische Unternehmen, vor allem aus der Hightec-Branche vor allem im noch immer weitgehend überdimensionalen Konsumentenmarkt des Westens durchsetzen wollen, müssen sie vor allem die auf dem heimischen Markt üblichen Marotten komplett zumindest verstecken. D. h. ja noch nicht, dass dann Kontrolle auf anderem Wege statt findet.
Bedeutet aber doch durchwegs, dass sich auch Themen der Nutzer durchsetzen, die so bestimmt ursächlich nicht gewollt und gedacht waren. Aber das kann man ja schon mal begrüßen und nur so ist Wandel möglich. Ungewollt, aber letztendlich konsequent.