Eine viel zitierte Weisheit lautet: „Sei nicht beschäftigt, sei produktiv!“ Ausnahmslos jede Führungskraft würde einstimmen und doch sieht die Realität in der Arbeitswelt oft ganz anders aus. Wir verharren in Abteilungsdenke und arbeiten in ineffizienten Systemen, wir folgen keinen klaren Zielen, sondern machen Dienst nach Vorschrift, wir können uns nicht konzentrieren, sondern sind ständig abgelenkt – wie soll sich da noch echte Produktivität entfalten können? Wir haben unsere t3n-Leserinnen und -Leser auf Twitter gefragt, was sie so richtig unproduktiv macht. Knapp 130 Antworten und 100 weitere Interaktionen kamen zusammen: Herauskam eine breite Diskussion darüber, was uns ausbremst – und was vielerorts anders laufen muss. Was ist dein größter Produktivitätskiller? Neun Menschen haben sich in diesem Beitrag ausführlicher geäußert.
1. Multitasking: „Man schafft mehr, wenn man weniger macht“
Von Maike Küper
Mein Produktivitätskiller Nummer eins ist definitiv Multitasking. Die Hirnforschung weiß ja schon länger, dass wir dafür nicht gemacht sind – die meisten Menschen versuchen es trotzdem oder sehen sich gezwungen. Am schlimmsten ist es natürlich, wenn Aktionismus und „beschäftigt wirken“ wichtiger sind als Ergebnisse. Mein Lieblings-Hashtag dazu: #StopTheHustle. Wir arbeiten im Team mit Scrum und priorisieren alle vier Wochen ziemlich hart, was wir uns vornehmen und was nicht. Das entscheiden wir primär danach, was den höchsten Wert bei unseren Kundinnen und Kunden erschafft. In der Konsequenz führt das dazu, dass wir zu spontanen Anfragen häufig „Nein“ sagen. Das war am Anfang ungewohnt, bringt aber allen mehr, als wenn wir 100 Dinge gleichzeitig machen würden, die wir ewig nicht beenden. Unsere Schnelligkeit und das befriedigende Gefühl, regelmäßig To-do-Kärtchen auf „Done“ zu schieben, bestätigt mich immer wieder in unserem Vorgehen. Man schafft einfach viel mehr, wenn man wenig macht – klingt paradox, stimmt aber.
2. Sinnlosigkeit: „Der Wert einer Aufgabe muss transparent sein“
Von Sevda Helpap
Ich hatte in meinem Studium zwei Jobs an unterschiedlichen Lehrstühlen. Ein Professor schrieb mir per E-Mail, ich solle bitte nach aktueller Literatur zu Change-Management recherchieren. Ein anderer Professor erklärte mir, dass er ein neues Buch schreibt, bei dem es über internationale Verflechtungen und deren Wirkung auf Institutionen gehe, und ich ihm helfen soll, Analysen zusammenzustellen. Mehr Einsatz habe ich definitiv für den zweiten Professor gezeigt, da die Sinnhaftigkeit sofort glasklar war. Was ich damals wie heute beobachte, ist, dass Ungewissheit über den Nutzen einer Aufgabe ein absoluter Produktivitätskiller für mich ist. Wenn ich nicht weiß, wozu ich mit meiner Arbeit beitrage oder wie bedeutend die jeweilige Aufgabe in der Gesamtperspektive ist, werde ich eher dazu neigen, halbherzig abzuarbeiten oder zu prokrastinieren. Sowohl für mich selbst als auch gegenüber anderen ist es mir wichtig, die Zusammenhänge darzustellen, die Sinnhaftigkeit zu benennen und den Wert einer Aufgabe somit so transparent wie möglich zu machen.
3. Großraumbüro: „Ich bin heilfroh, wenn ich mich zurückziehe“
Von Jochen Heimann
Für mich ist einer der größten Produktivitätskiller inzwischen das Großraumbüro. Warum inzwischen? Weil es eine ganze Weile brauchte, bis die rosarote Brille auf diese eigentlich gute Idee fiel. Ob Nüsse zerstampfende Kiefer von Sitznachbarinnen und -nachbarn, konzentriertes Schnaufen, Körpergerüche oder deren akustische Begleiterscheinungen, Essensgerüche oder auch infernale Tastenanschläge besonders motivierter Kolleginnen und Kollegen – die Summe der eigentlich nebensächlichen Störfaktoren ist es, was das Großraumbüro für mich zur anarchischen Version eines ursprünglich sinnvollen Gedanken pervertieren ließ. Denn: Im Grunde ist das Konzept super. Menschen kommen zusammen, können sich zügig austauschen, das Raumkonzept spiegelt die Mentalität der Mindsets wider: grenzenlos, frei und ohne Vorbehalte. Aber das reicht eben nicht immer. Ich bin heilfroh, wenn ich mich in meinen eigenen Safe Space zurückziehe, Kopfhörer aufsetze, alle Messenger und die Welt drumherum ausschalte und mich voll einem einzigen Projekt widmen kann.
4. Micro-Management: „Ein Showstopper für den Teamerfolg“
Alle E-Mails in CC, ständiges Einmischen in fremde Projekte oder auch Mitarbeiterüberwachung – Sozialwissenschaftler beschreiben es als „übertriebene Detailorientierung“. Für mich ist es schlicht der größte Inspirationskiller und Demotivator: Micro-Management. In der Vergangenheit ist es mir immer mal wieder in verschiedenen Situationen begegnet. Es war immer einer der großen Showstopper für Teamerfolg. Micro-Management und Kontrollfreaks, das passt besonders gut zusammen. Ein Ausdruck des längst in die Jahre gekommenen Glaubenssatzes „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Dieser Irrglaube hält sich leider weiterhin und zieht sich oft durch die ganze Unternehmenskultur. Dabei führt es nicht zu mehr Kontrolle, sondern raubt allen Beteiligten sehr viel Energie. Für mich ist deshalb die beste Prävention von Micro-Management, in einem beruflichen Umfeld zu arbeiten, in dem das Miteinander und gegenseitiges Vertrauen groß geschrieben werden. Dann hat Micro-Management schlicht keinen Platz.
5. Meetings: „Echter Flow, nicht nur in den Randzeiten“
Von Katharina Krentz
Vor dem Bildschirm sitzen, chatten, Telefonate, Videokonferenzen, informelle Kaffeerunde, fein säuberlich geplant im übervollen Terminkalender: das verlangt Synchronität, die gleichzeitige Anwesenheit aller Beteiligten. Dabei ermöglicht die neue Arbeitswelt doch vor allem eines: asynchrones Arbeiten! Damit eigener Flow möglich wird, längere Phasen der Konzentration. Warum nicht synchrone Meetings nutzen für Entscheidungen, Brainstorming und Zwischenmenschliches, und digitale Plattformen für asynchrones Arbeiten wie Statusupdates im Team, das Vorbereiten von Entscheidungen, Diskussionen und Abstimmungen. Durch schriftliche Inhalte entsteht Transparenz, Unklarheiten lassen sich schnell aufdecken, Wissen wird sichtbar und teilbar, persönlich Irrelevantes aussortierbar. Ja, das bedeutet mehr lesen am Bildschirm. Andere Gewohnheiten, Planung und Dokumentation. Es ermöglicht aber eine Arbeitsweise, die sich nicht zwischen zwei Meetings quetscht, sondern echten Flow, nicht nur in den Randzeiten des Kalenders.
6. Abteilungsdenken: „Produktivität heißt Bewegung“
Von Hendrik Epe
Produktivität heißt, etwas zu bewegen. Dazu muss ich mit anderen Menschen zusammenarbeiten. Oft überwiegt, dass das Überschreiten der Grenze zu einer anderen Abteilung dazu führt, dass die den eigenen Vorgarten schützt: Nicht vorhandene Ressourcen, fehlende Zuständigkeiten oder das Unverständnis über die Notwendigkeit der Aufgabe sind Ausreden, um nicht zusammenzuarbeiten. Der Aufwand, auch nur kleine Schritte weiterzukommen, frustriert und am Ende warten viele offene Enden. Daraus folgt zum einen, Aufgaben – soweit möglich – in der eigenen Verantwortung zu belassen. Zum anderen versuche ich, ein Verständnis für die Herausforderungen anderer Abteilungen zu schaffen. Der erste Aspekt ist schade, da Organisationen existieren, um gemeinsam Probleme zu lösen. Der zweite Aspekt erfordert gegenseitiges Kennenlernen. Das braucht Zeit, die leider oft fehlt. Trotzdem liegt hier großes Potential, beispielsweise mit Methoden wie dem Lean Coffee, abteilungsübergreifendes Denken zu ermöglichen.
7. Telefonate: „Unangemeldete Anrufe reißen mich raus“
Du kannst nicht nicht kommunizieren – das hat schon Paul Watzlawick gesagt. Und er hat damit Recht. Wir kommunizieren den ganzen Tag, auch wenn wir nicht direkt sprechen. Nun gehe ich noch einen kleinen Schritt weiter und behaupte, „wir“ Menschen, die sich im öffentlichen Raum und in Social Media bewegen, kommunizieren noch mehr als der Durchschnitt. Sei es in Konferenzen, Postings oder etlichen Tweets im 1:viele oder Chats im 1:1. Einzig das Telefon meide ich wie der Teufel das Weihwasser. Einfach deswegen, weil mich ein Anruf immer aus irgendetwas rausreißt. Unangemeldete Anrufe stören mich bei der Arbeit und mittlerweile empfinde ich Anrufe ohne Termin tatsächlich auch als sehr unhöflich. Nicht umsonst nutzen Cold-Call-Anrufer dieses Rausreißen aus, um mit ihren Anliegen andere zu überrumpeln und Dinge zu verkaufen. Daher habe ich mein Telefon tatsächlich meistens aus oder lautlos und gehe dementsprechend selten ran. Anders ist es natürlich mit Terminen, um Themen, Aufträge oder Jobs zu besprechen.
8. Social Alerts: „Nur noch das Abschalten hilft“
Von Tobias Körner
Für mich sind Notifications, vor allem die von Social-Media-Plattformen, fiese Produktivitätskiller. Wann immer das Smartphone vibriert, klingelt oder aufleuchtet, wird meine FOMO getriggert und ich muss nachsehen, was los ist. Das reißt mich aus anderen Aufgaben oder lenkt mich in Gesprächen ab. Dabei weiß ich es eigentlich besser. Ich muss mich also selbst austricksen. Das gelingt mir am besten, indem ich zwei Smartphones nutze: eins für die Arbeit, eins privat. Auf meinem Arbeitshandy sind alle wichtigen Social-Media-Apps drauf, aber nur die Notifications von Twitter und Linkedin — weil da am ehesten relevante Dinge passieren und ich die DM fürs Netzwerken nutze — erreichen mich. Alle anderen Kanäle sind gemutet. Denn in der digitalen Parallelwelt herrscht — bei allen Vorteilen — so viel Lärm und es gibt so viele Störgeräusche, dass nur das Abschalten hilft. Auf meinem privaten Smartphone befinden sich deswegen auch keine (in Zahlen: 0) Apps sozialer Netzwerke. Diese Ruhe! Wer jetzt überlegt, das auch auszuprobieren: Die FOMO ist schnell überwunden.
9. Unklare Ziele: „Verunsicherung führt zu Überforderung“
Von Katja Evertz
Unklare oder gar komplett fehlende Ziele sind für mich ein großer Produktivitätskiller. Eine Aufgabe ohne konkretes Ziel ist, als würde ich versuchen, in der Dunkelheit ein Puzzle zusammenzusetzen: Es geht irgendwie, dauert aber sehr lange. Und wahrscheinlich kommt am Ende etwas dabei raus, das ganz und gar nicht den Vorstellungen der Kundinnen und Kunden oder den Projekt-Verantwortlichen entspricht. Die Unklarheit, die ohne Ziel herrscht, schafft auch Verunsicherung. Und Verunsicherung resultiert in Überforderung. Außerdem führen unterschiedliche Erwartungshaltungen oft zu Missverständnissen, die die Arbeit zusätzlich belasten. Produktiv arbeiten kann ich in diesem Modus jedenfalls nicht. Meine erste Frage ist deshalb gerne: „Was ist denn das Ziel?“ Was wollen wir überhaupt erreichen? Denn wenn wir am Anfang über das angestrebte Resultat sprechen, können wir Umwege frühzeitig umgehen. Und je genauer ich das Ziel kenne, umso besser kann ich einzelne Schritte planen, um dieses Ziel auch zu erreichen.
Es fehlt noch: Zuviel t3n zwischendurch lesen …
So etwas macht einen aber wohl doch letztlich produktiver.
;-)