Redefreiheit ja, Reichweitenfreiheit nein: Twitter-Managerin erläutert neues Moderationskonzept

Elon Musks Vorgehensweise bei Twitter besorgt nicht nur die EU. (Foto: Shutterstock / kovop58)
So setze das neue Twitter bei der Moderation von Inhalten stark auf Automatisierung, verzichte auf verschiedene manuelle Überprüfungen und bevorzuge ganz generell Verbreitungsbeschränkungen wie das sogenannte Shadow Banning gegenüber dem radikaleren Ansatz, bestimmte Äußerungen schlicht zu entfernen.
Twitter-Sicherheitschefin: Händische Überprüfungen ein Fehler
Ella Irwin möchte dieses Vorgehen indes als positive Veränderung verstanden wissen. „Das Wichtigste, was sich geändert hat, ist, dass das Team die volle Befugnis hat, schnell zu handeln und so aggressiv wie möglich zu sein“, sagte Irwin am Donnerstag im Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters.
Die stärkere Nutzung automatisierter Verfahren sei sinnvoll. Im Gegenteil sei Twitters bisheriger Ansatz, zeit- und arbeitsintensive menschliche Überprüfungen von schädlichen Inhalten durchzuführen, ein Fehler gewesen.
Kooperation mit „vertrauenswürdigen Institutionen“
Zudem sei Twitter insbesondere im Kontext des Kinderschutzes dazu übergegangen, Tweets automatisch zu löschen, die von vertrauenswürdigen Personen gemeldet wurden. Das bestätigt Carolina Christofoletti, die sich bei TRM Labs auf das Auffinden kindesmissbräuchlichen Materials spezialisiert.
Sie habe festgestellt, dass Twitter in letzter Zeit einige Inhalte innerhalb von 30 Sekunden nach ihrer Meldung entfernt habe. Das sei geschehen, ohne den Eingang ihrer Meldung zu bestätigen oder die Entscheidung zu kommunizieren.
Laut Irwin soll die Zusammenarbeit mit „vertrauenswürdigen Meldenden“ nun intensiviert werden. Bislang habe es bei Twitter Bedenken gegen diese Ansätze gegeben. Musk soll die indes nicht teilen.
Jüngst habe Twitter in Zusammenarbeit mit der Cybersicherheitsgruppe Ghost Data etwa 44.000 Konten, die mit Kindesmissbrauch assoziiert werden konnten, entfernt. Außerdem schränke der Dienst konsequent Hashtags und Suchergebnisse ein, die häufig mit Missbrauch in Verbindung gebracht werden.
Früher habe es Bedenken über die Auswirkungen solcher Beschränkungen gegeben, weil manche Begriffe mehrdeutig – also auch nicht missbräuchlich – verwendet werden könnten. Die seien nun ausgeräumt.
Unter dem neuen Sicherheitsansatz, der hauptsächlich auf Reichweitenbeschränkungen und automatisierte Moderation setzt, sollen die jüngsten Erkenntnisse Forschender zu einer deutlichen Zunahme schädlicher Inhalte seit Musks Übernahme anders zu bewerten sein.
Rede-, nicht Reichweitenfreiheit
Nach dem Motto „Redefreiheit, nicht Reichweitenfreiheit“ sollen Tweets künftig zwar veröffentlicht werden, aber nicht mehr auf der Startseite oder in der Suche erscheinen. So soll verhindert werden, dass derlei Aussagen ein Momentum entwickeln und viral gehen.
Gleichzeitig müsste sich Twitter nicht dem Vorwurf der Zensur aussetzen. Solche Änderungen sollen bereits vor Musks Übernahme in Planung gewesen sein, wie ehemalige Beschäftigte gegenüber Reuters bestätigten. Musk habe die Vorgänge indes maßgeblich beschleunigt.
Ob die Veränderungen geeignet sein werden, das teilweise verloren gegangene öffentliche Vertrauen in Twitter wieder herzustellen, bleibt abzuwarten. Am vergangenen Freitag hatte Musk bei einem Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine „deutliche Verstärkung der Inhaltsmoderation und des Schutzes der Redefreiheit“ versprochen – die Quadratur des Kreises?