Warum Schweden Innovationstreiber und Vorreiter bei der E-Mobilität ist
Laut Global Innovation Index 2021 ist Schweden eine der innovativsten Volkswirtschaften der Welt und belegt im Ranking den zweiten Platz. Auch Dänemark (auf Platz 9) und Finnland (auf Platz 7) sind unter den Top 10 vertreten. Deutschland liegt im Ranking auf Platz 10. Damit sind drei von insgesamt vier skandinavischen Ländern innovativer als Deutschland.
Die technologische Innovationsfreudigkeit Skandinaviens zeigt sich in vielen Bereichen, wie beispielsweise der Digitalwirtschaft. So stammen einige der erfolgreichsten digitalen Startups aus Schweden wie Similar Web, Klarna, Spotify oder Skype- und das obwohl das Land mit gut zehn Millionen Einwohnern über deutlich weniger Humankapital verfügt als Deutschland.
Die Innovationskraft und technologische Vorreiterrolle skandinavischer Länder zeigt sich auch in anderen Bereichen und lässt sich besonders gut am Beispiel Elektromobilität veranschaulichen. Auch hier haben nordische Länder die Nase vorn. Gemäß Verband der Automobilindustrie (VDA) kommen in Europa 6,1 Elektrofahrzeuge auf 1.000 Einwohner. Mit 8,5 E-Autos pro 1.000 Einwohner liegt Deutschland zwar über dem europäischen Durchschnitt; weltweite Spitzenreiter sind allerdings Norwegen (81 pro 1.000 Einwohner), Island (36,8) und Schweden (20,6).
Diese Tatsachen werfen Fragen auf. Was machen die Skandinavier anders? Oder anders gefragt: Was macht sie so innovativ?
Fokussierung auf technologische Vorteile
Eine entscheidende Rolle spielt sicherlich der tief verwurzelte Glaube an den Nutzen des technologischen Fortschritts. Skandinavier stehen neuen Technologien nicht skeptisch, sondern offen gegenüber.
Das hat pragmatische Gründe: Technologie bietet die Möglichkeit, auch entlegenste Orte zu versorgen und anzubinden. In dünn besiedelten Ländern wie Norwegen oder Schweden ist das ein essenzieller Punkt. Deshalb sind Skandinavier bei der Adaption neuer (digitaler) Technologien grundsätzlich progressiver und klar auf die Vorteile fokussiert. So hat Norwegen bereits in den späten 1990er Jahren begonnen, Anreize für Elektrofahrzeuge zu schaffen. Anstatt endlos über mögliche Nachteile zu diskutieren, konzentrierte man sich auf die sehr offensichtlichen Vorteile dieser neuen Antriebstechnologie. Die bestehen insbesondere in einer CO2-emissionsfreien Mobilität und der Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen und deren begrenzten Vorkommen.
Innovationen benötigen geeignete Infrastrukturen
Neue Technologien sind meist keine Stand-Alones. Ihre Implementierung erfordert spezifische Infrastrukturen. Das verdeutlicht ein einfaches Beispiel: Videotelefonie funktioniert nur mit schnellem Internet und leistungsstarken Endgeräten. Ähnlich ist es bei der Elektromobilität. Ohne ausreichende Ladeinfrastruktur ergibt es keinen Sinn, Elektroautos zu fördern. Die Fördergelder verpuffen.
Deshalb verfolgte Schweden beim Ausbau der E-Mobilität früh den Ansatz „Infrastructure first“ und fokussierte die Rahmenbedingungen. Zwar förderte auch die schwedische Transportagentur die Anschaffung von Elektroautos mit umgerechnet 5.900 beziehungsweise 6.900 Euro; parallel wurde jedoch der Ausbau der Ladepunkte konsequent über alle Bereiche unterstützt – neben öffentlichen auch halböffentliche und private Ladepunkte. Letztere sind vor allem für die Alltagsmobilität notwendig, da sich E-Autos am bequemsten dort laden lassen, wo sie eh längere Zeit stehen.
Dass die schwedische Strategie erfolgreich ist, verdeutlichen die Zahlen. In Deutschland gibt es laut EAFO mittlerweile 44.538 Ladepunkte. In Schweden sind es 10.370. Auf den ersten Blick steht Deutschland besser da. Setzt man die Zahlen allerdings ins Verhältnis zur Anzahl der Fahrzeuge, ändert sich das Bild. Betrachtet man die Anzahl von Ladepunkten im Kontext der Anzahl aller Fahrzeuge in Deutschland, kämen derzeit auf einen Ladepunkt 1.014 Fahrzeuge. In Schweden wären es 253 und in Norwegen 1.475. Das macht deutlich, dass die momentane Infrastruktur nicht ausreicht, um allen Autofahrern den Umstieg auf Elektroantrieb zu ermöglichen. Allerdings hat Deutschland in den letzten zwei Jahren große Fortschritte erzielt. Setzt man die vorhandenen Ladepunkte ins Verhältnis zu den Elektrofahrzeugen, die aktuell auf den Straßen unterwegs sind (rein elektrisch betriebene private Pkw und Nutzfahrzeuge), kommen auf einen Ladepunkt in Deutschland 7,5 Fahrzeuge. In Schweden sind es 6,2 Elektrofahrzeuge. Deutschland schließt also auf.
Klare Kommunikation und Kollaboration
Um die Bevölkerung davon zu überzeugen, ihr Kauf- und Verhaltensmuster zu ändern, müssen alle Beteiligten verstehen, dass der Wandel wirtschaftlich, ökologisch und moralisch sinnvoll ist. Innovationen erfordern einen gesellschaftlichen Konsens. Um den zu erreichen, kommunizierte die Politik in Schweden klar und ließ keinen Zweifel daran, dass der Umstieg auf die neue Technologie kommen wird. Das führte dazu, dass Elektromobilität schnell in viele Bereiche integriert wurde. Hotelbuchungsplattformen weisen beispielsweise aus, welche Hotels Elektroladestationen neben anderen selbstverständlichen Merkmalen wie beispielsweise WLAN vorhalten.
Außerdem wurden Bürger in Schweden transparent darüber aufgeklärt, welchen CO2-Abdruck unterschiedliche Antriebsformen haben, indem alle Zapfsäulen im Land den jeweiligen CO2-Fußabdruck des Kraftstoffes ausweisen. Auf diese Weise wurde in der Bevölkerung eine hohe Akzeptanz und Motivation für den Umstieg auf Elektroantrieb geschaffen.
Der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor ist allerdings ein komplexer Prozess, in den außer Autofahrern viele weitere Akteure involviert sind. Von der Automobilindustrie über Energieanbieter, Immobilienbesitzer, Reiseunternehmen und Arbeitgeber bis hin zum Gesetzgeber oder zu Kommunen – sie alle müssen verstehen, dass grüne Technologien längst kein Luxus mehr sind, und bereit sein, die Innovation zu unterstützen. Alle Beteiligten müssen also an einem Strang ziehen. Skandinavier sind von Natur aus ein kollaboratives Volk: Wer auf einer kalten, isolierten Halbinsel am Rande des Polarkreises lebt, ist per se auf die Unterstützung und Hilfe anderer angewiesen und hat dementsprechend eine hohe Bereitschaft zur Zusammenarbeit – eine Tatsache die bei der Einführung von E-Mobilität sehr unterstützt hat.