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Hört auf, es Social Media zu nennen

Es wird Zeit, den Begriff „Social Media“ endlich über Bord zu werfen. Er beschreibt nicht mehr das, was auf Social-Media-Plattformen stattfindet.

Von Enno Park
4 Min.
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Negative Klima- und Wetterereignisse haben laut einer Studie Einfluss auf Stimmung auf Social Media. (Bild: Shutterstock / Samuel Borges Photography)

Okay, das klingt erst mal nicht besonders originell, denn Kritik an dem Begriff ist so alt wie die sozialen Medien selbst. Es wurde schon immer angezweifelt, dass die Selbstdarstellung auf Instagram, das asymmetrische Follow-Prinzip auf Twitter und der Hass in manchen Facebook-Gruppen viel mit unserem wirklichen Sozialleben zu tun haben. Der Spott von den „asozialen Medien“ macht sein vielen Jahren die Runde. Aber diese Kritik meine ich gar nicht.

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Denn natürlich sind die Beziehungen und Interaktionen auf den Plattformen sozial, auch wenn sie sich von den Beziehungen und Interaktionen unterm Weihnachtsbaum und in der Teeküche unterscheiden. Doch über die Jahre hat sich verändert, wie Social Media an sich funktioniert. Und zwar so sehr, dass es zum Gegenteil von dem wurde, was es ursprünglich mal war – ohne dass viele von uns das so richtig mitbekommen haben.

Die frühen Social-Media-Plattformen ließen sich in zwei Sorten einteilen. Die einen funktionierten nach dem Prinzip Facebook. Ihr Ziel war es, das reale Geflecht von Beziehungen, Freundschaften und Bekanntschaften abzubilden. Erinnert sich noch jemand an StudiVZ oder gar Wer-kennt-wen.de? Die andere Sorte funktionierte nach dem Prinzip Twitter. Man folgt Leuten, die man nicht kennt, aber interessant findet.

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Das Prinzip der Filtersouveränität

Natürlich gibt es Mischformen. Facebook führte das Follow-Prinzip ein. Twitter fing ursprünglich als Dienst an, in denen Teams sich gegenseitig knapp auf dem Laufenden halten können, was sie gerade tun. Auf Facebook gibt es Themengruppen, auf Twitter interessieren sich viele nur für die aktuellen Hashtags.

Die frühen Social-Media-Plattformen hatten, dass ganz allein die Nutzenden per Friending/Follow darüber entscheiden, wessen Posts sie zu Gesicht bekommen. Die soziale Beziehung bestimmte über den Inhalt und sonst nichts. Der Kulturwissenschaftler Michael Seemann hatte das als Filtersouveränität bezeichnet. Wir versuchten durch unsere Auswahl zu filtern, wer oder was uns interessiert, und Social-Media-Plattformen gaben uns das Werkzeug dafür an die Hand.

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Doch über die Jahre haben die Plattform ihren Nutzenden die Filtersouveränität Stück für Stück wieder weggenommen. Facebook fing damit an, Postings nicht mehr einfach in chronologischer Reihenfolge anzuzeigen sondern algorithmisch zu sortieren. Bald folgten auch Twitter und Instagram. Zunächst sortierten die Algorithmen nur die Reihenfolge um, damit Nutzende möglicherweise interessante Tweets nicht verpassen. Das führte dazu, dass algorithmisch gewichtet werden musste, was die Nutzenden interessant finden könnten.

Statt der Nutzenden entscheiden Algorithmen

Irgendwann sah man immer mehr Posts von Menschen, mit denen man nicht befreundet war oder denen man nicht folgte. Vielleicht weil im eigenen Umkreis viele Menschen diese Posts mit einem Like versahen. Vielleicht aber auch, weil der Algorithmus Content einblendet, von dem angenommen wird, dass er den Nutzenden aufgrund ihres Verhaltens gefallen könnte. Genau wissen das nur diejenigen, die die Algorithmen entworfen haben.

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Natürlich sind solche Algorithmen zunächst nichts schlechtes. Klar kann man die Vorschläge von Netflix oder Spotify nützlich und angenehmen finden. Schließlich spricht der Erfolg, den Tiktok mit seiner Druckbetankung an überzuckertem Content hat, für sich. Und ganz Schlaue werden vielleicht an dieser Stelle einwenden, dass auch die chronologische Anzeige anhand der eigenen Auswahl streng genommen ein Algorithmus sei. Damit haben sie natürlich recht. Aber das ist nicht der Punkt.

Der Punkt ist, dass fast alle Social-Media-Plattformen ihre Algorithmen nach und nach justiert und so die Kontrolle über den ausgespielten Content übernommen haben. Aus der auf sozialen Beziehungen basierenden Filtersouveränität wurde die algorithmische Plattformsouveränität, die zwar immer noch ein wenig auf sozialen Beziehungen basiert, aber längst nicht mehr nur.

Virale Verbreitung

Wie sehr sich das verändert hat, wird einem schlagartig klar, wenn man Mastodon benutzt. Das fühlt sich an wie eine Zeitreise und weckte bei einigen Nutzenden nostalgische Gedanken. Mastodon funktioniert durchaus ähnlich wie Twitter vor zehn Jahren. Man bekommt in der Haupttimeline einfach die Posts der Menschen in chronologischer Reihenfolge angezeigt, denen man folgt.

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Viele Leute, die Twitter kaum noch ohne Algorithmen kennen, zeigen sich irritiert darüber. Manche wundern sich zum Beispiel, dass ein Like (beziehungsweise Fav) auf Mastodon nicht bedeutet, dass ein Beitrag für andere sichtbarer wird. Einige waren ganz überrascht, als das John-Mastodon-Mem die Runde machte. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass Inhalte auch ohne algorithmische Verstärkung viral gehen können, einfach nur weil sie von vielen Menschen repostet oder zu neuen Inhalten verarbeitet werden.

Doch es ist nunmal die ursprüngliche Definition von viraler Verbreitung, dass Menschen von sich aus einen Inhalt weiter verbreiten. Virales Marketing bedeutete früher, Content zu produzieren, der die Menschen dazu verleitet, ihn aus eigenem Antrieb weiter zu verbreiten. Heute spielt das zwar im Social-Media-Marketing auch noch eine Rolle, die Arbeitsweisen erinnern aber vor allem an SEO und die optimale Anpassung an die Algorithmen der jeweiligen Plattformen.

Es ist nicht die Frage, ob man das gut oder schlecht findet. Schließlich reicht die Auswahl von Plattformen von Mastodon bis Tiktok und die Menschen können selber entscheiden, welche davon ihren Bedürfnissen gerecht wird. Nur kann man außer Mastodon kaum noch eine Plattform treffend mit Social Media bezeichnen. Ich schlage für Twitter, Tiktok, Instagram und Co. den Begriff „Algomedia“ vor.

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