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Analyse

Startup-Finanzierung: Wer jetzt noch Risikokapital bekommt

Aktuell gibt es weniger Risikokapital für Startups. Ein M&A-Berater und eine VC-Investorin erklären, warum Geldgeber jetzt selektiver vorgehen, warum es weitere Pleiten geben wird – und mit welchen Themen Gründer aktuell bei Investoren punkten.

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Immer weniger Investoren wählen Tech-Startups, um sie zu unterstützen. Das gilt vor allem für Europa. (Bild: Funtap/Shutterstock)

Startups haben es gerade schwerer, an Geld zu kommen. Laut dem EY-Startup-Barometer hat sich das Gesamtvolumen des vergebenen Risikokapitals fast halbiert: Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2022 brach die Summe der Investitionen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres um 49 Prozent auf 3,1 Milliarden Euro ein.

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Das liegt vor allem daran, dass weniger große Deals abgeschlossen wurden: Waren es im ersten Halbjahr 2022 noch 15 Abschlüsse im Wert von mehr als 100 Millionen Euro, gab es in den ersten sechs Monaten dieses Jahres in dieser Größenordnung nur noch fünf.

Auch die Anzahl der Deals ging um 19 Prozent zurück. „Die Stimmung auf dem Markt ist angespannt und die Investoren sind sehr vorsichtig und sehr selektiv“, berichtet Julian Riedlbauer, Partner bei der Tech-M&A-Beratung GP Bullhound.

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Trotzdem sind in der ersten Jahreshälfte wieder mehr Startups entstanden als noch im vergangenen Jahr. Laut Daten des Branchendienstes Startupdetector wurden 1.293 Unternehmen gegründet, 16 Prozent mehr als in den sechs Monaten zuvor. Einige von ihnen gehen dabei offensichtliche erstmal ohne fremdes Kapital an den Markt.

Die Boomjahre sind vorbei

Bereits im vergangenen Jahr ist das Volumen des Risikokapital deutlich zurückgegangen. Allerdings sind die Abschlüsse aus dem Jahr 2021 auch ein schlechter Referenzwert, da es damals einen absoluten Boom in der Startup-Finanzierung gab. In dem Rekordjahr flossen 17,4 Milliarden Euro in deutsche Startups.

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Aktuell liegt das Finanzierungsvolumen leicht über dem Vor-Corona-Niveau. „Das Investment-Volumen ist im 1. Halbjahr 2023 immer noch höher als in den jeweiligen ersten Halbjahren der Jahre 2018 und 2019 – und das waren keine schlechten Jahre, um an Wagniskapital zu kommen“, sagt Riedlbauer. „Wir dürfen die aktuellen Zahlen nicht an den Exzessen aus den Jahren 2020 und 2021 messen.“

Doch angesichts der geopolitische Unsicherheiten, hoher Inflation sowie einem steigenden Zinsniveau und schwacher Konjunkturentwicklung hat sich das Finanzierungsumfeld seitdem stark verändert. Entsprechend kritischer gehen Investoren auch an Jungunternehmen heran.

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Zahl der Insolvenzen wird steigen

Wer gibt also aktuell noch Risikokapital – und wofür? „Private-Equity-Investoren kommen momentan vor allem an den Tisch, wenn es um risikoarme Investitionen geht. Sie sind nach wie vor sehr an Technologieunternehmen interessiert und zahlen auch gute Preise“, sagt Riedlbauer. „Aber wenn es um eine verlustreiche Firma geht, dann sind PE-Investoren nicht interessiert und es werden die Venture-Capital- und Growth-Equity-Investoren sehr vorsichtig, denn die Wachstums-Geldgeber haben in ihrem Portfolio mittlerweile bereits mit dem ein oder anderen Problemfall zu kämpfen.“

Der M&A-Berater geht davon aus, dass die derzeit leicht steigenden Insolvenzzahlen weiter zunehmen werden. „Die Stunde der Wahrheit kommt in den nächsten 6 bis 18 Monaten – es ist ein Nachholeffekt aus den Jahren 2020 und 2021“, sagt er. Schlechte Geschäftsmodelle, die damals übermäßig stark finanziert wurden, bekämen jetzt Probleme, weiteres Kapital zu erhalten.

Die ganz großen Finanzierungsrunden mit einem Volumen von über 50 Millionen US-Dollar liegen jetzt 18 bis 24 Monate zurück – und bisher hat das Geld bei den meisten gereicht. „Spannend wird, was im zweiten Halbjahr 2023 und im ersten Halbjahr 2024 passiert: Bekommen diese Startups wieder eine Finanzierung in dieser Größenordnung? Oder läuft ihr Runway aus, sprich die Zeit, die ein Startup mit der aktuellen Burn Rate überleben kann, ohne Insolvenz anmelden zu müssen?“, sagt Shikha Ahluwalia, DACH-Managerin beim Venture-Capital-Fonds Balderton Capital.

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Startup-Barometer Deutschland. (Grafik: EY)

Schaut man auf das Jahr 2021, dann haben damals vor allem Fintechs von den üppigen Geldspritzen der Investoren profitiert. Heute geraten aber selbst die Stars der Szene, wie das schwedische Fintech Klarna, unter Druck. Zwar konnte Klarna 2022 eine Finanzierung abschließen, allerdings sank dabei die Bewertung um 85 Prozent.

Eine große Konsolidierungswelle gab es in Deutschland bislang noch nicht. So schaffte es beispielsweise Penta, im Juli an den französischen Konkurrenten Qonto zu verkaufen, auch das Berliner Fintech Kontist fand in der dänischen Ageras Group einen Käufer.

„Man muss den Unternehmen Zeit geben, in ihre Bewertungen von 2021 hineinzuwachsen“, meint Investorin Ahluwalia. „Einige werden es schaffen, andere nicht, es wird sicherlich auch Rettungsrunden geben. Aber das gehört zu einem gesunden Organismus, zu einem gesunden Ökosystem.“

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Das Investitionsrunden-Rad dreht sich langsamer

Für die Venture Capital und Growth Fonds ist es derzeit schwieriger, ihre nächsten Fonds zu platzieren. „Das ganze Rad aus Seed- und Preseed- Investments, weiterer Wachstumsfinanzierungsrunden und dann IPO oder Verkauf des Unternehmens dreht sich deutlich langsamer“, sagt Riedlbauer. Dabei sei der Markt eigentlich funktional – bis auf die fehlenden IPO und die niedrigeren Bewertungen im Vergleich zu 2020 und 2021.

Das drückt auf die Stimmung der Investoren, weil sie ihre Portfoliounternehmen nicht mehr so schnell und nicht mehr so hoch bewertet verkaufen können, nachfolgende Finanzierungsrunden sind nicht mehr zwangsläufig eine sogenannte „Upround“, bei der die Bewertung steigt. „Investoren reservieren mehr Geld für ihre bestehenden Portfoliounternehmen – damit steht automatisch weniger Geld für neue Investments zur Verfügung. Im Moment hat es keiner eilig, sein Geld zu investieren.“

Zudem haben sich bestimmte Investoren aus dem Markt zurückgezogen. „Hybride bzw. Crossover-Fonds, die in IPO-Investments und in börsennotierte Firmen investieren, aber auch Pre-IPO- und Wachstumsinvestitionen getätigt haben, ziehen sich aus dem Markt zurück“, beobachtet Riedlbauer.

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Fonds wie Tiger Global, Coatue oder Softbank hätten im großen Stil zu sehr hohen Bewertungen in den Boomjahren 2020 und 2021 investiert – und seien jetzt extrem zurückhaltend. „Bis auf sehr wenige Investments haben sie den Markt praktisch verlassen.“ Family-Offices, Corporate-Venture-Investoren, Venture-Capital-Fonds und Growth-Equity-Fonds investieren dagegen weiter.

Welche Startups jetzt noch Geld bekommen

Wie groß die Unterschiede sind, zeigen aktuelle Beispiele aus der Beratungspraxis von GP Bullhound. So hat ein profitables, wachstumsstarkes Startup im Softwarebereich rund 20 Angebote von Investoren und strategischen Käufern erhalten. Gleiches gilt für ein Cleantech-Unternehmen, das über zehn Angebote von Strategen und Finanzinvestoren sammeln konnte. In anderen schwierigeren Fällen musste der M&A-Berater jedoch rund 300 Investoren ansprechen, um zwei oder drei oder vielleicht sogar nur ein Angebot zu erhalten und die Transaktionen erfolgreich abzuschließen.

Insgesamt floss das Geld der Investoren laut dem EY-Startup-Barometer vor allem in Unternehmen, die sich mit den Themen Software & Analytics beschäftigen (769 Millionen Euro). In diesem Segment versteckt sich auch das derzeit gehypte Thema künstliche Intelligenz – immerhin 99 Millionen Euro gab es im ersten Halbjahr für Startups in diesem Bereich. Die größten Deals schlossen aber Software-as-a-service-Firmen wie Integritynext, Maltego Technologies oder Tooltime ab. Insgesamt flossen 579 Millionen Euro in den Software-Bereich.

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Top-10-Finanzierungsrunden in Deutschland im ersten Halbjahr 2023. (Grafik: EY)

Daneben setzt sich das Thema Nachhaltigkeit immer mehr durch. Im ersten Halbjahr 2023 betraf jede fünfte Finanzierungsrunde ein Startup mit Sustainability-Bezug. Insgesamt gehen drei von zehn investierten Euro an Startups mit Nachhaltigkeitsbezug. Besonders der Bereich Energy zog viele Investoren an, hier wurden Finanzierungen in Höhe von 677 Millionen Euro abgeschlossen.

Die größten Finanzierungsrunden konnten Enpal und 1Komma5Grad mit jeweils 215 Million Euro anschließen. E-Commerce-Startups erhielten Risikokapital in Höhe von 395 Millionen Euro.

Bei der Tech-M&A-Beratung GP Bullhound sind die Trendthemen ähnlich verteilt: „Die Topthemen im Ranking sind aktuell: 1. Künstliche Intelligenz, 2. Alles rund um Nachhaltigkeit, was auch Energiethemen mit einbezieht, 3. Alles rund um B2B-Unternehmens-Software. Sehr schwer tun sich dagegen die Consumer-Unternehmen oder Fintechs, die vom Niedrigzinsumfeld und der Pandemie besonders profitiert hatten“, berichtet Riedlbauer.

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Bei KI nicht den Anschluss verlieren

Beim Thema KI warnt der M&A-Berater davor, dass Europa bei dieser Schlüsseltechnologie erneut den Anschluss verlieren könnte – und sieht auch hierzulande viel Potenzial für Startups. Zwar seien die Large-Language-Modelle (LLM) gerade sehr gehypt. Langfristig könnten sich diese LLM-Companies wie ChatGTP oder konkurrierende Open-Source-Modelle aber zu Commodity-Produkten entwickeln. „Über Spezialthemen mit besonderen anwendungsnahen Funktionen und Branchenlösungen auf Basis der allgemein verfügbaren LLM-Commodity- oder Infrastruktur-Anbieter können wir dann auch in Europa noch Millionen- und Milliarden-Unternehmen aufbauen. Dafür brauchen wir jetzt aber entsprechend viel Funding“, sagt Riedlbauer.

Das frisch gegründete Startup Nyonic baut in Berlin bereits an einem Grundlagenmodell für KI, das sich für Spezialanwendungen in der Wirtschaft eignet und stellt dabei die europäische Souveränität im Bereich KI im Vordergrund.

Wie sehr das Thema KI auch Investoren beflügelt, zeigt das Beispiel Mistral AI. Das Pariser Startup hat gerade 105 Millionen Euro eingesammelt, es will „KI nützlich machen“. Bisher hat die Firma allerdings noch gar kein Produkt entwickelt, es gibt nur einen groben Plan: Anfang 2024 will Mistral AI ein Large Language Model launchen.

Wächst da eine KI-Blase?

Emad Mostaque, der CEO von Stability AI, hat gerade in einem Analysten-Call der UBS mit der These für Aufruhr gesorgt, die KI-Industrie könne zur größten Blase aller Zeiten heranwachsen. Doch trotz der anrollenden „Dot-KI“-Blase sieht auch er die gewaltige Chancen im KI-Markt. Mostaque schätzt, dass die Branche insgesamt Investments von einer Billion US-Dollar benötigen wird.

„KI-Finanzierungsrunden können vereinzelt an den Hype von 2021 erinnern“, sagt VC-Investorin Ahluwalia. Daher solle man im Hinterkopf behalten: Things come in waves. „Die Daten der vergangenen sechs Monate zeigten zwar eine Art KI-Hype. Da rollen noch mehr Dollar und es kommen höhere Bewertungen zustande – aber auch das wird sich über die Zeit wieder normalisieren“, meint die VC-Investorin.

Insgesamt gibt es aktuell rund 500 KI-Startups in Deutschland, laut dem Applied AI Institute for Europe kamen im vergangen Jahr 246 neu hinzu. „Im aktuellen KI-Hype ist es sicher so, dass nicht jeder, der gerade ein Startup gründet, sich auch tiefgreifend mit der Technologie befasst hat. Im Endeffekt ist das Startup-Business aber eine sehr kleine Industrie. Es sind Menschen, die in Menschen investieren“, sagt Ahluwalia.

Sie selbst hat im Boomjahr 2021 bei Balderton angefangen. An der Art, wie Ahluwalia Startups beurteilt, habe sich seitdem nichts geändert. „Im Early-Stage-Bereich kommt es nach wie vor vor allem auf die Gründer an – oft hat man in dieser Phase ja auch kaum andere Anhaltspunkte. Ich spreche da gerne vom Founder-Market-Fit, also der Frage, warum ausgerechnet dieser Gründer zu diesem Markt passt.“

Ahluwalia ist es wichtig, die Motivation der Gründer zu verstehen. „Deshalb frage ich gerne: Was ist der Grund, warum du morgens aus dem Bett springst? Was lässt dich Nachts nicht schlafen? Es gibt ja viele Seiten des Unternehmertums, die auch schwierig sind, darüber sollten Gründer auch nachdenken.“

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