Wie das Meiste aus der Welt der Blockchain, Kryptos und NFT braucht auch die dezentrale autonome Organisation zunächst eine Erklärung. Eine DAO ist eine alternative Organisationsform, die Gruppenmitgliedern ein unerschütterliches Mitspracherecht gibt, das keine obere Instanz, wie etwa ein Chef oder eine Präsidentin, außer Kraft setzen oder überstimmen kann. Die DAO unterliegt vorher erarbeiteten Regeln, die in Form von Smart Contracts, also Computerprotokollen, die Verträge abbilden, in der Blockchain festgeschrieben stehen und nach denen sich alles richtet: der Entscheidungsprozess genauso wie die Faktoren, die zu einer Entscheidung führen. Ein Beispiel für eine DAO findet sich mitten in Berlin: Die VitaDAO verwaltet so Forschungsgelder, die die Mitglieder gemeinsam zur Verfügung stellen.
VitaDAO stimmt gleichberechtigt ab
Einer der Initiatoren ist Vincent Weisser. Der Designer und Entwickler konzentriert sich seit einiger Zeit auf Krypto-Anwendungen und versteht die VitaDAO als eine alternative Organisationsform, die die dezentrale Wissenschaft, konkret die Langlebigkeitsforschung, mit finanziellen Mitteln vorantreiben will. Seine Rolle in der Community ist breit definiert und reicht von Produkt- und Strategieaufgaben bis hin zu sogenannten Dealflows. Der Begriff bezeichnet in der Wirtschaft die Investitionsvorschläge, die Verwalterinnen und Verwalter von Risikokapital angeboten bekommen. „Jede Person kann Vorschläge machen, welche Forschung unterstützt werden soll – wie in einem Onlineforum“, erklärt Weisser. „Mitglieder mit Vita Governance Token stimmen dann darüber ab.“ Ein Kernteam aus Forschenden, Projektmanagerinnen und -managern sowie Krypto-Experten hilft dabei, die Vorschläge zu formulieren und Forschungsprojekte zu identifizieren, die unterstützt werden können.
„Jede Person kann Vorschläge machen, welche Forschung unterstützt werden soll.“
Die Vita Governance Token übernehmen somit die Funktion eines Wahlzettels, der Grundvoraussetzung ist, um über die Verwendung der Forschungsgelder mitzubestimmen. An einen Token kommen Mitglieder, indem sie sich in die VitaDAO mit der Kryptowährung Ether einkaufen. VitaDAO hält Stand Februar 2021 circa 2.100 Ether, die im Januar dieses Jahres etwa sieben Millionen US-Dollar wert waren. Bisher haben die Entscheiderinnen und Entscheider circa 1,8 Millionen US-Dollar in Forschungsprojekte gesteckt. Derzeit gibt es 800 aktive Mitglieder, die an den Abstimmungen teilnehmen. Zu den Projekten zählt auch eine Medikamentenstudie von Molecule, einer kollaborativen Plattform, auf der Akteure der Arzneimittelentwicklung zusammenarbeiten, um den Prozess der Bereitstellung neuartiger Therapeutika für Patientinnen und Patienten mit Alterskrankheiten zu beschleunigen.
In den letzten zwei Jahren ist die Anzahl an dezentralen Autonomen Organisationen regelrecht explodiert. Vincent Weisser spricht „von Tausenden, die in der Szene bekannt sind“. Dazu zählen Social-DAO wie der Seed Club oder Radicle, Media-DAO wie Rug.fm oder Forefront und Investment-DAO wie der Udacity Fund oder die Bit DAO. Auch die VitaDAO arbeitet inzwischen an Ausgründungen wie beispielsweise der Lab DAO, die an einem Open-Source-Labor-Marktplatz mit einer Programmierschnittstelle für Biologinnen und Biologen arbeitet. „Ich denke, DAO spielen schon gegenwärtig eine zentrale Rolle, um komplett neue Organisationsformen wie die VitaDAO zu ermöglichen“, erklärt Vincent Weisser. „Für viele neue digitale Organisationen ergibt es Sinn, sich im Internetzeitalter auf derartige blockchain-basierte Protokolle zu konzentrieren.“ DAO stünden aber noch am Anfang ihrer Entwicklung.
Geldflüsse sind nachvollziehbar auf der Blockchain
Für die Initiatoren der VitaDAO liegen die Vorteile auf der Hand: Die Community bestimmt gleichberechtigt und die Entscheidungen und Geldflüsse sind für alle Interessierten nachvollziehbar auf der Blockchain gespeichert. „Eine DAO macht es wesentlich einfacher, global zu agieren und zu koordinieren“, erklärt Weisser. Die VitaDAO ermögliche es, Forschende und Unterstützende zusammenzubringen. Außerdem erzeugten die programmierten Verträge im Code ein ganz neues Niveau von Vertrauen. Problematisch hingegen ist, dass es für diese Organisationen keine juristisch anerkannte Unternehmensform gibt, die auf das zutrifft, was die jeweilige DAO im Kern ausmacht. Fragen zu Steuern und Haftungen sind oft ungeklärt. „Bei vielen Aspekten fehlen regulatorische Richtlinien der Nationalstaaten“, sagt Weisser. Die Politik hinkt dem technologischen Fortschritt einmal mehr hinterher.
„Viele Unklarheiten resultieren schlicht aus der Neuartigkeit dieser Technologie, wie seinerzeit bei der Ausbreitung des Internets“, erklärt er weiter. „Als Pioniere müssen wir mit der Trägheit der Gesetzgebenden umgehen können und uns nach dem aktuellen Konsens innerhalb der Krypto-Community sowie dem eigenen moralischen Kompass richten.“ Darüber hinaus sucht die VitaDAO aber auch nach rechtlich einwandfreien Konzepten, um Forschungsergebnisse und die daraus resultierenden Fortschritte zu sichern. „Im Rahmen unseres Molecule-Protokolls können wir beispielsweise die von uns finanzierte Forschung in Form eines sogenannten Patent-NFT auf der Blockchain abbilden. Molecule selbst hat zudem legale Gerüste wie Aktiengesellschaften und ¬GmbH, um diese Patente zu halten“, erklärt Weisser. Lösungen gibt es nicht von der Stange. Mitglieder müssen sie selbst entwickeln und so implementieren, dass sie sich sinnvoll in die DAO einreihen.