Reden, berühren, winken und blinzeln: Was kommt nach der Screen-Ära?
Sie sind klein, beliebt und praktisch: Airpods sind das beste Beispiel dafür, dass für Interaktionen zwischen Menschen und Maschinen grafische Displays nicht mehr zwingend nötig sind. Nimmst du den Kopfhörer aus dem Ohr, stoppt die Wiedergabe, setzt du ihn wieder ein, geht es weiter. Per Doppeltipp lassen sich weitere Funktionen wie das Überspringen nutzen. Auf der begrenzten Oberfläche sind extrem nützliche Funktionen untergebracht.
Neben der haptischen Kommunikation verbreiten sich auch Sprach- und Gestensteuerungen rasant: Rauchmelder oder Lampen lassen sich durch Gesten ausschalten, Siri oder Alexa assistieren über Spracheingaben, und auch Infotainment-Systeme im Fahrzeug reagieren auf Berührung und Worte. Dank künstlicher Intelligenz erkennt das Auto seine Fahrer:innen sogar am Gang, öffnet automatisch die Türen und begrüßt sie mit einer individuellen Innenbeleuchtung. Zukünftig sollen auch Blicke das Fahrzeug – dank Eye-Tracking – steuern können.
Die Interaktionsmöglichkeiten werden immer vielfältiger und laufen den Eingaben auf grafischen Displays den Rang ab. Damit befinden wir uns bereits am Anfang der Post-Screen-Ära. Es gilt, schon heute die neuen Verbindungsformen zwischen Marken und Menschen zu erkunden. Die Herausforderung wird sein, diese neuen Zugänge wirksam für die eigene Marke zu entwickeln. Ein Selbstläufer wird das nicht, denn eine Marke schafft während der Interaktion Erlebnisse – mitunter sogar magisch anmutende. Damit das gelingt, sind einige Voraussetzungen zu schaffen:
1. Interdisziplinär Lösungen erarbeiten
Neue Interaktionsmöglichkeiten mit einer Marke zu etablieren, funktioniert nur, wenn die Expertise unterschiedlichster Disziplinen zusammenkommt: Von der Datenanalyse über die Softwareentwicklung bis hin zum Industriedesign erarbeiten Spezialist:innen gemeinsam eine Strategie und Lösungen. Und dafür braucht es interdisziplinäres Arbeiten und übergeordnete Organisationsprozesse.
2. Die Marke als Service ansehen
Im Hinblick auf neue Interaktionsmöglichkeiten sollten Entscheider ihre Marke als Dienstleistung betrachten: Was ermöglicht die Brand ihren Nutzer:innen? Was ist deren Benefit? Ist die eigene Marke so konzipiert, dass sie auch weiterentwickelt werden kann?
3. Das menschliche Verhalten im Kontext verstehen
Damit Interaktionsmöglichkeiten nicht ins Leere laufen, müssen die jeweiligen Welten der Kund:innen, der Produkte und der Services miteinander verschmelzen. Maßgeblich kommt es dabei auf den Nutzungskontext und die Nutzungssituation an: In welcher Situation geschieht es, in welcher Umgebung, in welchem technischen Ökosystem? Welche Aufgaben sind zu erledigen, was ist dabei das Ziel? Nur wenn es gelingt, beide Seiten – die Produkt- und die Nutzerwelt – übereinanderzulegen, lassen sich entsprechende Produkte mit einer hohen Usability entwickeln, die zur Marke passen und eindrückliche Erlebnisse schaffen. Dabei sind auch bereits eingeführte Interaktionen immer wieder auf den realen Kundenutzen zu überprüfen und zu optimieren.
4. Die Produktionszyklen anpassen
Da es sich bei Eye-Tracking, Sprach-, Gesten- oder Touch-Steuerung um technische Schnittstellen handelt, sind auch die Entwicklungszeiten zu berücksichtigen. Eine neue Hardware benötigt etliche Prozessschritte: vom Problem-Framing über die Idee, das Design und die eigentliche Entwicklungsarbeit bis hin zur Produktion. Der Gesamtprozess dauert in der Regel anderthalb Jahre – oder länger. Die Softwareentwicklung hingegen ist schneller. Hier braucht es meist vier Monate plus X bis zur neuen Lösung. Wenn eine Marke also neue Technologien und Software in ihre Produkte oder Umgebungen integrieren möchte, gilt es, diese Produktionszyklen zu beachten.
5. Neue Form der Etikette einführen
Die Services der Zukunft schließen automatisierte Aktionen ein, die sehr nah an der Bedienung passieren. Beispielsweise könnten automatische Kalendereinträge gleichzeitig Terminkonflikte lösen. Diese Interaktion ist jedoch sehr individuell und persönlich, denn Nutzer:innen möchten selbst entscheiden, ob ihre Reservierung im Restaurant oder ein parallel stattfindender Geburtstag Priorität hat – und das nicht einem Computer überlassen. Darum sollten Markenverantwortliche einiges beachten:
- Statt Verbraucher:innen zu bevormunden, sind ein diskretes Vorgehen und Empathie gefragt.
- Undeutliche Optionen schrecken ab. Marken dürfen Verwender:innen nicht verwirren, indem sie ihnen irgendeine Art von Interaktion anbieten. Die neue Option muss zu dem gegebenen Zeitpunkt oder in der jeweiligen Umgebung für Agierende relevant, zielgerichtet und angemessen sein.
- Unternehmen sollten ihre Nutzer:innen in Bezug auf die neuen Verbindungen nicht erziehen, sondern als Berater fungieren und ihnen eher Tipps und Ratschläge geben.
- Auch wenn wir Automatisierung lieben und gerne Dinge wie von Zauberhand geschehen lassen – eines darf keinesfalls passieren: den Benutzer:innen alle Entscheidungen abzunehmen. Es muss immer eine Chance bestehen, die Automation manuell zu überschreiben.
Es kommt also nicht darauf an, lediglich neue Interfaces zwischen Marken und Menschen zu kreieren. Vielmehr gilt es, ihre Beziehung zu einem Produkt oder einer Marke zu gestalten.
Es geht darum, Kund:innen über neue Interaktionen ein personalisiertes und einzigartiges Markenerlebnis am richtigen Ort und zur passenden Zeit zu bieten. Dafür braucht es Leidenschaft, Kreativität und Innovation. Nur so bauen Marken eine emotionale Beziehung zu ihren Verbraucher:innen auf und binden sie langfristig.
Au Backe: Technik verfolgt Anwender – gnadenlos!
Vermutlich kommt bald der Infrarot-Ultraschall-sonstwas-Sensor, der seine Nutzer über Wände hindurch erkennt und vor allem weiß, was die da gerade so treiben, bzw. wie deren körperlicher Zustand gerade eben Hunger/Durst/Notdurft usw. ist. Immer mit Rückkoppelung mit einem AdServer, der passend dazu gleich noch die richtige Hintergrundanimation heraus gibt, oder diverse Hausheinzelmännchen:innen vorsorglich steuert. Sehr praktisch.