Warum 2022 jedes Unternehmen zum Fintech werden kann

(Bild: Wright Studio / Shutterstock)
Nach dem Boom ist vor der Geschäftsmodellanpassung: Wer weiter wachsen will, muss kreativ werden – und sollte das eigene Fintech-Potenzial ausloten. Der Grund hierfür sind besonders zwei übergeordnete Trends: veränderte Margen und Wertschöpfungsketten sowie die technologische Machbarkeit von neuen Payment-Lösung rund um Open Banking.
Wertschöpfung diversifizieren, Payment sei Dank
Im Zuge der Digitalisierung sind Preise transparenter geworden. Egal, ob ein Tiegel Haargel oder die Dreisitzer-Couch: Der Preis für ein Produkt lässt sich online leicht vergleichen, anders als im stationären Handel. Wenn es also auf jeden Cent ankommt, korrigieren sich Preise eher nach unten, was die Margen immer weiter schrumpfen lässt und damit die Wertschöpfungskette beeinflusst.
Big Player wie Amazon haben sich daher mittlerweile breiter aufgestellt und sind längst nicht mehr nur Händler. Amazon hat mit dem Cloud-Geschäft und dem eigenen Advertising-Angebot, mit dem auf der Plattform Anzeigen geschaltet werden, zwei riesige und margenstarke Asse im Ärmel.
Doch damit endet die Diversifizierung nicht: Amazon hat mit Amazon Pay auch eine Bezahllösung entwickelt, mit der andere Händler die Bezahlung ihrer Produkte abwickeln können, natürlich gegen Gebühr. Für Amazon ist das dreifach smart: Erstens verdienen sie mittels der Transaktion Geld, zweitens sind sie durch die Einbindung auch auf fremden Websites präsent – kostenloses Marketing also, wie es auch Apple Pay oder Google Pay für ihre Angebote erleben – und drittens überspringen sie damit auch noch zwischengeschaltete Anbieter – und ziehen so die komplette Wertschöpfung an sich.
Analoge Services haben weiterhin digitales Potenzial
Das Motto bei dem, was Amazon und viele andere Tech-Unternehmen sehr erfolgreich macht, lautet „cut the middleman“. Das macht Prozesse schneller, unabhängiger und ermöglicht gleichzeitig noch zusätzliche Geschäftsmodelle.
Dieses Prinzip lässt sich auch auf noch recht traditionelle Branchen, etwa den Immobiliensektor, übertragen. Nehmen wir als Beispiel Immobilienmakler:innen. Sie verdienen ihr Geld bisher mit der Provision, die sie mit dem Verkauf von Häusern machen. Sie könnten aber ihre Services erweitern und zusätzlich eine Finanzierung anbieten. Denn meist müssen Häuser finanziert werden, dafür wenden sich die Hauskäufer:innen an eine Bank oder einen Baufinanzierer. Mit der Cut-the-Middleman-Logik ließe sich auch hier die Wertschöpfung ohne Mittelspersonen realisieren, indem Immobilienmakler:innen direkt die Finanzierungen anbieten.
Die Folge wäre ein Win-win-win: Die Immobilienmakler:in würde das Finanzierungsangebot von der Konkurrenz abheben, es gäbe eine zusätzliche Einnahmequelle und die Kund:innen hätten einen Gang weniger zu tun.
Open Banking lässt Unternehmen Fintech-Luft schnuppern
Dass aber gerade das Geschäft mit dem Geld für viele Unternehmen, die keine institutionellen Banken sind, zukünftig so interessant werden kann, liegt an Entwicklungen der vergangenen Jahre. Neue Technologien wie die Möglichkeit zur Nutzung von Schnittstellen (API) sowie regulatorische Entwicklungen sorgen dafür, dass Finanzprodukte sich leichter konzipieren lassen.
Statt also Banking als ein geschlossenes System zu begreifen, sind wir nun in der Zeit des Open Banking angekommen. Das Prinzip des Open Banking sorgt dafür, dass die Daten, die einem Konto zugrunde liegen, von Drittanbietern via API genutzt werden können. So ist es zum Beispiel möglich, dass eine Drittanbieter-App mehrere Konten unterschiedlicher Banken bündelt. Dank der API lassen sich automatisiert personalisierte Kreditangebote machen, ganz ohne Papierkram. Individualisierte Investment-Lösungen, Versicherungsangebote – all das lässt sich nun einfacher lösen.
Die Erwartungen der Kund:innen wachsen mit den Angeboten
Diese Entwicklung ist herausfordernd für klassische Finanzinstitutionen, da sie zunehmend den exklusiven Kontakt zu den Kund:innen zu verlieren drohen. Für branchenfremde Firmen birgt sie hingegen reichlich Potenziale. Mit der neuen Infrastruktur, die technologisch und regulatorisch geschaffen wurde, eröffnen sich viele Möglichkeiten, um als Unternehmen selbst Fintech-Luft zu schnuppern.
Die Kund:innen wiederum werden sich an diese zusätzlichen Angebote sehr schnell gewöhnen und sie bald als Standard ansehen. Mit zunehmend mehr Anbietern, die wie Klarna zu Super-Apps werden wollen oder wie Amazon ein umfassendes Angebot unter dem Marken-Dach haben, wird das Angebot von Payment-Lösungen zum Hygienefaktor. Es ist nicht mehr die Kirsche auf der Torte, sondern wird von den Kund:innen genauso erwartet wie eine schnelle und kostengünstige Logistik.
Dennoch bietet eine kluge Erweiterung des eigenen Business durch Payment-Lösungen das Potenzial, zunächst innerhalb des deutschen Markts aufzufallen und langfristig eine Flywheel-Logik anzustoßen. Die technologischen Machbarkeiten sowie der zunehmende Margendruck liefert 2022 jedenfalls für alle Unternehmer:innen einen guten Grund, sich mit neuen Geschäftsmodellen auseinanderzusetzen.