25 Jahre Amazon in Deutschland: Ein Blick zurück nach vorn
Vor genau 25 Jahren hat Amazon seine deutsche Niederlassung eröffnet und die erste Bestellung in Deutschland abgewickelt – in einer Zeit, in der man bestenfalls per Postkarte oder Telefon aus dem Katalog bestellte und die Ware an der Tür per Nachnahme bezahlte (oder gleich zu einem Sammelbesteller-Shop ging). Wie kein anderes Handelsunternehmen hat der Konzern aus Seattle über die Jahre den Handel verändert – doch nicht immer nur zum Positiven. Den, wie Amazon es betont, 36.000 festen Arbeitsplätzen, die man alleine an den rund 100 Standorten in Deutschland geschaffen hat, stehen zahlreiche Arbeitsplätze im stationären Handel (nicht nur im Buchhandel) gegenüber, die durch die Veränderungen in der gesamten Handelslandschaft weggefallen sind.
Dennoch verdankt der Handel in Deutschland und weltweit Amazon viel – angefangen bei den großen Brands, die mit dem Marketplace eine leistungsfähige Plattform haben, bis hin zu kleineren Gründer:innen und Onlinehändler:innen, für die der Marketplace das Standbein ist, das für Bekanntheit sorgt.
Was über die Jahre die meistverkauften Produkte in Deutschland waren, haben wir euch schon hier gezeigt. Doch das Jubiläum ist zugleich ein Anlass, um nach vorne zu schauen, denn der Konzern aus Seattle hat noch einige aktuelle Baustellen zu meistern. Das sind die fünf größten Aufgaben im Amazon-Universum:
Einkaufen und Personalisierung: Wissen, was der/die Kund:in will
Um die Jahrtausendwende war Amazon der erste Versender, der in großem Umfang Personalisierung und Predictive Commerce geschaffen hat. Natürlich hieß das damals noch nicht so, aber mit der Funktion „Kunden, die sich für x interessierten, wollten auch y“ und dem dazugehörigen Algorithmus war man ganz weit vorne. Und selbst im datenschutzsensiblen deutschen Markt waren die Kund:innen nur allzu gerne bereit, einen Teil ihrer Privatsphäre aufzugeben und Informationen über sich gegen die damit verbundene Convenience zu tauschen. In den nächsten Jahren wird künstliche Intelligenz all das auf eine bislang nicht gekannte Ebene heben. Die Systeme werden dank multivariater Datenanalyse und auf der Basis datenbasierten Verhaltens besser denn je voraussagen können, was uns ansprechen könnte. Sie werden dazulernen und auf deutlich besser verschränkte Datenschätze bauen können.
Amazon-Kund:innen mehrfach täglich ansprechen
Als vor gut fünfzehn Jahren bei Amazon die Idee reifte, mit den Kund:innen am besten täglich im Kontakt zu stehen, konnten sich viele Mitbewerber:innen nicht vorstellen, dass das funktionieren könnte. Das war noch vor Smartphones, vor Smart TV und vor allem vor der Erfindung der unterschiedlichen Amazon-Devices. Dass Amazon es so smooth schafft, nah an den Kund:innen zu sein, ist faszinierend und erschreckend zugleich. In Zukunft wird sich all das noch intensivieren – durch Amazon-Devices, die in vielen Haushalten bereits im Kinderzimmer stehen, in der Küche und im Bad, aber auch durch Wearables und Apps, die viele Verbraucher:innen viele Male am Tag mit mehr oder weniger belanglosen Daten füttern.
Mit Infrastruktur und Cloud die Unabhängigkeit sichern
Wie kein anderes Unternehmen hat es Amazon über die Jahre verstanden, die eigenen Ressourcen auch an Dritte zu verkaufen – eine Art Beifang mit reichlich zusätzlichem Umsatzpotenzial. Egal, ob es sich um die Cloud in Form der AWS handelt, um die Infrastrukturleistungen im Paketversand oder nicht zuletzt auch um das Fulfillment im Zusammenhang mit der Marketplace-Plattform – Amazon hat sich damit unabhängiger vom Auf und Ab des Handels gemacht und konnte sich gerade in der Post-Corona-Delle, die den E-Commerce ereilt hat, besser schlagen als die Mitbewerber. In Zukunft werden diese zusätzlichen Standbeine neben dem E-Commerce wichtiger denn je. Dabei wird Amazon nicht mehr nur wie bisher mit den westlichen Mitbewerber:innen in Konkurrenz stehen, sondern vermehrt auch mit asiatischen und speziell chinesischen Plattformen.
Innovationen richtig einschätzen und auch einmal ad acta legen
Und nicht zuletzt muss es Amazon auch in den nächsten 25 Jahren schaffen, innovativ zu bleiben, aber auch rechtzeitig bei Geschäftsfeldern, die nicht funktionieren, auf die Bremse treten. Die letzten Jahre konnte Amazon auch aufgrund der Sonderkonjunktur durch die Coronakrise aus den Vollen schöpfen, doch inzwischen stehen ähnlich wie bei anderen Digitalkonzernen auch im Amazon-Konzern viele Geschäftsfelder unter Beobachtung. Die Weiterentwicklung der Cloud, Smart-Energy-Konzepte und alles, was mit dem Nachhaltigkeitsthema zu tun hat, stehen sicher auch in Zukunft im Fokus des Unternehmens – aber beispielsweise die Weltraumaktivitäten oder alternative Verkehrskonzepte müssen sich über kurz oder lang refinanzieren. Auch in das Geschäftsfeld der Smartspeaker als Einkaufs-Devices hat das Unternehmen sehr lange investiert, ohne hier eine ausreichende Refinanzierungschance zu sehen. Kurzum: Ohne Innovation und unternehmerisches Wagen geht es nicht, doch der finanzielle Spielraum wird zumindest in der nächsten Zukunft eher kleiner.
Zum gesellschaftlich anerkannten Arbeitgeber werden
Viel wurde im letzten Vierteljahrhundert über Arbeitsbedingungen in den deutschen Niederlassungen von Amazon diskutiert und regelmäßig ruft Verdi wieder zu Streiks in den Logistikzentren auf. Von Überwachung und Druck ist da die Rede, von einem „sehr amerikanischen Arbeitsklima“, wie es insbesondere Verdi-Vertreter:innen nennen. Die Wahrheit ist, dass Amazon im Branchenvergleich zumindest marktgerechte Löhne zahlt, um überhaupt die benötigten Arbeitskräfte einstellen und bestenfalls halten zu können. Doch die andere Seite der Medaille ist, dass das Unternehmen trotz umfangreicher ESG-Bemühungen noch immer in der Kritik steht. Gerade in Zukunft wird es darauf ankommen, diese Seite des Geschäfts zu betonen, denn immer mehr Kund:innen entscheiden sich, wenn sie die Wahl haben, für ein Unternehmen mit Haltung.