Bei Android 9 Pie stehen im Unterschied zum Oreo-Update, bei dem die Neuerungen überschaubar waren, wieder zahlreiche optische Optimierungen bereit. Am offensichtlichsten ist dabei die neue gestenbasierte Steuerung – nichtsdestotrotz hat Google auch unter der Haube vieles umgebaut und mehr KI-Funktionen integriert. Wir werfen einen Blick auf die wichtigsten Änderungen.
Android 9 Pie: Endlich zeitnahe Updates?
Google hat mit Android N(ougat) einen neuen Releasezyklus eingeführt, mit dem Smartphone-Hersteller und Entwickler genügend Zeit bekommen sollten, ihre Software und Apps an die neuen OS-Versionen anpassen zu können. Wie sich herausstellte, war es in der Theorie eine gute Idee, in der Realität zeigten die meisten Hersteller wenig Ambitionen, ihre Geräte zeitnah auf eine neue Android-Version zu hieven. Beim Update auf Oreo haben sich Smartphone-Hersteller richtig viel Zeit genommen.
In diesem Jahr sehen wir aber die Hoffnung auf eine Trendwende, die Google schon mit Android 8.0 und dem Project Treble angestoßen hat. Denn Android wurde auf eine modulare Architektur gestellt, die für Hersteller weniger Aufwand bedeutet, das OS mit den eigenen Modifikationen beziehungsweise Nutzeroberflächen zu versehen. Dass der Umbau funktioniert, stellten Entwickler bereits unter Beweis. Überdies hatte das Startup von Android-Gründer Andy Rubin am 6. August eine Überraschung parat: Das Essential-Phone hat sein Pie-Update am gleichen Tag wie Googles Pixel-Modelle erhalten. Die Hoffnung ist groß, dass andere Hersteller auch schneller liefern werden. Aber auch mit Pie wird Android nicht so eine rasche Verbreitung finden, wie Apple es mit seinen iOS-Updates schafft.
Jetzt lesen: Android 9.0 Pie: Diese Smartphones bekommen das neue Update
Die neue Gestensteuerung in Android 9 Pie: Guter Ansatz, nicht perfekt
Während Hersteller die schnellen Updates erst noch unter Beweis stellen müssen, widmen wir uns mit der neuen Gestensteuerung einer konkreten Funktion. Ähnlich wie bei Apples iPhone X bringt das Pie-Update eine Gestensteuerung, die sich an Palms webOS anlehnt.
Sieben Jahre nach Einführung der Onscreen-Tasten mit dem Galaxy Nexus entledigt Google sich dieses Features und ersetzt es durch die Gestensteuerung. Anstelle der drei klassischen Tasten prangt nur noch ein länglicher Button mit abgerundeten Ecken, der an ein „Tictac“ erinnert, und nicht nur die Aufgabe des bisherigen mittigen Homebuttons übernimmt.
So könnt ihr damit mit einem Tap nicht nur auf den Homescreen zurückkehren und per Langdruck den Google Assistant aktivieren. Ein Wisch ins Display hinein öffnet den Multi-Tasking-Button, der die zuletzt genutzten Apps anzeigt. Durch die Apps navigiert ihr, indem ihr das Tictac nach rechts zieht, ein kurzer Zug daran bringt euch in die zuletzt genutzte App. Wollt ihr den App-Drawer öffnen, müsst ihr eine eine längere Wischbewegung nach oben ins Display durchführen. Das Ganze klingt vielleicht etwas umständlich, funktioniert aber ausgesprochen gut. Es sollte zudem erwähnt werden, dass ihr dank der neuen Gestensteuerung selbst aus jeder App heraus in den App-Drawer gelangen könnt – bislang musste stets erst per Druck auf den Homebutton auf dem Homescreen zurückgekehrt werden.
In der Multitasking-Ansicht befindet sich unter der Übersicht außerdem eine Google-Suchleiste und eine Auswahl an Apps, die sich je nach Nutzungsverhalten anpasst. Hier kommen Googles Machine-Learning-Algorithmen ins Spiel, die lokal auf dem Gerät ausgeführt werden – die Google-Cloud ist nicht erforderlich. Öffnet ihr den App-Drawer, wandert diese Übersicht übrigens über die komplette App-Auswahl. Im Alltag entpuppen sich die von der KI angebotenen Anwendungen als durchaus nützlich.
Die Umgewöhnung an die neue Navigation geht überraschend schnell vonstatten und fühlt sich wie ein Schritt in die richtige Richtung an. Allerdings hat Google sie noch nicht so konsequent umgesetzt wie etwa Apple. Zum einen nimmt der Tictac-Button immer noch unnötigen Raum auf den Display ein, zum anderen vermissen wir eine Zurückgeste – unter Android 9 wird in der Multi-Tasking-Ansicht immer noch der Zurück-Button eingeblendet. Eine Wischgeste nach Links hätte es womöglich auch getan. Entsprechend mutet die Steuerung ein wenig wie ein Zwischenschritt an. Immerhin: Das umgestaltete Design des App-Switchers, in dem ihr eine App mit einem Wisch nach oben auswerfen könnt, ist überwiegend gelungen.
Verbesserungswürdig ist allerdings noch die Art und Weise, wie der Multi-Window-Modus aktiviert wird. Bislang genügte ein Tap auf den Multitasking-Button und eine Wischbewegung der jeweiligen App Richtung oberer Displayrand. Unter Pie müsst ihr erst die Multitasking-Übersicht aufrufen, auf das runde App-Icon der jeweiligen Anwendung drücken, wodurch sie ein Menü öffnet. Dort tappt ihr dann auf Bildschirm teilen – eindeutig zu viele Schritte. In der Übersicht findet ihr zudem die Möglichkeit, direkt zur App-Info zu springen, wo ihr etwa die Hintergrunddaten und mehr einschränken könnt.
Die Gestensteuerung dürfte beim Pixel 3, das im Herbst erscheinen wird, als Standard eingestellt sein. Smartphone-Hersteller haben derweil immer noch die Option, auf die klassischen drei Onscreen-Buttons zu setzen. Langfristig wird Google die neue Navi mit Sicherheit zum Standard machen – und sinnvoll erweitern.
Mehr lokales Machine-Learning mit Android 9 Pie
Eine weitere große Neuerung ist wie schon angedeutet die Integration von Machine Learning. Neben der Anzeige besagter individueller Apps im Taskswitcher hat Google zusätzlich App-Aktionen integriert, die kontextbasiert Aktionen oder Apps im App-Drawer zwischen der App-Übersicht einblenden.
Laut Google soll das Feature voraussagen, was ihr als nächstes tun wollt und diese Aktion direkt auf eurem Handy anzeigt. Beispielsweise könnte euch morgens auf dem Weg zur Arbeit die Navigation zum Büro per Google Maps vorgeschlagen werden. Ebenso könnte auch Google Play Books oder die Podcast-App angeboten werden, um das zuletzt gehörte Hörbuch oder einen Podcast fortzusetzen. Im Alltag empfand ich die vorgeschlagenen App-Aktionen zwar als teils sinnvoll, jedoch hat sich mein Smartphone-Nutzungsverhalten derart eingeschliffen, dass ich nie auf die Idee kam, diese Buttons zu drücken.
Das lokale Machine Learning kommt zudem auch bei Funktionen zur Verlängerung der Akkulaufzeit und der Displayhelligkeit zum Einsatz. Mit der Funktion Intelligenter Akku wird den Batterieverbrauch von selten verwendeten Apps begrenzt, während Akkuleistung von häufig genutzten Apps entsprechend priorisiert wird. Mit der Funktion Automatische Helligkeit lernt das System, wie ihr die Bildschirmhelligkeit in verschiedenen Situationen einstellt – und übernimmt es dann automatisch für euch.
Android 9 Pie mit aufgebohrtem Benachrichtigungssystem
Erweitert und mit Intelligenz ausgerüstet hat Google auch das schon gute Benachrichtigungs-Management. Stellt Android Pie etwa fest, dass ihr bestimmte Benachrichtigungen ohne weitere Interaktion wegwischt, empfiehlt euch das System, den entsprechenden Kanal zu deaktivieren. Bestimmte App-Benachrichtigungen könnt ihr außerdem manuell abstellen oder nachträglich wieder aktivieren. Hierfür bewegt ihr euch in den Menü-Punkt Apps und Benachrichtigungen, wählt dort die entsprechende App aus und öffnet den Punkt Benachrichtigungen. In Instagram stehen euch etwa diverse Optionen zur Auswahl. Beispielsweise könnt ihr Benachrichtigungen über Uploads oder Anfragen von Direktnachrichten und weitere ausstellen.
Zudem sind die Benachrichtigungs-Kanäle nun in Kategorien aufgeteilt worden, wodurch sie einerseits übersichtlicher werden. Andererseits besteht die Option, ganze Kategorien auszustellen.
Antworten direkt aus der Benachrichtigungsleiste – auch mit Stickern
Mit Android 9 Pie erhält die Benachrichtigungsleiste noch weitere praktische Features: Viele Messaging-Apps zeigen dort künftig nicht nur die letzte Nachricht an, sondern einen Teil des Chats. Insbesondere bei Gruppenchats muss nicht mehr zwingend in die App gewechselt werden, um den Kontext zu erfassen.
Darüber hinaus erlaubt Pie es auch, direkt aus Benachrichtigungsleiste Sticker und Bilder einzufügen. Des Weiteren müsst ihr nicht mehr jede Antwort tippen, wie etwa in Gmail könnt ihr aus vorgefertigten Antworten, den Smart-Replys, wählen.
Android 9 Pie: Google hat an der Bluetooth-Schraube gedreht
Nett: Das Bluetooth-Symbol wird in der Benachrichtigungsleiste nur dann angezeigt, wenn eine aktive Verbindung zu einem Gerät besteht. Bei verbundenen Smartwatches wird es indes nicht angezeigt. Etwas weniger durchdacht: Um Kopfhörer oder andere Bluetooth-Geräte, die schon einmal mit dem Smartphone gekoppelt waren, neu zu verbinden, ist es erforderlich, in die Bluetooth-Einstellungen zu gehen und entsprechendes Gerät eine Ebene tiefer nach dem Tap auf Zuvor verbundene Geräte auszuwählen. Das ist ein Schritt mehr, als noch unter Android Oreo erforderlich war.
Android Pie merkt sich die Lautstärke-Einstellungen für jedes Bluetooth-Gerät
Google hat in Sachen Bluetooth weitere Dinge verändert: So lassen sich unter Pie bis zu fünf Geräte verbinden und nahtlos zwischen ihnen hin- und herwechseln. Android Oreo unterstützte lediglich zwei gleichzeitige Verbindungen. Zudem merkt sich das System die letzte Lautstärkeposition jedes Bluetooth-Lautsprechers und -Kopfhörers.
Android 9 Pie mit Designanpassungen und neuem Textauswahl-Werkzeug
Positiv hervorhebenswert ist das verbesserte Textauswahl-Tool: Orientiert an Apples iOS wird der ausgewählte Teil mitsamt Cursor wie durch eine Lupe vergrößert.
Android Pie hat auch einige Designoptimierungen an Bord. Benachrichtigungen und Elemente zur Mediensteuerung sind wie etwa in der Google-App in abgerundeten Karten untergebracht, was optisch schon was hermacht. Die Systemeinstellungen hat Google ebenso überarbeitet und mit bunten Icons versehen, was jedoch ein wenig an die Samsung-Experience als an Googles Material Design anmutet.
Mit Pie ist es ferner möglich, zwischen einem hellen und dunklen Theme zu wählen. Die dunklen Elemente reduzieren sich jedoch auf zentrale System-Komponenten wie den Launcher, die Schnelleinstellungen (die Quick-Settings) und den Google Feed. Die Systemeinstellungen werden jedoch nicht in den Farbwechsel einbezogen und bleiben stets hell. Apps von Drittanbietern sind ebenso ausgenommen.
Lockdown: Android 9 Pie mit „Antipolizeitaste“
Google hat Pie eine Prise mehr Sicherheit verpasst. Nicht nur sind in die neue Android-Version ein verbessertes Sicherheitsmodell für Biometrie und relevante Verbesserungen der Privatsphäre wie standardmäßiges TLS und DNS über TLS integriert. Falls ihr euer Gerät vor Dritten oder Behörden schützen wollt, bietet Pie eine Sperrfunktion, ähnlich wie Apple sie in iOS 11 hineingebacken hat.
Durch Aktivierung der Sperrfunktion werden biometrische Entriegelungsmethoden wie Gesichtserkennung oder der Fingerabdrucksensor deaktiviert. Nur durch die Eingabe eurer Pin oder des Entsperrmusters kann das Gerät freigeschaltet werden. Standardmäßig ist die Funktion deaktiviert, sie lässt sich in den Einstellungen unter Sicherheit und Standort > Einstellungen für den Sperrbildschirm aktivieren. Der entsprechende Sperr-Button zeigt sich, wenn ihr auf den Powerbutton drückt.
Android 9 Pie: Viele Optimierungen im Detail
In Android 9 Pie sind noch viele weitere kleine und größere neue Features versteckt, mit denen das System noch besser wird. Dazu gehören etwa der Button zum Erstellen von Screenshots, der über den Powerbutton erreicht wird. Erstellte Screenshots lassen sich außerdem in einem Editor schnell mit Anmerkungen versehen oder bearbeiten und versenden.
Auf dem Ambient-Display wird fortan neben der Uhrzeit und dem Wetter auch der Akkustand in Prozent eingeblendet, sodass ihr immer im Blick habt, ob das Gerät aufgeladen werden muss.
Ebenso praktisch: Ist das Display nicht auf automatische Rotation gestellt, wird euch beim Drehen vom Porträt- in den Landscape-Modus in der Navigationsleiste ein kleines Icon angezeigt. Erst wenn ihr darauf tappt, wird der Displayinhalt gedreht.
Der mobile Hotpost zum Aufbau einer WLAN-Verbindung ist auch ein wenig „smarter“ geworden: Er wird automatisch deaktiviert, wenn kein Gerät mehr verbunden ist. Auf diesem Wege wird der Akku geschont. Das Feature ist standardmäßig aktiviert, kann bei Bedarf aber ausgestellt werden.
Digital Wellbeing kommt später
Mit Digital Wellbeing hatte Google schon im Mai auf der Entwicklerkonferenz I/O eine Funktion angekündigt, die euch mehr Kontrolle über euer Smartphone-Nutzungsverhalten geben soll. Teil der finalen Pie-Version ist es jedoch noch nicht, weshalb wir an dieser Stelle noch nicht darauf eingehen. Das Unternehmen bietet für Besitzer eines Pixel-Geräts jedoch die Möglichkeit, sich zu einem Betaprogramm anzumelden, um das Tool vorab auszuprobieren. Digital Wellbeing wird Google zufolge im Laufe des Herbsts offiziell auf Pixel-Smartphones landen, Android-One- und andere Geräte sollen noch in diesem Jahr folgen.
Android Pie: Pixel zuerst, viele andere schon im Herbst – sagt Google
Wie für Android üblich haben die Pixel-Geräte Googles zuerst ihr Stück Torte (Pie) erhalten, laut Google soll das Update bis zum späten Herbst für viele andere Geräte folgen. Wie eingangs erwähnt, könnte der Update-Prozess der Hardware-Partner in diesem Jahr dank Project Treble schneller angekurbelt werden – Essential hat gezeigt, dass es geht.
Welche Smartphones im Laufe der kommenden Monate ihr Stück vom Pie bekommen dürften, haben wir in folgendem Artikel zusammengefasst: