Die Suche nach Personal wird für deutsche Firmen immer schwieriger. Die Sorge ist inzwischen so groß, dass Unternehmen den Fachkräftemangel sogar problematischer einstufen als steigende Energie- oder Rohstoffpreise. Tatsächlich hat sich die sogenannte Fachkräftelücke im vergangenen Jahr sogar mehr als verdoppelt, so das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (Kofa) des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).
Die Zahl der offenen Stellen, für die es rechnerisch bundesweit keine qualifizierten Arbeitskräfte gab, stieg bereits 2021 von rund 213.000 im Januar auf satte 465.000 im Dezember. Und: Der Fachkräftemangel umfasst inzwischen den gesamten Arbeitsmarkt.
Am stärksten klaffte die Fachkräftelücke im Berufsfeld „Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung“, dicht gefolgt von „Bau, Architektur, Vermessung und Gebäudetechnik“. Besonders stark verschärft habe sich der Fachkräfteengpass zuletzt in den Berufsbereichen „Naturwissenschaften, Geografie und Informatik“ sowie „Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit“.
Es fehlt quasi an allem: Pfleger:innen, Fernfahrer:innen, Handwerker:innen, Polizist:innen, Lehrer:innen und auch weiterhin vor allem an Programmier:innen. Besonders brisant: Selbst Personalexpert:innen sind inzwischen Mangelware. Die Entwicklung gefährde die Wachstumspläne vieler Betriebe, schreibt das Handelsblatt.
IT-Fachkräftemangel ist real: 137.000 Stellen offen
Satte 137.000 Stellen für IT-Expert:innen waren 2022 laut dem Digitalverband Bitkom vakant. Doch wie können Unternehmen auf diesen Arbeitsmarkttrend reagieren? Cawa Younosi ist Personalchef Deutschland bei dem Software-Konzern SAP und weiß, wie wichtig IT-Talente inzwischen für alle Arbeitgebenden sind. Im t3n-Gespräch hat er fünf wichtige Säulen für ein nachhaltiges Personalmanagement, das die IT-Fachkräftelücke adressiert, kommentiert.
1. Entwicklung eines attraktiven Vergütungssystems
Mit dem Grundgehalt allein haut man IT-Fachkräfte nicht mehr vom Hocker, erklärt Cawa Younosi: „Die Welt wird komplexer und auch das Wissen der Talente in dem Bereich rund um Incentives. Sie verstehen beispielsweise ganz genau, was Aktienprogramme für sie leisten können.“ Younosi rät deshalb dazu, den Zugang zu entsprechend modernen Vergütungssystemen zu erleichtern. Wichtig sei vor allem, „individualisierbare und flexible Modelle anstatt lediglich starre ‚Take it or leave it‘-Pakete zu schnüren.“ Alternativ plädiert der SAP-Personalchef bei Unternehmen dafür, die kein Aktienprogramm unterhalten, ein wertschätzendes Bonussystem zu entwickeln.
2. Mitarbeiterentwicklung entlang des Geschäftsmodells
Lebenslanges Lernen ist kein Buzzword, sondern existenziell: „Die Welt bleibt nicht stehen und Geschäftsmodelle sind nicht von den Mitarbeitenden abgekoppelt. Sie sind es, die sie treiben, ausführen und verstehen müssen“, so Cawa Younosi. Dem SAP-Manager nach seien Ziele und Pläne nur Dekoration, wenn niemand in der Lage beziehungsweise überzeugt ist, sie umzusetzen. „Hierfür sind Fähigkeiten wie Empathie, emotionale Intelligenz und Kulturverständnis, die früher als weich belächelt wurden, eine absolute Basis.“ Mitarbeitende bräuchten diese Skills, um zu verstehen, mitzuziehen und andere Talente anzustecken. Es sei enorm wichtig, diese Entwicklung zu ermöglichen.
3. Anpassung des Bewerbungsprozesses auf Bedürfnisse
Dass Unternehmen sich bei Mitarbeitenden bewerben müssen, sei ein „Ausdruck eines anderen Verständnisses von Bewerbungsprozessen“, so Cawa Younosi. Genauso wie die Unternehmen in der Vergangenheit individuell wahrgenommen und kontaktiert werden wollten, wollen auch die Talente inzwischen möglichst individuell angesprochen werden, erklärt der Personalchef. Das heißt unter anderem auch, genau zu überlegen, wie Bewerbende ihre Unterlagen einreichen können. Das fängt beim Anschreiben an, das oft unnötig ist, da es für viele Jobs kaum Relevanz besitzt und die Hürden einer Bewerbung unnötig erhöht, und geht über in technische Innovation, wie etwa die Option einer 1-Click-Bewerbung.
4. Aufbau einer authentischen Employer-Brand
„Ein authentisches Employer-Branding ist die Spiegelung dessen, was man für die bestehende Belegschaft bereits auf die Beine gestellt hat“, erklärt Cawa Younosi. Gelingt die hohe Begeisterung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für das eigene Unternehmen, spreche sich das auch im externen Arbeitsmarkt sehr schnell rum. Die Empfehlungen der Kolleginnen und Kollegen würden deutlich zunehmen, „was das Beste ist, das einem als Arbeitgeber passieren kann“, so der SAP-Manager. Teammitglieder übernehmen so die Rolle von Recruitern und sind authentische Corporate-Influencer. Talente wiederum vertrauen keinem Werbeplakat, sondern den Menschen, die dahinterstehen.
5. Aufsetzen einer nachhaltigen New-Work-Strategie
IT-Fachkräfte arbeiten in einem globalen Markt, so Cawa Younosi im t3n-Gespräch. „Wo jemand aktuell sitzt, ist gar nicht mehr so relevant.“ Wichtig sei es am Ende zwar für den deutschen Standort, beste Ausbildungsbedingungen zu ermöglichen, sodass Nachwuchstalente hierzulande gefunden und rekrutiert werden können, für ausgebildete Fachkräfte gilt jedoch: „Menschen leben da, wo ihre Familien sind, ihr soziales Netzwerk und dort wollen sie in der Regel auch arbeiten.“ Bei dem Software-Konzern würden die HR-Verantwortlichen deshalb mit „einem globalen Ansatz arbeiten und den Arbeitsplatz zu den Menschen bringen, nicht andersrum“, so der SAP-Personalchef.
Es gab vor kurzem eine weiteren Aspekt im Podcast „Wohltemperierte digital“ wo es um den Engpass 4.0 ging. Gibt noch Mal einen anderen Blick auf das Thema.
Das ist ja alles schön und richtig, aber das führt doch im besten Fall nur zu einer Umverteilung der gleichen Arbeitskräfte von einem Unternehmen zum anderen? Und dann zu einem immer stärkeren Battle um die gleichen Leute.. Wichtig wäre doch eine Strategie, wie man die Grundgesamtheit erhöht, also MEHR IT-Fachkräfte ausbildet, die vorher ein ganz anderes Studium / Ausbildung in Erwägung gezogen hätten. Oder eben die Rekrutierung in anderen Märkten forciert und die Menschen von ihrem Heimatland aus arbeiten lässt, Full Remote. Geht SAP in die Schulen und überzeugt dort Abgänger, statt der Ausbildung bei einer Bank (das gibt es immer noch) eine IT-Karriere anzustreben?
„Das ist ja alles schön und richtig, aber das führt doch im besten Fall nur zu einer Umverteilung der gleichen Arbeitskräfte von einem Unternehmen zum anderen?“
Richtig, aber nichts daran ist falsch. Denn zum einen steigen damit für alle in der Branche die Gehälter und zum anderen beißen den letzten die Hunde. Sprich: Es kegelt die Ausbeuter mit Minigehältern aus dem Markt. Die Grundgesamtheit zu erhöhen saugt auch nur Potential aus anderen Märkten. Bis 2030 geht ein Drittel der Richter und Staatsanwälte in Rente und bis 2045 verdoppelt sich die Zahl der Pflegebedürftigen….