FloC, Topics und was dann? Googles Privacy-Sandbox-Initiative weitergedacht

„Fail fast“ ist ein im Google-Umfeld häufig gehörtes Mantra. Dahinter steckt die Philosophie, Produkte in einem noch frühen Entwicklungsstadium an den Markt zu bringen, um sie dann in der Live-Umgebung weiterzuentwickeln.
Doch so weit kam das User-Tracking Federated Learning of Cohorts (FloC) gar nicht, bevor es der Treibsand der Google Privacy Sandbox wieder verschluckt hatte. Die Werbebranche befürchtete eine Monopolstellung von Google-Daten und Datenschützer hielten das Clustering von Nutzergruppen anhand von Browsing-Daten für bedenklich.
Der prompte Nachfolgevorschlag heißt Topics. Doch greift dieser Ansatz? Und was haben die Nutzer und die Werbetreibenden davon? Brauchen wir einen neuen Standard und tragen die Browser-Anbieter, immerhin und einmal mehr die entscheidenden Player, dies mit? Jedenfalls lohnt ein genauer Blick auf die Dinge.
Transparenz in beide Richtungen
Bei Topics bleibt das Grundgerüst von FloC erhalten, es wird lediglich etwas transparenter und weniger kryptisch. An die Stelle abstrakter Kohorten treten für jedermann verständliche Interessengruppe, und zwar basierend auf den Themenkategorien (Topics) der besuchten Websites. Die können sowohl von Websitebetreibern (zu Werbezwecken) ausgelesen als auch von den Nutzern selbst eingesehen und korrigiert werden.
Im Kern können Nutzer mit einem Google-Account das auch jetzt schon in ihren Einstellungen für personalisierte Werbung tun – allerdings sind die dort enthaltenen Daten auch nur von Google nutzbar. Und wirft man von Zeit und Zeit einen Blick auf die Vielfalt der dort gelisteten „Interessen“, die man angeblich habe, erscheint es auch aus Sicht der Werbetreibenden sinnvoll, dass diese im Rahmen von Topics wöchentlich aktualisiert und nach drei Wochen gelöscht werden sollten.
Es scheint also, als hätte sich Google an einen Leitgedanken der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) erinnert und diesen konsequent in sein neues Produkt einbezogen: Transparenz. Und zwar Transparenz in beide Richtungen.
Was sollte ein Publisher denn mit der Information anfangen, dass sich irgendwelche Kohorten mit kryptischen ID, die mithilfe künstlicher Intelligenz geclustert wurden, auf seinen Seiten rumtreiben? Eine Interessengruppe namens Reisen oder Motorsport ist da schon viel aussagekräftiger. Und der Chrome-Nutzer freut sich ebenfalls, dass ihm endlich mal klar kommuniziert wird, was Google so über ihn weiß. Dann müssten jetzt eigentlich alle zufrieden sein, oder? Gäbe es jetzt eine Live-Befragung, würden gleichwohl nur wenige mit Ja stimmen. Was also ist das grundlegende Problem?
Dezentrale Personal-Online-Data-Stores
Das grundlegende Problem besteht in dem Interessenkonflikt von Google als Gatekeeper des Datenschutzes einerseits und als wirtschaftlicher Profiteur von Nutzerdaten andererseits. Und selbst wenn Google das eine von dem anderen zu trennen in der Lage wäre, bliebe doch das beständige Misstrauen. Tim Berners-Lee, den meisten als „Vater des Internets“ bekannt, sagte einmal, dass die begründete Skepsis der Öffentlichkeit hinsichtlich des Missbrauchs personenbezogener Daten darin begründet liegt, dass ihre Daten in unterschiedlichen Silos verwaltet werden. Dieses Misstrauen wiederum habe zu immer komplexeren Datenverordnungen geführt. Seine Lösung für dieses Problems: dezentrale Personal-Online-Data-Stores (Pods). Dafür rief Berners-Lee 2018 ein Open-Source-Projekt namens Solid (Social Linked Data) ins Leben.
Kerngedanke von Solid ist, dass jeder Nutzer einen oder auch mehrere Pods besitzt und über diese dann alle seine persönlichen Daten verwaltet. Wenn Daten im Pod einer Person gespeichert werden, kontrolliert genau diese Person, welche anderen Nutzer und welche Anwendungen darauf zugreifen können. Alle Daten in einem Solid Pod werden in standardisierten, offenen und interoperablen Datenformaten und -protokollen gespeichert und abgerufen. Dadurch können verschiedene Anwendungen mit denselben Daten arbeiten. Als Beispiel ein einfacher Anwendungsfall: In einem Pod werden die eigenen Kreditkartendaten gespeichert, und allen Onlineshops, bei denen man einen Account hat, wird darauf Zugriff gewährt. Vorteil: Im Falle eines Kreditkartenwechsels müsste dann nur an dieser einen Stelle die neue Karte hinterlegt werden.
Consent als Lösung der Probleme
Wenn wir die Vision von Tim Berners-Lee auf die digitale Werbewirtschaft übertragen, ergibt sich ein gleichsam herausfordernder wie interessanter Gedanke. Was wäre, wenn sich Google, Apple, Mozilla, Microsoft und alle anderen Browser auf eine solche dezentrale Lösung verständigen würden? Damit hätten Nutzer tatsächlich die vollständige Transparenz und Hoheit über ihre Daten und alle Browser und Werbetreibenden hätten die gleichen Chancen, darauf zuzugreifen. Aber würden die Nutzer ihre Daten auch teilen? Das ist die große Frage, an der alle Fäden zusammenlaufen, und deren Antwort gleichsam Ursprung als auch Lösung aller Probleme ist: Consent.
Sobald Nutzer ihre Einwilligung geben, sind fast alle Sorgen der Werbetreibenden dahin. Allerdings sind die derzeitigen allgegenwärtigen Consent-Banner nur eine lästige Krücke des Datenschutzes, die auf allen Seiten nichts als Frustration bewirken. Ein übergreifender, individuell konfigurierbarer Consent für gewisse Datentransfers ist also sowohl im Sinne der Nutzer als auch der Werbetreibenden. Statistiken belegen, dass Nutzer, die sich gut informiert darüber wähnen, wofür ihre Daten eingesetzt werden, diese auch bereitwilliger teilen. Am Ende gäbe es eine Win-win-win-Situation. Die gesetzlichen Datenschutzbestimmungen wären eingehalten. Für die Nutzer wird das Web barrierefreier und transparenter. Und der Werbewirtschaft winkt eine bestmögliche Datenqualität – wenn sich die Branche darauf einlässt, diesen steinigen Weg gemeinsam zu beschreiten und für alle Beteiligten zu ebnen.
Das Problem von Solid ist trotz einer sehr aktiven Community die Tatsache, dass es noch nicht allzu viele Menschen gibt, die einen Pod haben, um Plattformen, Unternehmen oder Institutionen zu überzeugen, diese Technologie einzubinden. Durch die fehlenden Anbindungen gibt es wiederum wenig Nutzeranreize.
Die Lösung? Alle großen Browser-Anbieter etablieren diesen oder einen ähnlichen Standard. Dann sähe die Welt schon ganz anders aus. Und ich würde sagen: ein großes Stück besser.