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MIT Technology Review Kommentar

KI könnte bald auch unsere Beziehungen verändern – doch das muss nicht schlecht sein

Anfangs war KI-generierte Pornografie noch eher lächerlich oder gruselig, doch inzwischen sehen sie immer realistischer aus und können individueller gestaltet werden. Unser Autor kann der Entwicklung etwas Positives abgewinnen.

Von MIT Technology Review Online
6 Min.
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Bild: Israel Vargas

Die Macht der Pornografie liegt nicht in unserer Erregung, sondern in mehreren Fragen. Was ist unanständig daran?, lautet eine davon. Die andere: Was ist ethisch vertretbar und „safe to watch“? Man muss kein Erotikkonsument sein oder gar Fan, doch Pornografie wird trotzdem diese Antworten verlangen. Und jetzt kommt eine neue hinzu: Was ist noch „echte“ Pornografie?

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Anti-Porno-Kreuzzüge stehen seit Generationen im Mittelpunkt vieler Kulturkriege, in Amerika und anderswo. Anfang der 2000er Jahre war damit gefühlt Schluss. Smartphones machten es zu einfach, diese Inhalte zu verbreiten, ihnen einen Maulkorb zu verpassen, schien unmöglich. Und Pornografie wurde zu einem politisch heiklen Thema, das zu sehr mit der freien Meinungsäußerung und Technologie verwoben war, die sich doch weiterentwickeln sollten. Es kam also zu einem unbequemen Waffenstillstand: Solange das Bildmaterial freiwillig von Erwachsenen erstellt wurde, die dazu eingewilligt hatten, und die Inhalte jenseits von Bezahlschranken oder wenigstens Altersüberprüfungssystemen blieben, redeten wir nicht weiter darüber.

KI ruft Debatte um Pornografie hervor

Das könnte sich bald wieder ändern. Grund ist KI-generierte Pornografie, die mittlerweile nicht nur am Esstisch, beim Elternabend oder in Politikerrunden diskutiert wird, sondern längst bei Behörden und Gerichten. Das „Project 2025“, der von der konservativen Heritage Foundation unterstützte Politikplan für eine künftige republikanische Regierung, schlägt gar die Kriminalisierung von Pornos und die Verhaftung ihrer Schöpfer vor.

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Was aber, wenn Pornos vollständig von einem Algorithmus erstellt werden? In diesem Fall wird die Frage, ob sie erlaubt (weil sie in den USA nicht unter sogenannte obscenity laws fällt), ethisch vertretbar oder sicher sind, zweitrangig gegenüber der Frage, was es für Pornos bedeutet, „echt“ zu sein.

Menschliches, egal wie schmutzig

Während meiner Zeit als Filmemacher im Bereich der Erwachsenenunterhaltung wurde ich Zeugin seismischer Verschiebungen: die Entwicklung von der Videokassette zum digitalen Medium, die Einführung neuer HIV-Präventionsmaßnahmen in Hauptproduktionsgebieten und die Zerstörung von Teilen der Branche durch kostenloses Streaming und Social Media. Die Pornoindustrie, die sich schon früh der Technologie zuwandte, basierte auf Begierde, Gier und Fantasie. Die Leistungen der Darsteller und die Pharmazie stützten sie. Ihre Arten und Medien variierten stark, aber die einzige Konstante war das Menschliche, egal wie schmutzig. Bis jetzt.

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Als die erste KI-generierte Pornografie auftauchte, war es leicht, eine Art forensische Distanz zu den ersten Bildern zu wahren und sie als Trick abzutun, als Fake. Sie war eher lächerlich und gruselig: Cheerleader mit sieben Fingern und toten, schrägen Augen. Dann, scheinbar über Nacht, erreichte die Technologie einen unheimlichen Fotorealismus. Synthetische Erotik, wie Zeichentrick-Hentai und computergenerierte CGI-Bilder, gibt es schon seit Jahrzehnten, aber solche Pornos hatte selbst ich noch nie gesehen. Es handelte sich um die Halluzinationen einer Maschine, die auf eine Million pornografischer Bilder trainiert worden war, die sowohl die Kreation von etwas Neuem als auch eine Destillation derselben darstellten. Femmes fatales mit psychedelischen Genitalien, heterosexuelle männliche Prominente in gleichgeschlechtlichen Szenen, nackte Mädchen in überfüllten Lebensmittelgeschäften – nicht in den dunklen Ecken des Internets, sondern in den sozialen Medien gepostet. Die Bilder glitzerten förmlich vom Bildschirm. Die Frage, die sich mir sofort stellte: Was werden diese neuen Bilder mit uns machen? Was wird mit unserer Privatsphäre, was mit der Zustimmungsfähigkeit der Menschen?

Fälle von Mobbing wegen KI-App „nudify“

Im September 2023 war die kleine spanische Stadt Almendralejo gezwungen, sich diesen Fragen zu stellen. Zwanzig Mädchen kehrten aus den Sommerferien zurück und mussten feststellen, dass nackte Selfies, die sie nie gemacht hatten, in der Schule herumgereicht wurden. Jungen hatten die Bilder mithilfe einer KI-App namens „nudify“ für nur ein paar Euro aus Jahrbuchfotos gerendert. Die Mädchen wurden gemobbt und erpresst, erlitten Panikattacken und Depressionen. Die Jüngste war erst elf Jahre alt. Schule und Eltern waren ratlos. Die Werkzeuge waren schneller da, als man nur über sie reden konnte. Bis zum Ende des Schuljahres hatten sich ähnliche Fälle in Australien, Quebec, London und Mexiko ereignet. Dann überschwemmten explizite KI-Bilder von Taylor Swift die sozialen Medien. Wenn selbst dieser Star das nicht verhindern konnte, hatte eine 15-Jährige aus Michigan keine Chance.

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Die Technologie, die hinter der Pornografie steht, wurde ungeachtet der Kontroversen weiterentwickelt. Wenn die Schüler:innen in diesem Herbst wieder zur Schule gehen, werden sie womöglich schon mit KI-Video-Engines wie Sora und Runway 3 (und ihren pornografischen Ablegern) konfrontiert, die aus Textanweisungen fotorealistische Videos erstellen. Wenn Standbilder weltweit so viel Unheil angerichtet haben, was können dann Videos anrichten – ganz zu schweigen davon, wo das Material landen könnte.

Porno per Klick zusammenstellen

Da Pornos immer persönlicher werden, werden sie auch immer individueller. Die Nutzer:innen können jetzt Kästchen auf einer Liste von Optionen ankreuzen, die so lang ist wie die Speisekarte eines Schnellrestaurants, um ihre idealen Sexszenen zu erstellen. Kategorien wie männlich, weiblich und trans; Alter von 18 bis 90; Brust- und Penisgröße; Details wie Bräunungsstreifen und Farbe der Unterwäsche; Kulissen wie Lebensmittelgeschäfte, Kirchen, der Eiffelturm und Stonehenge; sogar das Wetter oder ein Tornado. Es mögen Einsen und Nullen sein, aber KI ist nicht binär, sie hat keine Urteils- oder Schönheitsstandards. Sie kann auch im Netz selten vorkommende Körper, wie die von alten, transsexuellen oder behinderten Menschen, in allen Paarungen darstellen. Hyper-anpassbare Pornos werden nicht mehr nur die Auswahl der Darsteller und eine Antwort auf die Frage „Was gefällt mir wirklich?“ erfordern. Während Hollywood sich mit der KI-Ethik auseinandersetzt, werden künstliche Pornofilme Realität werden. Prominente könnten dann ihre Karrieren ankurbeln, indem sie ihre synthetischen Sexfilme in Late-Night-Shows anpreisen.

Der Fortschritt der KI-Pornos könnte auch unser Gedächtnis verändern. KI wird bereits eingesetzt, um Heimvideos zu verlängern, alte Fotos in Live-Action-Szenen zu verwandeln oder unsere Erinnerungen in Fotos zu generieren. Was passiert, wenn wir dies auf Sex anwenden? Unsere ersten sexuellen Erfahrungen brennen sich in unser Gedächtnis ein: flüchtige Blicke auf den ersten Schwarm, einen verlorenen Liebhaber, eine Fremde im Bus. Diese erotischen Erinnerungen sind auf bestimmte Details angewiesen, um ihre Wirkung zu entfalten: eine Haarsträhne, eine Unterhose in einer bestimmten Farbe, Sonnenlicht auf feuchten Lippen, die rote Sporthose des Trainers. Sie sind ideal für KI-Eingaben.

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Pornos und Sex im wirklichen Leben beeinflussen sich gegenseitig in einer Art Schleife. Wenn sich die Menschen daran gewöhnen, von erotischen Medien genau das zu bekommen, was sie wollen, könnte dies ihre Erwartungen an Beziehungen weiter negativ beeinflussen. Ein erstes Date könnte noch unangenehmer werden, wenn beide Parteien bereits ein idealisiertes, nacktes digitales Doppelgängerbild des anderen gesehen haben.

Auswirkungen auf die Porno-Branche

Trotz (oder gerade wegen) dieser Verwischung der Grenzen könnte sich tatsächlich ein Genre der „ethischen Pornos“ herausbilden. Ohne die Notwendigkeit von Sets, Dreharbeiten oder sogar echten Darstellern könnten zukünftige Pornostudios überhaupt nicht mehr mit Menschen arbeiten. Dies könnte für einige Zuschauer attraktiv sein, da sie sicher sein können, dass die neuen Darsteller weder minderjährig, Opfer von Menschenhandel noch alkoholisiert sind.

Seit den 90er Jahren, als CD-ROM-Spiele, lebensgroße Silikonpuppen und Websites die „Interaktivität“ in der Erwachsenenunterhaltung einführten, hat sich eine Synergie zusammengebraut. Dreißig Jahre später sind KI-Chatbot-„Partner“ und billigere, lebensechte Sexpuppen zugänglicher denn je. Pornos tendieren dazu, alle verfügbaren Technologien zu vereinen, um eine vollständige erotische Immersion zu erreichen. Der Realismus der KI-Modelle hat bereits den Damm zum Unheimlichen Tal gebrochen. Bald werden diese Avatare von Chatbots gesteuert und von dreidimensionalen Prothesen verkörpert werden, die alle in Virtual-Reality-Welten existieren. Was folgen wird, ist der sagenumwobene Sexroboter.

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Was passiert also, wenn wir die „schmutzige Menschlichkeit“ aus dem Sex selbst entfernt haben? Porno wird durch die Bedürfnisse seiner Zeit definiert. Unsere Zeit ist von zunehmender Isolation geprägt. Die Pandemie hat uns dazu gebracht, unsere intimsten Momente zu digitalisieren, indem sie uns Facetime-Krankenhausbesuche und -Hochzeiten bescherte und eine Tiefentladung unserer sozialen Batterien verursachte. Die Erwachsenenunterhaltung könnte in diese Lücke treten. Der Aufstieg von KI-generierten Pornos könnte ein Symptom einer neuen synthetischen Sexualität sein, nicht die Ursache. In naher Zukunft werden wir diese Pornos vielleicht gerade wegen ihrer Künstlichkeit erregend finden, nicht trotz ihr.

Leo Herrera ist Autor und Künstler, der sich besonders mit der Schnittmenge von Sex und Kultur beschäftigt. Dazu betreibt er ein eigenes Substack namens Herrera Words.

 

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