Kostensparen nach Samsung-Art? Freie Mitarbeiter leisten unbezahlten Kundendienst, statt zu verkaufen
Einem Bericht von The Verge zufolge, nutzt der koreanische Konzern Samsung gern die kostenfreie Expertise derer, die als Samsung-Experten eigentlich für den Verkauf neuer Produkte bezahlt werden – und nur für diese Verkäufe. Bis zu 25 Prozent aller Kundenkontakte sollen inzwischen den Kundendienst betreffen, so der Bericht.
Bezahlung auf Provisionsbasis an sich nicht anrüchig
Im Grunde ist es ein gängiges Verfahren. Ein Hersteller wie Samsung beschäftigt Verkäufer, die kein Gehalt beziehen. Stattdessen werden sie an jedem Verkauf, den sie selbst tätigen, mit einem Prozentsatz beteiligt. Das Modell gibt es schon ewig und ist weltweit etabliert.
In der Coronapandemie hat sich – jedenfalls bei Samsung – der Verkauf sehr stark auf das Onlinegeschäft verlagert. Der Konzern machte Freelancern und entsprechenden Dienstleistern, in den USA vorrangig der iAdvize-Tochter Ibbu, das Angebot, Produkte via Online-Chat zu verkaufen. So würden die Mitarbeitenden arbeiten können, wann und von wo sie wollen.
Gegenüber The Verge berichten viele Betroffene, dass das zunächst sehr gut funktioniert habe. Mit der Zeit habe sich allerdings der Schwerpunkt der zu führenden Chats immer stärker in Richtung Kundendienst verlagert. In diesem Bereich seien die „Experten“ indes nicht geschult und würden natürlich auch nicht dafür bezahlt. Außerdem hätten sie keinen Zugriff auf die Samsung-Systeme, die ihnen bei der Abwicklung etwa von Reklamationen helfen würden.
„Dienstleistung verschiebt sich immer weiter in Richtung Kundendienst“
Gleichzeitig bestünde aber das Problem, dass Kunden ihre Beratenden bewerten können, wobei ein schlechter Score zur Kündigung führen kann. Beratende befänden sich damit in einem Dilemma. Helfen sie den Kunden nicht bei Problemen, könnten die sie schlecht bewerten und so letztlich aus dem Geschäft befördern.
Dieses Dilemma führe nun dazu, dass sich die „Samsung-Experten“ um für den Kunden befriedigende Lösungen bemühen würden, auch wenn sie dafür nicht bezahlt werden. Das wiederum führe dazu, dass immer weniger Zeit bliebe, um zu verkaufen.
Das werde zunehmend dadurch erschwert, dass die Online-Verkaufsplattform Samsungs mit vielen Problemen behaftet sein, die immer wieder dazu führen, dass etwa Chats gar nicht möglich seien oder Verkaufsabschlüsse nicht getätigt werden können.
Im Ergebnis sehen sich immer mehr der provisionierten Verkäuferinnen und Verkäufer mit Einkünften konfrontiert, die mit dem geleisteten Aufwand nicht mehr in Einklang zu bringen seien. Samsung und seine Dienstleister wollen das Problem indes nicht bestätigen.
Samsung befürwortet Kundendienstarbeit durch Verkäufer ausdrücklich
Sie stellen sich auf den Standpunkt, dass Experten Chats jederzeit abbrechen können und sogar sollen, wenn sich die Gespräche in eine Richtung drehen, die mit Verkauf nichts zu tun hat. Das allerdings scheint nicht den Tatsachen zu entsprechen.
The Verge liegen anderslautende Aussagen sowie ein Mitschnitt eines Video-Calls von Ende März vor, in welchem eine Samsung-Mitarbeiterin die Chat-Plattform ausdrücklich als „Hybrid“ bezeichnet, der sowohl für den Kundendienst als auch für den Vertrieb eingesetzt werde.
Auf den Einwand eines Handelsvertreters, dass diese Chats nicht zu seiner Konversionsrate beitrügen, wurde die Samsung-Mitarbeiterin deutlich: „Ich möchte Sie ermutigen, das weiterhin zu tun.“ Dabei ließ sie durchblicken, dass ein hervorragender Kundenservice zur Kundenbindung beitragen würde, was wiederum die entsprechenden Bewertungen der Provisionsempfänger verbessern würde.
Dazu passen auch Aussagen anderer Samsung-Mitarbeiter wie, dass man sich „auf das gesamte Team konzentrieren müsse“. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es Samsung darum geht, den in der eigenen Risikosphäre liegenden Aufwand für den Kundendienst zum wirtschaftlichen Risiko der Provisionsverkäufer machen zu wollen.
Dienstleister: „Ihr müsst ja nicht, wenn ihr nicht wollt“
Die Reaktion des Samsung-Dienstleisters Ibbu darauf klingt zynisch. Auf Nachfrage erklärte der, dass „unabhängige Experten die volle Kontrolle über ihren Zeitplan haben, arbeiten, wann immer sie wollen und wo immer sie sind, nicht exklusiv an eine Mission gebunden sind, niemandem Bericht erstatten und jederzeit aufhören können, Ibbu zu nutzen“. Mit anderen Worten: Wem das nicht passt, der kann ja gehen.
Für Samsung scheint sich vor allem der 2019 geschlossenen Vertrag mit der Ibbu-Muttergesellschaft iAdvize auszuzahlen. In einem undatierten Fallstudien-Interview auf dem iAdvize-Blog mit Ed Billmaier, Leiter des E-Commerce-Kundenservice bei Samsung Electronics America, wird beschrieben, dass Samsung seit der Partnerschaft mit iAdvize seinen E-Commerce-Umsatz um das Zehnfache steigern konnte. Die „Experten“ indes scheinen davon deutlich weniger zu profitieren.