Die meisten Berufstätige träumen von einem langen und gesunden Ruhestand. Mit der zunehmenden Lebenserwartung in einigen Ländern begannen die Regierungen jedoch, die Menschen dazu zu drängen, deutlich länger im Erwerbsleben zu bleiben. Die Altersgrenze in Deutschland wurde zwischen 2012 und 2019 beispielsweise schrittweise von 65 Jahre auf 67 Jahre angehoben. Nur wer vor 1947 geboren wurde, darf weiter mit 65 Jahre in Rente gehen.
Längeres Leben gleich längeres Arbeiten? Klingt logisch, hat aber einen Haken: Denn die durchschnittliche Anzahl von Jahren, die eine Person bei guter Gesundheit und ohne größere Krankheiten leben kann, ist nicht im gleichen Tempo gestiegen wie die Lebenserwartung an sich beziehungsweise die zusätzlich geforderten Jahre im Erwerbsleben. Ergo: Wir werden zwar älter und arbeiten länger, erleben das Alter jedoch nicht pauschal gesünder.
Krank in den Ruhestand – statistisch wahrscheinlich
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat dazu Zahlen für Deutschland erhoben: Die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen liegt der Sonderorganisation der Vereinten Nationen nach bei 83,4 Jahren, wovon sie voraussichtlich 66,7 gesunde Lebensjahre im Durchschnitt haben. Männer haben eine durchschnittliche Lebenserwartung von 78,7 Jahren und können im Durchschnitt voraussichtlich auf 65,1 gesunde Lebensjahre hoffen.
Angesichts der Rente mit 67 starten wir somit höchstwahrscheinlich krank in den Ruhestand. Auch deshalb nehmen viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hierzulande Abschläge bei der Rentenzahlung in Kauf und gehen schon mit 63 Jahren in den Ruhestand. Pro Jahr des vorzeitigen Rentenbezugs wird den Personen eine Minderung von 3,6 Prozent von der Rente abgezogen. Für Geringverdienende sind die Einbußen kaum zu ertragen.
Etwas grotesk wirkt deshalb die Forderung einiger Wirtschaftsexperten, die Rente mit 70 einzuführen. Hintergrund ist, dass das Rentensystem auf vermeintlich wackeligen Beinen steht. Viele unter ihnen warnen, dass das Modell in der jetzigen Form nicht mehr lange finanzierbar sei. Das liegt vor allem am demografischen Wandel, sprich daran, dass immer mehr Rentnerinnen und Rentner auf immer weniger Einzahlende treffen.
Den Anstoß der Diskussion gab Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf: „Schaut man sich die demografische Entwicklung und die Belastungen der Sozial- und Rentenkassen an, dann sind die Reserven aufgebraucht. Wir werden länger und mehr arbeiten müssen“, sagte er der Funke Mediengruppe. Auch andere Experten wie die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer plädieren für die Rente ab 70. Das System sei sonst nicht mehr finanzierbar.
Angesichts dessen, dass immer mehr Anträge zum vorzeitigen Renteneintritt eine klare Sprache sprechen, können diese Forderungen allerdings als Rentenkürzung mit Ansage verstanden werden. Wer mit 63 in Rente geht, würde nach aktuellem Stand auf 25,2 Prozent des Rentenspruchs bei der Rente mit 70 verzichten. Das wäre dann nicht nur eine finanzielle Katastrophe für Geringverdienende, sondern auch für Besserverdienende.
Was also tun – einfach durchhalten? Außer einer höheren Altersgrenze gibt es noch andere Möglichkeiten, die Rente zu sichern. Steigende Rentenbeiträge könnten helfen, würden aber bedeuten, dass Arbeitnehmende monatlich mehr von ihrem Gehalt in die Rentenkasse einzahlen. Eine andere Möglichkeit wäre, das Rentenniveau sinken zu lassen. Das würde bedeuten, dass Rentnerinnen und Rentner weniger Geld im Monat erhalten.
Auch wäre es möglich, den Bundeszuschuss zur Rente zu erhöhen. Das würde über Steuern finanziert werden, die am Ende alle Bundesbürgerinnen und Bundesbürger zahlen. Bereits jetzt zahlt der Bund jedoch schon jährlich rund 100 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in die Rentenkassen ein. Schlussendlich wäre das Problem geblieben und nur die vermeintlich unbefriedigende Lösung an andere Stelle verlagert. Das Dilemma bleibt.
Das Altern eine Krankheit, die heilbar ist?
Einen anderen Blick auf das Thema wagen hingegen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie einige Startup-Unternehmende. Die Lösung liegt ihrer Meinung nach nicht in den Zahlenspielen der Ökonominnen und Ökonomen, sondern einerseits in der staatlichen und privaten Gesundheitsprävention sowie andererseits in der medizinischen Erforschung des Alters und der damit zusammenhängenden Folgen.
David A. Sinclair ist Professor für Genetik an der Harvard Medical School und hat sich auf die Erforschung von Alterungsprozessen spezialisiert. Seiner Auffassung nach besitzt der Mensch eine natürliche Lebenserwartungsgrenze. Rund 150 Jahre könne er alt werden, so der Forscher. Unsterblichkeit sei aussichtslos, aber gesundes Altern nicht. In seinem Buch „Das Ende des Alterns“ arbeitet der australische Biologe sich an dem Thema ab.
Sinclair sagt, dass das Altern ein Wechselspiel genetischer Faktoren in den Zellen ist, jedoch durch eine gesunde Ernährung und ausreichend Sport beeinflusst werden kann. Dennoch werden die Zellerneuerungsprozesse mit dem Alter gestört. Dort setzt der Wissenschaftler an und hat in einige Studien an Hefen und Tieren belegen können, dass gesundes Altern trotzdem möglich ist. Etwa durch die gezielte Einnahme von NMN- und NAD+-Präparaten.
Das Altern, so sagt David A. Sinclair, sei eine Krankheit, die heilbar ist. Startups wie das Schweizer Biotech-Unternehmen Rejuveron Life Sciences arbeiten mit diesen Aussagen und entwickeln Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel, die die Zellerneuerung unterstützen sollen. Dadurch würden die Überlebensschaltkreise im Körper aktiviert und könnten Alterskrankheiten wie Diabetes, Demenz und Krebs präventiv bekämpfen.
Die Szene wirbt leidenschaftlich dafür, das Altern als eine Krankheit anzuerkennen, um die Altersforschung schneller voranzubringen. Das könnte der Wissenschaft nach viele gesundheitliche Beeinträchtigungen vermeiden, in deren Erforschung derzeit weit größere Summen fließen würden. Allerdings: Wer heute die Pillen schluckt, die David A. Sinclair aufgrund seiner Erkenntnisse selbst einnimmt, zahlt dafür einige Hundert Euro pro Jahr.
Sinclair argumentiert, diese Kosten könnten von den Sozialsystemen getragen werden, da im Gegenzug kaum noch Ausgaben für Alterserkrankungen wie Diabetes, Demenz und Krebs sowie für die Pflege der Betroffenen anfielen. Ohne diese bisherigen Alterserkrankungen ließe es sich schlussendlich auch länger arbeiten, was das Rentensystem stützt, und trotzdem können die Menschen noch einen langen und gesunden Ruhestand genießen.
Lange Arbeiten: Wer gesundheitlich kann, will auch
Spannend in dem Rahmen sind abschließend auch Zahlen des Statistischen Bundesamts: Fast 300.000 Menschen gehen sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten über die Altersgrenze hinaus nach. Die Hauptmotive dafür sind der Kontakt zu anderen Menschen, Spaß an der Arbeit und das Gefühl, gebraucht zu werden. Lange zu arbeiten, muss also kein No-Go sein – sofern die Menschen gesundheitlich in der Lage sind, wollen sie das meist sogar.
In welchem Unternehmen wird man denn heute überhaupt noch 50? Und wo kommen die ganzen sozialversicherten Erwerbsjobs in Zukunft her?
Ich kenne eine Reihe von Familienvätern, die schon mit Anfang 50 aus grossen Verlagen oder multinationalen Konzernen ausgeschieden wurden. Anderen wird mit 60 klar gesagt, dass man sie nicht mehr brauche.
Und wie sollen denn in Zukunft immer mehr € 450-Jobber oder Mindestlohnempfänger die Rentenkasse füllen?
„Rente mit 70“ ist eine weltfremde Diskussion.