Mentoring: Wie du Mitarbeiter zu Höchstleistungen bringen kannst
Mentoring geht ans Eingemachte
Ich bestelle schon mal ein Bier und ziehe mein Notizbuch aus der Tasche. Ein kleines Moleskin mit willkürlichen Kritzeleien, die ich selber manchmal kaum entziffern kann. An diesem Herbstabend wird es langsam kühl auf der Terrasse des Irish-Pubs. Ich überfliege die Notizen von unserem bisherigen Mentoring-Treffen und plötzlich ist mir nicht mehr kalt.
Gedanklich bin ich jetzt tief im Sommer des letzten Jahres. Im Projekt lernen wir uns kennen. Ich bin Senior-irgendwas und er frisch aus der Uni. Im Wahnsinn des Alltags kommt plötzlich die Frage – eine Frage, die mit unserer Aufgabe eigentlich nichts zu tun hat. Eine Frage über die finanzielle Aufstellung unserer Consulting-Firma und deren verschiedene Cashflows. Meine Antwort ist banal, die Auswirkungen aber ziemlich massiv.
Habe ich dies oder das über die eigene Firma selbst richtig verstanden oder vielleicht doch falsch interpretiert?
In den nächsten Tagen lässt mich diese Frage nicht los. Ich muss selber rumfragen: Habe ich dies oder das über die eigene Firma selbst richtig verstanden oder vielleicht doch falsch interpretiert? Eine Woche später sitzen wir wieder zusammen und ich erzähle von meiner Recherche. Dies löst neue Fragen aus. Da fängt die Spirale an. Tiefer. Tiefer. Tiefer. Wir treffen uns mehrmals pro Monat und diskutieren weiter. Offiziell bin ich der Lehrer, der Erfahrene, und er ist der Schüler. Aber seine Fragen stellen meine Kenntnisse auf den Prüfstand und ich entdecke riesige Risse. Ich lerne mindestens so viel wie er.
Ein paar Monate später sind wir nicht mehr beim Thema Geld, sondern in der Softwareentwicklung. Lieber die im Projekt verwendete veraltete Version vom Framework X lernen oder gleich die neuere Version? Wie gehe ich mit dieser Design-Pattern-Problematik um? Ich kenne mich manchmal in der Technologie nicht genug aus. Ich muss oft mit anderen Fragen antworten, ihm den Ball immer wieder zurückspielen. Aber es funktioniert. Er beantwortet selber die Fragen und kommt mit noch mehr auf mich zu. Dies ist keine Lehrer-Schüler-Beziehung mehr. Ich bin ganz Ohr und frage ab und zu nach Ergänzungen. Ich bin quasi ein Spiegel. Ich helfe ihm, selbst die Antworten zu finden. Ich bin begeistert von der Art und Weise, wie er sich entwickelt.
Er verlangt unsere Termine immer weiter. Ich bin in eine Beraterrolle gerutscht. Ich höre zu. Antworte selten selbst. Ich stelle stattdessen dumme Fragen, die ihm aber helfen, seine Gedanken zu klären. Ich bin seine Quietsche-Ente geworden und helfe ihm sein Leben zu debuggen.
Es ist jetzt Weihnachten. Schluss mit Bierchen im Freien. Wir treffen uns in der Kantine und mampfen Lebkuchen. Abends programmiert er auch für sich. Die Themen, die er nachts alleine in seinem Zimmer entdeckt, füllen unsere Sessions. Er erzählt mir wieder mit voller Begeisterung, was er alles entdeckt hat. Ich helfe ihm, noch weiter und tiefer zu bohren. Monate lang bewerfe ich ihn mit Ressourcen über diese Themen. Monate lang helfe ich ihm zu sehen, wohin die weitere Reise gehen könnte. Er macht mit und bohrt weiter. Zeit für eine Challenge. Er lässt sich motivieren, einen Tagesworkshop über dieses Thema zu organisieren. Die nächsten Monate werden wir an dessen Aufbau zusammenarbeiten. Die Struktur festlegen. Den Inhalt logisch gestalten. Fallbacks vorsehen und so weiter.
Ich tauche ein in meinen eigenen Vortragsvorbereitungsprozess, untersuche alle diese Schritte, die ich nie verbalisiert habe und erfahre so viel über mich selbst. Er macht die ganze Arbeit und ich beruhige ihn, er kann das. Er baut es zusammen und ich animiere ihn, in die eine oder andere Richtung zu gehen; er kann es wirklich. Ich gebe ihm Tipps und Tricks und zeige ihm, dass er schon längst genug Inhalt vorbereitet hat. Er ist bereit. Er weiß es aber nicht. Der Tag kommt. Sein Workshop ist ein voller Erfolg. Er ist erschöpft, aber stolz wie Oscar. Ich war der Challenger. Ich habe ihn aus seiner Komfortzone geholt. Ich war der Berater, der dann bis zum Ende an seiner Seite geblieben ist. Ich war auch sein Cheerleader, um ihm Kraft zu geben und den Erfolg mitzufeiern!
Frühling ist es jetzt. Ich habe ein zweites Kind bekommen, Elternzeit gehabt und das Projekt gewechselt. Wir können nicht mehr zwischen Tür und Angel plaudern. Wir treffen uns aber irgendwie weiter. Der Sommer ist wieder da und unsere Abende, nachdem die Kinder im Bett liegen, sind lang. Die Themen, die er auf den Tisch legt, werden komplexer, treffen aber auch meine Expertise besser. Es geht um Soft Skills, um Führung im Team, um Reibungen und Konflikte. Der Lehrling ist zum Padawan geworden. Da entfaltet sich mein Mentoring. Ich bin manchmal wieder Lehrer, manchmal Berater. Ich drücke ihn manchmal in Ecken und fordere ihn mit Fragen heraus, die ich nie beantworten werde. Ich werde auch zum „Networker“ und verbinde ihn mit anderen Leuten zum richtigen Zeitpunkt.
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Werkzeugkasten für intensive Gespräche
In diesen zwei Jahren habe ich meinem Mentoring-Werkzeugkasten neue Werkzeuge hinzugefügt. Und ich habe angefangen zu lernen, wie sie einzusetzen sind:
Da ist zuerst der „Lehrer-Hammer“. Der ist am einfachsten zu verwenden, aber nicht unbedingt immer geeignet. Damit kann ich einfach beantworten, beraten. Ich stülpe damit aber meine Antworten meinem Mentee über, was nicht immer ideal ist.
Dann kommt die „Zuhörer-Zange“. Damit kann ich jeder Frage erfolgreich mit einer anderen Frage ausweichen. Ich versuche, keine Antworten zu geben, sondern das „Warum“ zu jagen und meinem Mentee selbst zu den Antworten zu führen. Das Schwierigste ist manchmal, diese Zange nicht rauszuziehen und zu akzeptieren, dass ein, zwei, oder sogar drei Termine vorbeigehen, ohne dass er manche Antworten findet.
Ich übe auch mit der „Challenger-Säge“. Ständig zeige ich ihm Wege und Gelegenheiten, die er verfolgen könnte, die aber oft außerhalb seiner Komfortzone liegen. Und wenn er sich entscheidet, sie zu verfolgen, begleite ich ihn mit meinem „Cheerleader-Öl“, um diese Challenges erfolgreich und lehrreich zu machen. Ich weiß aber nicht alles. Daher ist das letzte Werkzeug ein „Networking-Instantkleber“. Ich nutze mein Adressbuch und verweise auf andere Leute. Ich animiere meinen Mentee, in die breite Welt zu gehen und andere Leute um Hilfe zu bitten.
So viele Facetten des Mentors für so viele Mentoring-Situationen. Seitdem habe ich mich als Mentor weiterentwickelt: Meine Mentees sind nicht mehr frisch von der Uni, manche haben mehr Erfahrung als ich. Mit einigen Mentees bleiben wir sehr sachlich, während bei anderen auch über sehr persönliche Probleme gesprochen wird. Das ist der Segen des Mentorings: Jedes Thema ist gewünscht, solange der Mentee im Zentrum steht. Es ist eine intensive Arbeit, aber so fruchtbar für uns beide. Ich nehme mir gerne diese Zeit. Das Menschliche kommt sonst immer zu kurz im Alltag. Und wie Winston Churchill es geschrieben hat: „We make a living by what we get, but we make a life by what we give”. Ich habe noch nicht alles gegeben und diese Mentoring-Kunst entdecke ich jeden Tag weiter.
Zurück zum heutigem Treffen auf der Terrasse des Irish-Pubs. Er ist angekommen und setzt sich mir gegenüber. Ich lege mein Notizbuch nieder und versuche, seinen Gesichtsausdruck zu lesen. Es ist ein Wahnsinn, wie schnell er gewachsen ist und wie breit er sich entfaltet hat. Oh, wie stark muss ich selber schuften, um seinem Tempo zu folgen. Ich weiß nicht, wer von uns am meisten gelernt hat … Ich freue mich, ihn wiederzusehen und warte gespannt auf das Thema, das er heute Abend auf dem Tisch legen wird. Die Überraschung ist jedes Mal groß. Los geht’s mit einer neuen Mentoring-Session.
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