Neue Prioritäten auf der DMEXCO 2021: Gen Alpha, Gemeinwohl und Datenchaos
Wer Purpose, Diversity und Nachhaltigkeit für flüchtige Trends hielt, wird enttäuscht sein. Auch in den Sessions der DMEXCO spiegelt sich wider, dass Kund:innen und Nutzer:innen tendenziell nur noch kritischer werden. Immer mehr entwickeln sie einen kritischen Blick für Ungleichbehandlungen, Unfairness und Ausbeutung – und werden laut, wenn sie so etwas sehen.
Die Menschen werden nur noch #woker
Da geht es einerseits um gesellschaftliche Themen wie Diskriminierung, beispielsweise innerhalb von Unternehmen, weswegen das Thema Diversity im Employer-Branding noch lang nicht abgefrühstückt ist. Es betrifft aber auch das Management und das Bild der Arbeitskraft: Die Pandemie hat gezeigt, dass wir dieses nicht von den Menschen und ihrem Umfeld dahinter trennen können. Deswegen muss es in der Führungsebene ein Umdenken geben. Unternehmen sollten ihre Rolle in der Gesellschaft ohne die rosa Brille identifizieren, sich den nicht positiven bis negativen Aspekten stellen und schneller handeln.
Als Beispiel: KI sollte sein wie eine Mikrowelle
Fairness betrifft mehr als nur die Unternehmensstrukturen, nämlich auch die Technik – beispielsweise KI und der Einsatz von Algorithmen. Für Nutzer:innen sollte KI sein wie eine Mikrowelle, sagt Geertrui Mieke De Ketelaere von imec. Sie müssten nicht komplett verstehen, wie sie funktioniert – aber sie sollten über die Gefahren aufgeklärt sein und wissen, wie man sie bedient und wie lieber nicht. Denn KI treffe Entscheidungen für die Menschen – ohne Transparenz sei das gefährlich.
Für Unternehmen sei deswegen das Gespräch mit den Menschen relevant – und eine Umsetzung nach FATE: fairness, accountability, explainability und transparency. Das heißt: Interdisziplinäre Teams, also neben Ingenieur:innen auch Expert:innen aus Soziologie, Pychologie et cetera, sollten für faire Entscheidungen der KI sorgen. Die Unternehmen müssen für den Einsatz Verantwortung übernehmen und transparent aufzeigen, wo sie eingesetzt werden und wie Entscheidungen zustande kommen. Zuletzt müssen die Erläuterungen auch verständlich sein. Denn aktuell werden die Technologien ohne Rücksicht auf Verluste eingesetzt, was sich für die Nutzer:innen anfühle, wie auf der Autobahn von einem Polizeiauto verfolgt zu werden: unangenehm und beklemmend. Starten können Unternehmen an zwei Stellen: erstens mit einer internen Unterhaltung, sodass auch alle auf demselben Stand seien, worum es geht und was „KI“ genau im spezifischen Einsatz bedeute; und zweitens in der Konversation mit ihren Kund:innen.
Mit der Generation Alpha kommt ein neues Verständnis für Realität
Mit den Alphas kommt eine spannende neue Generation auf uns zu. Lisa Zaun vom WDR, Paul Nesbitt von Twitch und Ashley Fell von McCrindle haben die Gen Alpha vorgestellt. Natürlich seien nicht alle Menschen einer Generation identisch, aber gemeinsame Erlebnisse bilden ähnliche Grundlagen. Die Alphas seien vor allem die Kinder der Millennials, geboren von 2010 bis circa 2024. Die Gen Z waren auf eine Art ein globales Experiment, da sie unkontrolliert mit Social Media und Smartphones aufgewachsen sind – jetzt kennen sie und Millennials die negativen Seiten und haben bessere Kontroll- und Hilfsmechanismen als ihre eigenen Elterngenerationen. Die Plattformen werden mehr moderiert und teilweise auch reguliert. Die Alphas sind also nicht mehr die sprichwörtlichen Laborratten, sondern wachsen unter mehr digitaler Erfahrung auf. Sie haben eine sehr globale Perspektive und seien empathisch, kulturell divers, sehr umweltbewusst und auch sehr aktiv bis aktivistisch. Millennials haben den Trend der Personalisierung ins Rollen gebracht. Gen Z hat mit Twitch und Tiktok, zwei Plattformen mit einer Masse von Content, bewiesen: Sie brauchen keine vorausgewählten Inhalte. Alphas werden den Trend voraussichtlich auf die Spitze treiben: Es werde das Bedürfnis geben, alles selbst zu gestalten und selbst Content zu kuratieren. Das heißt, sie wollen genau das, was ältere Generation als „Informationsüberfluss“ kritisieren.
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Gaming und die Weiterentwicklung und Akzeptanz von AR und VR nehmen weiter zu und es kommt das Problem auf, dass das Konzept von Realität neu definiert werden muss: Ältere Generationen würden Erlebnisse im „Real Life“ mehr wertschätzen als virtuelle Erlebnisse, ein Treffen in einer Bar sei also wertvoller als ein Zoom-Call. Bei der Gen Z verschiebt sich das bereits, bei den Alphas allerdings werde die virtuelle Welt wahrscheinlich ähnlich wenn nicht genauso wertvoll sein wie das „Real Life“ – was eben die Frage stellt, was für die Alphas genau ihre „Realität“ sein wird. Unternehmen sollten sich Zeit nehmen, um die Generation Alpha zu verstehen und sich schon jetzt auf sie vorzubereiten: Die Strategie oder das Image erst dann anzupassen, wenn die Alphas Kaufkraft haben, werde nicht funktionieren.
Commerce Anarchy: Mit Omnichannel kam der Kontrollverlust über die Daten
Viele Sessions beschäftigten sich damit, wie die Massen an Daten sinnig verarbeitet werden können. Die Umsetzung des Omnichannel-Modells sei nicht strategisch genug angegangen worden. Demnach sei ein Kanal nach dem anderen bedient worden, aber sich zu wenig Gedanken darüber gemacht worden, wie alle diese Daten zusammengeführt und verarbeitet werden können. Ariel Kelman von Oracle spricht von Daten aus durchschnittlich 25 Quellen in 16 Systemen und dass Martech und Adtech zu Madtech verknüpft werden sollten. Und Margit Gosau von Sport 2000 sprach davon, dass über 500 Marken ihre Produktdaten in verschiedenen Standards einreichen und Kund:innendaten von Geschäften vor Ort und dem Onlineshop nicht ausreichend zusammengeführt werden können. Der Fokus müsse sich vom reinen Datensammeln dahin verschieben, die Datensilos aufzulösen und technische Standards und Lösungen zu schaffen.
Lösungen könnten dabei sein: KI, die dabei unterstützt, Muster zu erkennen – denn das ist wichtige Arbeit im Marketing –; oder agile und vor allem interdisziplinäre Teams, die nicht nach technischen Bereichen gebildet werden, sondern nach den gewünschten Ergebnissen; oder zentrale Datenbanken mit einer einzigen, globale Datenansicht von Kund:innen – in diese werden alle Daten importiert und dann dort verarbeitet.
Connected Cars, Connected Fitness, Connected Everything
Die Notwendigkeit, das Datenchaos in den Griff zu kriegen, wird umso wichtiger, wenn der nächste Trend massentauglich wird: dass alle Geräte miteinander kompatibel und übereinander steuerbar sind. Die Session zum In-Car-Marketplace von Mercedes ist nur ein Beispiel dafür, dass die Menschen von elektronischen Geräten die Möglichkeiten erwarten, die Smartphones auch bieten. Dementsprechend werde das Smartphone in Zukunft auch ein Teil des Autos. Mit In-Car-Marketplaces wird es möglich, das eigene Auto zu individualisieren und mit dem eigenen Smarthome-System oder der Alarmanlage zu verbinden. Oder bei McDonalds schon im Auto zu bestellen und im Drive-Through tatsächlich nur noch Essen abholen zu müssen.
Denken wir dazu an Fitnessgeräte wie Peloton-Bikes oder VR-Brillen, bedeutet das umso mehr Datenquellen und -formate, die es unter einen Hut zu bringen gilt – aber andererseits auch unzählige Nutzungsmöglichkeiten wie auch Werbepotenzial.