Warum nicht mal 30/30? Ein Plädoyer für neue Teilzeitmodelle für Familien
In jungen Jahren arbeiten Menschen oft in Vollzeit. Die klassische Arbeitszeit beträgt dabei meist noch 40 Stunden pro Woche. Erst wenn Care-Arbeit für Kinder oder Angehörige dazu kommt, wird das Recht auf Teilzeit in Anspruch genommen. Und das häufig nur von einem Elternteil, oft mit 20 Stunden pro Woche, um Kinder rechtzeitig aus der Kita abzuholen oder Schulkinder nachmittags zu begleiten. Es gibt also einen Haupt- und einen Nebenverdienenden – mit einer 40/20 Aufteilung. So weit – so bekannt.
30/30 für mehr Gleichberechtigung
Um eine Familie gut zu versorgen, wird also in den meisten Fällen das Gehalt von 60 bis 70 Wochenarbeitsstunden benötigt. Was wäre aber, wenn mehr Paare eine gleiche Verteilung dieser Arbeitszeit anstreben würden? Wenn beide Partner gleich viel arbeiten und gleich viel verdienen, statt eine:r ganz viel und eine:r ganz wenig? Wie wäre es zum Beispiel mit einer Aufteilung von 30/30 Stunden pro Woche oder 35/35-Stunden-Woche?
Beide Partner könnten die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit wirklich wahrmachen. Mit mehr als 20 Stunden pro Woche wäre es einfacher, sich tiefer in Projekte einzuarbeiten, daran teilzuhaben und mitzugestalten. Beide Partner hätten bessere Chancen, in ihren beruflichen Projekten und Aufgaben wirksam zu werden. Und sie würden gleich viel verdienen – es entstünde keine finanzielle Abhängigkeit mit all ihren Folgen auch für die Gesellschaft.
Es gäbe viel zu gewinnen. Für die Familien, aber auch für die Unternehmen.
30/30 für mehr Flexibilität in Unternehmen
Nun höre ich schon die Rufe: „Würde ich ja gerne machen, aber mein Arbeitgeber unterstützt mich nicht!“ Und damit haben leider viele Recht. Die Menschen sind – gerade durch die Zeit der Pandemie – viel flexibler geworden und auch anspruchsvoller.
Dem müssen die Unternehmen Rechnung tragen, wenn sie im Arbeitsmarkt konkurrenzfähig bleiben wollen. Dabei hilft es, wenn Unternehmer:innen sich klar machen, dass sie mit mehr Teilzeitangeboten nicht nur etwas für ihre Mitarbeitenden tun, sondern es auch enormes Potential für ihr Unternehmen hat.
Wir beobachten, dass die Produktivität und Effizienz von Mitarbeitenden in Teilzeit steigt. Und was der noch viel schönere Effekt ist, durch die höhere Zufriedenheit verbessert sich nachweislich auch die Bindung der Menschen an das Unternehmen. Wer sich die Kosten für das Finden und Einarbeiten von neuen Mitarbeitenden vor Augen hält, versteht schnell, warum mehr Flexibilität bei der Teilzeitfrage viele Kosten einsparen kann.
Aber auch die Organisation insgesamt profitiert von mehr Teilzeitmitarbeitenden. Bei Ausfallzeiten durch Krankheit oder Urlaub müssen nicht gleich volle 40 Stunden umverteilt werden, sondern gegebenenfalls nur 30. Die Zeiten lassen sich im Team leichter auffangen.
Auch die Tatsache, dass bei einer hohen Teilzeitquote insgesamt mehr Mitarbeitende in einem Unternehmen tätig sind, bringt Vorteile mit sich. Mehr Menschen bedeutet mehr Wissen. In unserer sich schnell verändernden Welt sind Unternehmen darauf angewiesen, das Schwarmwissen aller auf dem besten Wege zusammenzubringen. Denn Innovation wird erst möglich, wenn auch das entsprechende Know-how in einem Unternehmen vorhanden ist. Und mehr Mitarbeitende bringen zwangsläufig ein breiteres Wissen mit.
30/30 als Herausforderung mit vielen Chancen
Viele Menschen mit vielen unterschiedlichen Teilzeitmodellen sind allerdings – das darf man nicht verhehlen – auch eine Herausforderung für die Arbeitsabläufe. Es kann helfen, ein Unternehmen als großes Puzzle aus unterschiedlichem Know-how und unterschiedlichen Arbeitszeiten zu verstehen und die Stärke aus der Flexibilität zu ziehen, die das mit sich bringt. Dabei hilft eine gute Organisation mit den passenden Strukturen und Prozessen. Hier eignen sich Agilität, viel Transparenz in der Bereitstellung von Informationen und gegenseitiges Vertrauen.
Alle Informationen zu Kund:innen, Projekten und Liefergegenständen werden im Team transparent geteilt. Die Verantwortung geht auf das ganze Team über, sodass es keinen Entscheidungsstau gibt, wenn im Team mal eine Person ausfällt oder kürzer anwesend ist.
Gleichzeitig braucht es gegenseitiges Vertrauen und die Bereitschaft aller, Verantwortung zu übernehmen. Wenn dann noch genügend Menschen im Team sind, die sich die Arbeit teilen und die Rollen optimal ineinandergreifen, wird das Puzzle komplett.
30/30 als Boost für unsere Gesellschaft
Teilzeitarbeit ist seit Langem für viele Frauen ein selbstverständlicher Teil ihres Berufslebens. Würden auch mehr Männer dieses Recht nutzen und vor allem nutzen können, hätten wir als Gemeinschaft die Chance, einen großen Schritt in Richtung Gleichberechtigung und Vereinbarkeit von Privat- und Arbeitsleben zu machen. Es würde die Gemeinschaft stärken, finanzielle Abhängigkeiten reduzieren und das volle Potenzial und Know-how unserer Gesellschaft heben.