Seit dem Beginn der Coronapandemie arbeite ich komplett im Homeoffice. Was für viele ein entbehrungsreicher Schritt war, fühlt sich für mich seither richtig an. Zum einen, weil Infektionswellen auch heute noch so manch ein Team binnen kurzer Zeit komplett ausknocken können, zum anderen aber auch, weil ich persönlich mehr Gleichgewicht in mein Leben bekommen konnte. Ich liebe das Homeoffice. Und ich will nicht mehr ins Büro zurück.
Schlechter Tag – na und?!
Ich mag es, morgens aufzustehen und in meinem Tempo in den Tag zu starten. Ohne dass der Wecker klingelt. Ohne dass ich mich mit meiner Partnerin arrangieren muss, wer jetzt zuerst ins Bad geht. Ohne dass ich den Verkehrsfunk hören und abschätzen muss, wie lange ich ins Büro bräuchte. Und ohne dass ich in vollen Zügen mit teils gestressten und mürrischen Menschen stehen muss. Ich spare mir den Arbeitsweg und das entschleunigt.
Kürzlich habe ich morgens den Müll rausgebracht und eine Nachbarin stand neben mir. Sie hatte es sichtlich eilig, telefonierte mit ihrem iPhone in der einen Hand und versuchte, die Tonne mit der anderen Hand zu öffnen, während sie den Müllsack hielt. Sie war überfordert in dem Moment und ließ das auch raus, indem sie wütend irgendwelche Arbeitsanweisungen ins Telefon fauchte. Ich vermute, ihr Tag war schon gelaufen, bevor er richtig begann.
Ich kenne dieses Gefühl und ich hasste es, wenn es mich traf. Wie oft schon bin ich gestresst ins Büro gekommen und konnte meinen Missmut nur schwer ablegen. An diesen Tagen zog ich mich zurück, ging meinen Mitmenschen aus dem Weg, setzte die Kopfhörer auf und arbeitete meine Liste ab. Bloß nicht anecken. Ein Selbstschutz, der von einigen jedoch auch als launischer Charakterzug gewertet wurde: „Oh, der hat wieder einen schlechten Tag!“
Zu mehr Gleichgewicht im Leben gehört jedoch auch, dass ich in den Pausen öfter mal meine Joggingrunde drehen oder mit meiner Partnerin gemeinsam Mittag machen kann. Ich bin einerseits ausgeglichener und bekomme andererseits mehr mit, was sie und uns betrifft. Das ist ein gutes Gefühl, vor allem jetzt, wo wir ein Baby haben, und Gedanken, Gefühle und Aufgaben jederzeit teilen können – ohne darauf zu warten, dass der Feierabend kommt.
Das Homeoffice hat hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie viele Vorteile. Diese Erfahrung durften wir in den letzten Monaten sammeln. Anstatt den Arbeitsweg hektisch anzutreten, übernehme ich öfter die „Frühschicht“ und gehe mit unserer Tochter spazieren, während meine Frau etwas länger schläft. Zurzeit ist sie in Elternzeit, aber das heißt natürlich nicht, dass sie alles alleine machen muss. Ich kann im Homeoffice unterstützen.
Homeoffice fordert neue Kompetenzen
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ich kein Homeoffice-Anfänger bin. Ich arbeite seit zwölf Jahren die meiste Zeit hybrid. Ich kenne ortsungebundene und asynchrone Arbeit. Bis nach San Francisco trieb es mich, neun Stunden vom Team entfernt. Ich kenne insofern die Tücken von Online-Kommunikation und das Problem der Unsichtbarkeit. Ich habe jedoch gelernt, wie die Zusammenarbeit trotzdem klappen kann. Ich würde sagen: Ich bin Remote Profi.
Mir fällt es leicht, im Homeoffice nicht zu prokrastinieren. Eher ist das Gegenteil der Fall. Ich bin unabgelenkt und gleite die ersten vier Stunden des Arbeitstages in einen Flow. Ich erledige in der Zeit das, wofür ich im Büro mindestens sechs Stunden brauche. Was unabdingbar für die Arbeit im Homeoffice ist, sind klare Absprachen und Zielvereinbarungen. Alle müssen zu jeder Zeit wissen, was zu erledigen ist und ob es erledigt ist. Sonst geht Vertrauen verloren.
Natürlich ist es aber auch ein Verlust, die Kolleginnen und Kollegen nur noch alle paar Monate zu sehen, wenn wir ein Team-Event oder eine Firmenfeier veranstalten. Ich habe den Eindruck, dass durch die fehlende Nähe auch eine seelische Qualität verloren geht, die Beziehungsebene. Die spontanen Treffen in der Teeküche, die absichtslosen Gespräche und die albernen Momente, die passieren, wenn wir im Büro alle einmal Fünfe gerade sein lassen.
Wir versuchen, das durch digitale Meetups abzufedern, aber spontan sind diese Treffen natürlich nicht, sie fühlen sich zumindest anfangs nach einem Termin im Kalender an, der jedoch am Ende trotzdem Spaß und Austausch bringt. Ohne diese Meetups ginge es wohl nicht. Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen ist wichtig und vor allem alternativlos. Denn auch die Partnerin oder das eigene Kind, können diese Menschen nicht ersetzen.
Manche Antworten können nur die Teammitglieder geben: Wie fühlt sich die Projektphase gerade für die anderen an? Welche Entscheidung kommt wie an? Nicht zuletzt haben auch nicht alle Kolleginnen und Kollegen das Glück, daheim Menschen um sich herumzuhaben. Für sie ist die Firma oft wie Familie. Da werden dann auch mal persönliche Dinge besprochen: das Date, das ghostet. Die Gasrechnung, die explodiert ist. Oder das Elternteil, das erkrankt ist.
Machen wir uns nichts vor: Homeoffice ist Fluch und Segen zugleich und der Blick darauf kann nicht nur Schwarz oder Weiß sein. Für mich bringt diese Arbeitsweise vorwiegend Vorteile, nur wenige Nachteile. Andere fühlen genau andersherum. Die Kunst ist, die Vorteile beider Welten zu vereinen, ohne in die Nachteile abzurutschen. Das bedarf kontinuierlichen Austausch, viel Feedback und manchmal auch Kritik, sofern sie konstruktiv ist.
Alles ist im Fluss, nichts ist fertig
Ich glaube, das Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben. Es ist eine technische Errungenschaft der modernen Arbeitswelt. Aber wie bei jeder technischen Neuerung müssen wir sie auch gesellschaftlich gestalten. Wo es noch hakt, hilft es zuweilen, an den Fortschritt dessen zu glauben, also daran, dass weder der Mensch noch seine Umgebung stets fertig ist. Aber nicht nur der Wunsch, dass es klappt, auch der Gestaltungswille muss da sein. Bei allen Beteiligten.
„Zurzeit ist sie in Elternzeit, aber das heißt natürlich nicht, dass sie alles alleine machen muss. Ich kann im Homeoffice unterstützen.“. Das zeigt das ganze Problem, der Vater unterstützt, was wahrscheinlich soviel heißt wie, dass die Mutter 90 Prozent der Arbeit macht – wie üblich. Und der Vater lässt sich für diese 10 Prozent vermutlich auch noch feiern, während die Frau es einfach macht.
@Sabrina: Den Kommentar halte ich für unsinnig, überflüssig und in keiner Weise das Thema vorantreibend, da keinerlei Ableitung aus dem Text möglich ist!
Ich sehe das Thema ähnlich wie der Autor und die Welt hat sich bei mir „gedreht“. Dank HO kann ich unsere Kleine zum Kiga bringen, sie dort abholen und betreuen, bis meine Frau aus dem Dienst kommt – wir können beide Vollzeit arbeiten. Ein Vorteil, der ohne so nicht möglich wäre! Vielen Kollegen geht es bei mir ähnlich. Sie können dem / der Partner/in, dem / den Kind/ern gerechter werden – Entschleunigung, Fokussierung, Motivation u. v. m. sind die „Konsequenz“.
Doch wie alles, es hat auch überwindbare Schattenseiten an denen man und im Team arbeiten muss.