Elektro-Newcomer Nio ET5 im Test: „Ist das ein neuer Prototyp von Porsche?“
Wir stehen auf einem Parkplatz in einem Dorf, um jemanden abzuholen. Während wir warten, kommt plötzlich ein Mann auf uns zugelaufen und mustert unser Auto. Er nickt anerkennend und signalisiert uns, dass er uns etwas fragen will. Wir öffnen die Scheibe. „Ist das ein neuer Prototyp von Porsche? Die fahren hier öfter mal lang“, fragt er uns. Wir erklären ihm, dass es ein Auto von Nio ist, einem chinesischer Hersteller. „Nio? Noch nie gehört. Ich dachte immer, die Chinesen bauen nur so billige Autos, aber der ist ja richtig schick und edel.“
Ähnliches wiederholt sich an mehreren Ladestationen auf dem Weg von Stuttgart nach Berlin. Alle loben das Design des Nio ET5 und sind vom hochwertigen Interieur der vollelektrischen Limousine begeistert. Aber niemand kennt die Marke – und das ist derzeit wohl auch eines der größten Probleme von Nio in Deutschland. Aber der Reihe nach.
Nio ET5: Premiumlimousine zum Premiumpreis
Die meisten Deutschen denken bei chinesischen Autoherstellern nach wie vor zuerst an billige Autos. Das bekommen wir in den zwei Wochen mit dem Nio ET5 gleich mehrfach zu hören. Und wir blicken in viele überraschte Gesichter, wenn wir dann erzählen, dass der ET5 so viel kostet wie ein BMW 5er oder eine E‑Klasse von Mercedes-Benz.
Denn man darf sich vom Nio-Konfigurator nicht täuschen lassen: Wenn man auf den ET5 klickt, steht da zwar „ab 47.500 Euro“, aber das ist der Preis ohne Batterie. Die 75-Kilowattstunden-Batterie für 456 Kilometer WLTP-Reichweite kostet 12.000 Euro extra, für die 100-Kilowattstunden-Batterie (590 Kilometer WLTP-Reichweite) legt man sogar 21.000 Euro auf den Tisch. Alternativ kann die Batterie auch für 169 Euro respektive 289 Euro pro Monat gemietet werden. Wichtig zu wissen: Nur wenn man sich für die Batteriemiete (Battery as a Service) entscheidet, kann man die Batteriewechselstationen von Nio nutzen.
Unser Testwagen hat neben der 100-Kilowattstunden-Batterie auch noch das Comfort-Package (beheizte und belüftete Sitze mit Massagefunktion, Lenkradheizung, Duftsystem mit drei Düften, Sitzheizung in der zweiten Reihe und so weiter), den Nomi Mate und farbige Bremssättel. Macht in Summe 72.000 Euro.
Das ist sicherlich viel Geld. Gemessen an der Konkurrenz im Premiumsegment ist der ET5 aber immer noch preiswert, wenn man bedenkt, dass die vollelektrische Limousine bis unters Dach voll mit Features ist, die bei anderen Herstellern zur aufpreispflichtigen Sonderausstattung zählen. Da wäre etwa ein 1,28 Quadratmeter großes Panoramaglasdach, ein 7.1.4-Channel-Surround-Sound-System mit 23 Lautsprechern (1.000 Watt) und natürlich alle gängigen Assistenzsysteme (Nio Assisted and Intelligent Driving).
Zudem verfügt der ET5 über Nio Aquila Super Sensing. Zu den mehr als 30 Sensoreinheiten gehören unter anderem hochauflösendes Lidar, sieben Acht-Megapixel-Kameras, vier lichtempfindliche Drei-Megapixel-Kameras, Fünf-Millimeterwellen-Radare, zwölf Ultraschallsensoren und vieles mehr. Damit ist der ET5 bereits heute mit allem ausgestattet, was man fürs autonome Fahren braucht.
Nio ET5: Erstklassiges Fahrerlebnis
Rahmenlose Fenster, Soft-Close-Automatik, eingelassene Türgriffe und eine elektrische Ladeklappe – schon von außen betrachtet bringt der ET5 alles mit, was man von einem Premiumfahrzeug erwarten würde. Zumal beispielsweise die elektrische Ladeklappe selbst bei einem weit über 100.000 Euro teuren Mercedes-Benz EQS nicht einmal optional erhältlich ist.
Im Inneren erinnert der ET5 an eine edle Lounge. Nio setzt dabei auf nachhaltige Materialien aus natürlichen Mineralien und Pflanzenfasern, aber auch aus recycelten PET-Flaschen. Alles wirkt durchdacht und stimmig. Die Verarbeitung lässt keinerlei Zweifel am Premiumanspruch der Chinesen.
Das zentrale 12,8-Zoll-AMOLED-Display ist groß genug, um alle wichtigen Informationen übersichtlich darzustellen, dominiert aber dennoch nicht den ganzen Innenraum, wie es bei anderen Herstellern der Fall ist. Ohnehin steuert man so gut wie alle Funktionen über den intelligenten Sprachassistenten Nomi, der in den vergangenen Monaten noch einmal deutlich leistungsfähiger geworden ist.
Das Fünflenker-Sportfahrwerk erreicht zwar weder den hohen Fahrkomfort eines Mercedes-Benz EQE 350 noch die Sportlichkeit eines BMW i4 M50, aber es ist dennoch so abgestimmt, dass man längere Strecken komfortabel zurücklegen, den ET5 im Sport-Plus-Modus aber auch mal über kurvige Landstraßen jagen kann. Auch die Geräuschdämmung ist erstklassig.
Die Assistenzsysteme leisten (anders als noch beim ET7 vor ein paar Monaten) insgesamt hervorragende Arbeit, wenngleich die bei nahezu jeder Gelegenheit erklingenden Signaltöne mitunter etwas nervig sind.
Bei der Software hat Nio seit dem Deutschlanddebüt der Marke ebenfalls ordentlich nachgebessert – und wenn man sich erst einmal an die teilweise unübersichtliche Menüstruktur gewöhnt hat, bleiben nahezu keine Wünsche offen. So sucht man beispielsweise den (eigentlich banalen) Camping- oder Haustiermodus bei den deutschen Premiummarken bis heute vergebens.
Insgesamt hat man sehr viele Möglichkeiten, die Fahrzeugparameter an die eigenen Bedürfnisse anzupassen – und das ist etwas, das man in dieser Preisklasse durchaus erwarten kann.
Nio ET5: Bei der Ladeleistung muss nachgebessert werden
Wir legen in den zwei Wochen mit dem Nio ET5 gut 2.000 Kilometer zurück, darunter auch eine Langstrecke über 650 Kilometer nach Berlin. Während der Fahrt gibt es keinerlei Anlass zur Kritik. Im Gegenteil, der ET5 schlägt sich gerade in Hinblick auf Fahrkomfort und Software sogar besser als erwartet.
Auf der Autobahn pendelt sich der Verbrauch bei rund 21,5 Kilowattstunden pro 100 Kilometer ein. Daraus ergibt sich eine realistische Reichweite von rund 460 Kilometern. Auf der Landstraße kann man den Verbrauch problemlos auf unter 20 Kilowattstunden pro 100 Kilometer drücken, sodass 500 Kilometer und mehr mit einer Ladung möglich sind. Zumindest im Sommer.
Ein großes Manko hat der Nio ET5 allerdings: die Ladeleistung. Freilich kann man argumentieren, dass der Fokus von Nio auf den Batteriewechselstationen liegt, aber da es davon nur eine Handvoll in Deutschland gibt und deren Nutzung eine gemietete Batterie voraussetzt, spielen diese zumindest hierzulande nur eine untergeordnete Rolle. Somit entscheidet auf längeren Strecken allein die Ladeleistung über das zügige Vorankommen – und die ist leider mehr als dürftig.
Maximal 130 Kilowatt schafft der ET5 in unserem Test – und auch das nur bis etwa 35 Prozent SoC (State of Charge). So dauert der Ladevorgang von 5 auf 60 Prozent SoC stolze 30 Minuten. Zum Vergleich: Ein Hyundai Ioniq 6 braucht lediglich 18 Minuten von 10 auf 80 Prozent SoC.
Will man die 80 Prozent SoC mit dem ET5 und seiner 100-Kilowattstunden-Batterie erreichen, muss man mindestens 40 Minuten an der Ladesäule einplanen. Das ist für eine vollelektrische Premiumlimousine im Jahr 2023 einfach zu lang.
Nio ET5: Selbstbewusste Preispolitik birgt Risiken
Sieht man von der Ladeleistung ab, ist der Nio ET5 jedoch ein erstklassiges Elektroauto. Auch der Kaufpreis unseres Testwagens von knapp 73.000 Euro geht vollkommen in Ordnung, wenn man die umfangreiche Ausstattung bedenkt.
Allerdings will Nio die Fahrzeuge in erster Linie im Abo (Nio Subscription) auf die Straße bringen – und genau das ist der Grund, warum man bislang so wenige ET7 und ET5 in Deutschland sieht. Stolze 1.235 Euro pro Monat werden für unseren ET5 mit großer Batterie fällig – bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Ein Tesla Model 3 Performance schlägt in einem vergleichbaren Abo mit 949 Euro zu Buche, ein Polestar 2 mit 849 Euro – und sogar ein BMW i4 ist mit 1.209 Euro noch günstiger. Erwischt man einen günstigen Zeitpunkt oder einen guten Deal, sind auch mal 100 bis 200 Euro weniger pro Monat drin.
In Hinblick auf die Ausstattung und den Komfort ist der Nio ET5 verglichen mit einem Model 3 oder einem Polestar 2 das deutlich bessere Fahrzeug, daran besteht kein Zweifel. Aber dennoch muss man die Menschen erst einmal davon überzeugen, über 1.000 Euro im Monat für eine in Deutschland bislang gänzlich unbekannte Marke zu bezahlen.
Einerseits ist es richtig von Nio, gleich von Anfang an den Premiumanspruch der Marke zu demonstrieren, andererseits birgt insbesondere die Abopreispolitik, die mitunter sogar BMW, Mercedes-Benz und Audi als preiswert erscheinen lässt, gewisse Risiken für den Newcomer.
Nio ET5: Noch ist viel Überzeugungsarbeit notwendig
Alles in allem bleibt festzuhalten, dass Nio erstklassige Elektroautos baut, die sich im hart umkämpften Premiumsegment definitiv nicht vor der Konkurrenz verstecken müssen. Das beweist auch der ET5.
Damit der noch jungen Marke allerdings der Durchbruch in Deutschland gelingen kann, muss das Unternehmen noch mehrere Hürden überwinden. Zunächst gilt es, Nio auch außerhalb der Elektroauto-Bubble bekannter zu machen. Denn bis auf einige wenige Early Adopter kauft niemand Autos einer unbekannten Marke. Schon gar nicht bei Preisen jenseits der 70.000 Euro.
Im zweiten Schritt muss Nio entweder massiv in Batteriewechselstationen in ganz Deutschland investieren, sodass wirklich auf jeder Strecke genügend vorhanden sind, oder aber die Ladeleistung künftiger Modelle deutlich erhöhen. Denn noch zweifeln einige daran, dass Nio das Thema Batteriewechsel langfristig verfolgen wird.
Und dennoch: Nio hat innerhalb weniger Jahre Elektroautos entwickelt und auf den Markt gebracht, die mühelos mit der Konkurrenz mithalten können – und ihr in manchen Punkten sogar voraus sind.
Naja das mit dem Abo finde ich eigentlich nicht tragisch. Solche Autos gehen ja eh überwiegend im Flottenbereich und dort wird geleased. Dadurch, dass man die Batterie nicht kauft und somit ein größerer Punkt für eventuelle Reparaturen wegfällt ist das ein guter Tarif.
15600€ pro Jahr, das wären bei dem angegebenen Kaufpreis fast 5 Jahre Leasing, das wie es aussieht mit all inklusive.
Finde ich okay.
Mir gefällt das Design, aber der Kofferraum ist halt winzig. Dazu ist die Effizient schlecht – bei so großen Batterien müsste die Reichweite deutlich höher liegen, zumal es ja eine aerodynamisch gute Form hat. Da hole ich mir lieber einen ID.7, der beschleunigt zwar nicht so gut, hat aber mit einer kleineren Batterie eine deutlich größere Reichweite und sehr viel mehr Platz und Kofferraumvolumen.