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Ratgeber

Hosen runter: Es wird Zeit, das Märchen von der Arbeitskleidung im Homeoffice zu beerdigen

Wer ohne professionelle Verkleidung nicht arbeiten kann, der sollte sich lieber mal Gedanken machen, ob er wirklich Bock auf den Job hat.

4 Min.
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(Foto: Antonio Guillem / shutterstock)

Zieht euch richtig an – das zählt zu den wichtigsten Ratschlägen, die Menschen bekommen, denen im Homeoffice die Tagesstruktur entgleitet. Da ich berufsbedingt mit vielen Psychologinnen spreche, höre ich diesen Rat auch sehr oft. Ich nicke dann zustimmend und versuche, bei Video-Gesprächen nicht nach unten zu schielen. Auf meine Leggings. Wenn ich, der Sommer kommt ja, überhaupt irgendwas an den Beinen trage.

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Ich bin, mit einem kleinen festangestellten Büro-Zwischenspiel, seit mehr als sieben Jahren selbstständig. Und in all dieser Zeit habe ich mich zum Arbeiten zu Hause nicht mehr vernünftig angezogen. Wirklich nicht ein einziges Mal. Es gibt auch keinen Grund. Ich arbeite an einem Computer, mit Menschen rede ich fast ausschließlich über das Telefon. Mein Büro liegt hinter dem Schlafzimmer, da kommen keine Kunden vorbei, schon gar nicht unangemeldet. Und den Traum vom spontanen Video-Anruf, den haben sowohl Microsoft als auch Apple längst ausgeträumt – selbst Sprachanrufe werden heutzutage pompös angekündigt.

In den ersten Jahren der Selbstständigkeit lebte ich in einem ausgebauten Dachboden, Südlage mit großer Fensterfront im Wohnzimmer. Wer unter solchen Bedingungen mehr trägt als Unterwäsche, der muss seine Waschmaschine schon sehr lieben. Oder seinen Job sehr hassen. Das kann natürlich auch sein.

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Was den Geist beschäftigt, kostet Produktivität

Bequemlichkeit und Leistung hängen tatsächlich zusammen. Das ist leicht erklärt: Wer unbequeme Schuhe trägt, der muss sich mit den Folgen befassen. Die Füße tun weh, der Sport leidet darunter, Termine mit Geschäftspartnerinnen und Geschäftspartnern wirken ziemlich seltsam, wenn man dabei humpelt.

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Zwickt am Schreibtisch die schicke Hose in den Bauch, dann ist die Konzentration immer nur eine halbe. Und welche Funktion haben eigentlich ein weißes Hemd und eine weiße Bluse, wenn niemand sie sieht? Am Ende kommt die Kleidung in die Reinigung, ein Cocktail Chemie gießt sich darüber aus und gewonnen ist gar nichts.

Was soll der Ratschlag?

Und dennoch hält sich das Diktat der Bürokleidung. Wer nach Tipps für das Homeoffice recherchiert, der findet diesen sehr zuverlässig: Zieh dich ordentlich an. Spannend könnte eine Studie aus dem Jahr 2015 sein. In den Experimenten der Untersuchung stärkte ein formaler Dresscode das Zugehörigkeitsgefühl der Angestellten, außerdem fühlten sie sich mächtiger, was wiederum ihre Fähigkeit verstärkte, abstrakt und logisch zu denken. Die Kleidung wirkt hier also wie ein Pflaster auf tiefer liegenden Problemen: Den Menschen fehlten gute Gefühle, die ihnen bei der Arbeit helfen. Das ist ein schlimmes Schicksal, mit hübschen Klamotten aber auch nicht dauerhaft zu beheben.

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Eine andere Studie deutet übrigens auf das Gegenteil hin: Wer sich bewusst nicht an Dresscodes hält, aber hervorragende Ergebnisse erzielt, betont seine Überlegenheit. Zwei Harvard-Professoren ließen ihre Leistungen von Studierenden bewerten. Der, der sich rasierte und ordentlich anzog, bekam die schlechteren Noten. Was hat diese Studie nun bewiesen? Dass Professoren, die sich ordentlich anziehen, schlechtere Noten von ihren Studierenden bekommen. Mehr nicht. Wie so oft in der Wissenschaft gilt ein Studienergebnis erst einmal nur im Setting des Experiments. Allgemeingültigkeit ist schwer herzustellen, wenn es um menschliches Verhalten geht.

Wie viele Krawatten braucht man, um eine E-Mail zu schreiben?

Die Wahrheit ist: Wer die eigene Produktivität von äußeren Faktoren abhängig macht, der sollte sich dringend mal Gedanken machen, ob er seinen Job überhaupt mag. Oder die Arbeitsbedingungen. Bestimmte Rituale und Voraussetzungen sollen Menschen Sicherheit geben – doch in Wahrheit schaffen sie oft nur Bedingungen, ohne deren Erfüllung wir dumm dastehen. Sie schaffen Hürden. Was wird denn aus dem Fußballspieler, wenn die Glücksunterhose verloren geht? Was macht die Notärztin, wenn sie ihre Jacke nicht trägt? Soll das Controlling alle Arbeit einstellen, wenn die weißen Hemden dreckig sind? Wem gegenüber will der Anzugträger im Homeoffice eigentlich seine Autorität ausdrücken? Und wie viele Krawatten braucht man wirklich, um eine E-Mail zu schreiben?

Natürlich gibt es gewisse Bedingungen, die für einen produktiven Arbeitstag erfüllt sein müssen. Atembare Luft zum Beispiel. Sauberes Trinkwasser. Schlaf hilft, gelegentliche Mahlzeiten auch. Internetzugang, wenn auch nicht immer – diesen Text schreibe ich in meinem neuen Büro, für das ich den WLAN-Key noch nicht kenne. Und weil heute der letzte Tag im Monat ist und ich ein geiziger Mensch bin, komme ich auch mit meinem Smartphone nicht mehr wirklich ins Internet. Ich bin in diesem Büro, ich trage Leggings und Laufschuhe und einen sehr alten Pullover. Weder meine Finger noch mein Gehirn fühlen sich davon gestört.

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12:23 Uhr. Hochproduktiver Vormittag, ich mache dann mal Schluss hier. Vielleicht ist jetzt auch eine gute Zeit, um eine richtige Hose anzuziehen.

Zum Arbeiten brauchen wir die Kleidung nur, wenn wir sonst keine Gründe haben, sie zu erledigen. Wer im Schreibtischjob ohne Verkleidung nicht arbeiten kann, der sollte statt der Hose vielleicht lieber den Beruf wechseln. Die eigene Leistung ständig von Oberflächlichkeiten abhängig zu machen, ist nichts als organisierter Selbstbetrug. Und über den kann auch der smarteste Aufzug nicht hinwegtäuschen.

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10 Kommentare
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Frank

Ich würde jetzt gerne hier (bekleidet mit Shorts und Barfuß sitzend) stehende Ovationen klatschen. Oder eine Ein-Mann-La-Ola hinlegen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Job, der einen Anzug oder ein Kostüm benötigt, nur denen wirklich Spaß machen kann, die auch glauben, dass man von den Schuhen, die ein Mensch an den Füßen trägt, sofort auf den Charakter schliessen kann.

Eine Berufsbekleidung ist sicher sinnvoll, wo notwendig (Polizei, Handwerker, Ärzte). Aber Berater und Mausschubser üben sich dabei nur im Profi-Posing. Wer sonst nichts kann und nichts weiß, der benötigt teure und überflüssige „Business Outfits“ und blendet im Videomeeting die anderen mit den weißen Hemden. Ich bleibe dann bei meinem Gammellook und setze die Sonnenbrille vor dem Bildschirm auf. Sicher ist sicher. ;)

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Walter Mondrian

Ja, ne, is‘ klar. Wozu dann überhaupt noch ne Jogging-Hose mit Adiletten anziehen zum Kippen holen? Ne übergestülpte Mülltüte reicht doch.

Kleidung hat eben auch etwas mit Respekt den Mitmenschen gegenüber zu tun …

Antworten
Frank

…und was hat das in irgendeiner Form mit dem vielbemühten „Respekt“ zu tun, wenn ich keinen visuellen Kontakt zu Kunden oder Mitarbeitern habe?
Ist es nicht eher so, dass man denkt: „Ich hab mich jetzt in meinen Anzug gequetscht, dann erwarte ich von allen anderen, dass sie sich gefälligst genauso verhalten“…?

Anzüge und Kostümchen sind Uniformen. Wer die unbedingt braucht, sollte über einen Berufswechsel in die Bundeswehr, Polizei, etc. nachdenken. Da erwartet man auch blinden „Respekt“ vor einer Uniform und nicht vor den Leistungen der Menschen.

Der Mythos, dass man bei Telearbeit geputzt und gebürstet und im feinen Zwirn arbeiten sollte, weil es auf’s Unterbewusstsein wirkt, funktioniert nur bei Menschen, die mehr-Schein-als-sein diesen Unfug unbedingt brauchen.

Oder es ist eine weltweite Verschwörungskampagne der Anzug- und Garnhersteller ;-))

Antworten
Rüdiger Graf

Respekt zeige ich nicht mit Kleidung sondern mit Worten, Taten, Körpersprache, Mimik, Gestik . . .

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Stefan Dewald

Andere Menschen sind nur eine zwangsläufige Nebenerscheinung des eigenen Daseins.

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Heiner Etzler

Legendär bei einem Webinar: Der Protagonist ist gerade so richtig in (Verkaufs-)Fahrt, da klingelt es an seiner Tür: „Ui, das muss der Paketbote sein. Ich warte auf ein dringendes Paket.“ Steht auf und geht Richtung Tür und für ein paar Sekunden sehen wir die weiße Unterhose und zwei kalkbleiche, haarige Beine unter dem chicen roten Anzughemd des angehenden Business-Tycoon. Die unvollständige Kleidung hatte er wohl vergessen.

Antworten
Rüdiger Graf

so siehts aus – treffender kann man es nicht beschreiben!!!

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H.A. Nigemeier

Der Aufsatz ist überflüssig. Erwachsene Menschen sind ( hoffentlich ) selbstbestimmt, der eine mit, der andere ohne Krawatte. Muss die Autorin aushalten können. Ich möchte nicht mit ihr tauschen

Antworten
Julia Nikolaeva

Spießer.

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Julia Nikolaeva

Super Artikel :-) Und gilt nicht nur für’s Home Office. Als ich mal in einer Großkanzlei als WissMit angestellt war, fand ich es komplett bescheuert, dass wir WissMits, die keinen Mandantenkontakt hatten, uns trotzdem in furchtbar unbequeme schicke Anzüge zwängen mussten, sogar im Hochsommer in ein Jackett, nur um dem Dresscode zu genügen. Ich bin freiheitsliebender Wassermann, also habe ich irgendwann das Jackett nur noch seitlich auf dem Arm getragen, dann iwann ganz zu Hause gelassen, dann die dämliche in den Rock gesteckte Bluse gegen eine Bluse eingetaucht, die man über dem Rock tragen konnte, dann gegen einen Pulli… Irgendwann sagte mir eine Neue, wie schön sie es findet, dass wir da so casual rumlaufen. Ich hab ihr gesagt, sie soll sich bloß kein Beispiel an mir nehmen, wenn sie in der Kanzlei Karriere machen will. Dann habe ich mich selbstständig gemacht und bin seitdem 100% zufrieden – mit der Arbeit und mit dem lockeren Dresscode :-)

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