Big-Tech-Image: Facebook darf nicht mehr wie ein Glücksspielautomat funktionieren

Wären Banker Autohersteller und Finanzprodukte Autos, dann hätten sich die Banken in den vergangenen Jahren nicht darum gekümmert, dass die Autos schneller, sicherer oder sparsamer werden, sondern dass ein schrottreifer Trabi wie ein solider Volvo aussieht. Statt endlich Airbags und Sicherheitsgurte einzubauen, hätten sie das Auto mit allerlei Aufklebern beklebt, die den Kunden vorgaukeln, dass es sicher es ist – und unter dem glänzenden Lack wären ein rostender Motor und eine verrottende Karosserie zum Vorschein gekommen.
Mit anderen Worten: Die Finanzwirtschaft hat Produkte auf den Markt gebracht, die nicht in erster Linie dem Kunden nutzten, sondern die Rendite der Banken maximierten – und damit mit Teilen von „Big Tech“ etwas gemeinsam. Gerade Facebook steht im Feuer der Kritik – und die Ursache dafür könnte eine ganz ähnliche sein wie im Falle der Finanzprodukte: Das Produkt wird nicht darauf optimiert, dem Anwender zu nutzen, sondern darauf, Facebooks Rendite zu maximieren. Facebook maximiert im Sinne der eigenen Rendite und der eigentlichen Kunden – den Werbern – die Zeit, die wir mit den Produkten verbringen.
„Der Gedanke war der: Wie verbrauchen wir so viel deiner Zeit und deiner bewussten Aufmerksamkeit wie möglich?“, brachte das der ehemalige Facebook-Manager Sean Parker auf einer Konferenz 2017 auf den Punkt. Parker arbeitet seit 2005 nicht mehr bei Facebook.
Dabei bedient sich Facebook ganz ähnlich wie ein Glücksspielautomat kurzfristiger Belohnungen, um einen biologisch in uns angelegten Mechanismus auszutricksen. Gezielt zeigt Facebook die Inhalte, die uns am Bildschirm kleben lassen – kleine, aufpoppende rote Knubbel belohnen uns mit dem Gefühl, beliebt zu sein, weil wieder jemand etwas „geliked“ hat. Jede kleine digitale Belohnung sorgt für eine Dopamin-Ausschüttung. Zahlreiche psychologische Experimente der vergangenen Jahrzehnte zeigen, dass das Hormon äußerst effizient dazu führt, dass Verhalten zu Gewohnheit wird.
Tech-Produkte werden häufig einseitig auf die dort verbrachte Zeit optimiert
Am Ende aber empfinden wir die Zeit, die wir am Smartphone oder Rechner mit Facebook verbringen, trotzdem als das, was sie viel zu häufig ist: im besten Falle Zeitverschwendung, in vielen Fällen sogar eine Beschäftigung mit Dingen, die uns unglücklich machen. Weil wir beispielsweise neidisch das – nur scheinbar – perfekte Leben anderer durch den Filter von Social Media betrachten oder weil wir immer wieder mit Meinungen konfrontiert werden, die unser Blut kochen lassen – und uns genau dadurch zu Kommentaren anstacheln.
Natürlich gibt es auch andere Dinge, die am Image der Tech-Konzerne kratzen: Sie vermeiden Steuern, wo immer sie es können, konzentrieren die Macht im Netz auf wenige Plattformen und missbrauchen Daten – tatsächlich oder vermeintlich. Ein Aspekt aber, der selten beleuchtet wird, ist das Produkt an sich.
Es fällt auf, dass unter den großen Tech-Konzernen zuletzt vor allem Facebook in der Kritik stand. Das hat natürlich mit dem Skandal rund um Cambridge Analytica zu tun – aber das Produkt war schon viele Jahre zuvor nicht beliebt. Schon 2010 waren Verbraucher mit Facebook so unzufrieden wie mit kaum einem anderen bekannten Unternehmen der USA – der Ruf des sozialen Netzwerks war schon damals so schlecht wie der von Kabel-TV-Anbietern und Fluggesellschaften.
Produktdesign nach Marie Kondo: Macht es mich glücklich?
Wenn Big Tech es ernst damit meint, in der Gesellschaft beliebter werden zu wollen, muss das Produkt dem Anwender nutzen, anstatt dass das Produkt darauf optimiert wird, dass der Nutzer möglichst viel Zeit damit verbringt. Die zentrale Frage für das Produktdesign sollte vielmehr – frei nach Marie Kondo – lauten: Macht es mich glücklich? Für zu viele Tech-Produkte lautet die Antwort derzeit noch: für den Moment vielleicht schon, aber mit Abstand betrachtet nicht – im Gegenteil. Die Frage lautet: Bei welchen Interaktionen auf Online-Portalen haben wir hinterher und langfristig das Gefühl, dass sie uns weiterbringen und unser Leben bereichern, statt unsere Zeit zu verschwenden.
Die Frage muss im Sinne der gesellschaftlichen Verantwortung im besten Fall sogar nicht nur auf individueller, sondern auf gesamtgesellschaftlicher Ebene bejaht werden. Macht es die Gesellschaft glücklicher, besser? Diese Maßzahl lässt sich deutlich schwerer beurteilen und messen als die verbrachte Zeit. Kein Algorithmus kann sich automatisiert in diese Richtung trainieren – es braucht Befragungen, Psychologen und Soziologen.
Und damit wären wir vielleicht auch schon bei einem Kernproblem von Big Tech: Das Silicon Valley ist seit Jahrzehnten geprägt von einer Kultur der Ingenieure, Informatiker, Mathematiker und einigen Absolventen von Business-Schulen. Die haben großartige Produkte gebaut, die in vielen Fällen bestens funktionieren. Für die Frage, welche langfristigen Auswirkungen die Produkte aber individuell-psychologisch und gesellschaftlich haben, fehlt noch zu häufig die Perspektive von Sozial- und Geisteswissenschaftlern.
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Vielleicht ist es populär gegen Facebook zu argumentieren. Mir hat der Beitrag jedenfalls sehr gefallen und er hätte nach meinem Gusto noch weiter in die Tiefe gehen können. Gibt es bereits Untersuchungen zu dem Thema, ob sich Facebook tatsächlichen der Methoden der Glücksspielindustrie bedient, wie der Author, für mich nachvollziehbar, erklärt? Ggf. läge eine Regulierung insbesondere zum Schutz Minderjähriger nahe, gibt es solche Initiativen? Wer wäre hierfür zuständig? Vlt. ein Interview mit der zuständigen Stelle und Facebook hierzu.. Jedenfalls ein interessantes gesellschaftliches Thema abseits der üblichen (auch interessanten) technischen Themen :-)