Ist die Ära des Tech-Booms vorbei?
Wenn die gesamte Wirtschaft zu Tech wird, verschwindet dann der Nimbus der Tech-Konzerne? Wenn Netflix und Disney beide Streaming-Technologie nutzen, um ihre Inhalte zu verbreiten, warum wird Netflix dann trotz eines Mini-Gewinns wie eine große Gewinnmaschine an der Börse bewertet? Wenn Tesla und BMW beide auf Elektro-Motoren setzen, um ihre Autos anzutreiben – warum wird der Newcomer an der Börse mit extremen Aufschlägen im Kurs-Gewinn-Verhältnis gehandelt, fragte sich der Finanzmarkt-Experte Vincent Deluard in einem Blog der Financial Times – überschrieben mit der der provokanten Überschrift „Tech is over“: „Wenn Technologie überall ist, hört die Tech-Branche auf zu existieren.“
An der Börse machte sich zuletzt eine gewisse Tech-Müdigkeit breit. Die über Jahrzehnte von den Finanzmärkten verwöhnte Branche wird – am Kurs-Gewinn-Verhältnis gemessen – historisch auf einem Tiefpunkt bewertet, wie das US-Magazin The Atlantic kürzlich schrieb. Es nennt auch einen Grund: „Letztlich wird das Umsatzwachstum gegen die natürliche Grenze Bevölkerungsgröße und Wachzeit stoßen.“ Schon länger ist vom Smartphone-Plateau die Rede, seit die weltweiten Smartphone-Verkäufe nicht mehr steigen, sondern tendenziell sinken, da eine Marktsättigung erreicht scheint. Natürlich hat Apple, dessen teure iPhones in reiferen Märkten stärker vertreten sind, dieses Plateau früher erreicht als beispielsweise Samsung.
Die Digitalisierung bleibt komplex und erfordert Kompetenzen
Was beide Analysen aber übersehen, ist die Tatsache, dass die Anwendung und Nutzung von Technologie nicht trivial wird, nur weil sie alle einsetzen. Software bleibt komplex, Datenanalyse bleibt komplex, ein gutes User-Interface für Nutzer zu schaffen, bleibt eine Herausforderung. Natürlich wird sich jeder Konzern darum bemühen, auf diesen Feldern besser zu werden – aber Stand jetzt ist niemand auf der Welt stärker im Bereich Datenanalyse und künstliche Intelligenz als Google, niemand hat es besser verstanden, User-Interfaces und Hardware zu bauen, die Nutzer als schön und ästhetisch empfinden, als Apple – und niemand hat die Logistik-Kette im digitalen Zeitalter besser im Griff als Amazon.
Der Antrieb eines E-Autos mittels Elektromotor und Akku ist tatsächlich trivial – viel weniger komplex als der Antrieb eines Verbrenners. Die eigentliche Stärke von Tesla ist daher – neben der Markenstrahlkraft und dem damit verbundenen Image, das es sich als E-Auto-Pionier aufgebaut hat – das Beherrschen der digitalen Schnittstelle zum Kunden.
Die Beobachtung, dass die „low hanging fruits“ der Digitalisierung langsam abgeerntet sind, ist wahrscheinlich richtig. Bislang hat der Tech-Investor Marc Andreessen mit seiner 2011 geäußerten These „Software is eating the world“ recht gehabt: Was zur Software werden konnte, wurde zur Software. Und bei physischen Gütern wie Autos nimmt Software zumindest eine immer zentralere Stellung ein und wird außerdem zur Schnittstelle zwischen Unternehmen und Kunde.
Werden die digitalen Champions sich auf andere Branchen ausbreiten?
Umso mehr wird es in den kommenden Jahren und Jahrzehnten darauf ankommen, mit Kompetenzen in Bereichen von Machine Learning bis Online-Customer-Journey jedes Unternehmen zu digitalisieren. Und weil die Digital-Kompetenz zahlreicher Unternehmen nach wie vor gering ausgeprägt ist, ist die Ausbreitung digital kompetenter Unternehmen auch in branchenfremde Bereiche zumindest ein denkbares Szenario.
Klar, vom Apple- oder Google-Auto ist immer noch weit und breit nichts zu sehen – aber Amazon wildert mit der Übernahme von Whole Foods längst im Revier des stationären Handels. Google und Apple haben außerdem noch immer die Chance, über die Smartphones-Hintertür irgendwann auch die Displays der Autos zu übernehmen – bei Nicht-Premium-Herstellern zuerst. Android Auto und Apple Carplay sind ein erster Schritt dahin.
2 Strategien der Tech-Konzerne für weiteres Wachstum
Das Wachstum der Tech-Giganten kennt tatsächlich natürliche Grenzen – vorerst: Irgendwann besitzt jeder Mensch ein Smartphone, irgendwann ist die Zeit, die Menschen online verbringen und auf Werbung stoßen können, ausgeschöpft.
Darauf könnten die Tech-Konzerne mit zwei Strategien reagieren, die sich gegenseitig nicht ausschließen: Sie könnten die Zeit, mit der Menschen Zeit mit von ihnen kontrollierten Displays verbringen, weiter maximieren, indem sie versuchen, auf neue Bildschirme wie Fernseher oder Auto-Armaturen vorzudringen. Die andere Strategie ist es, Branchengrößen in allen Bereichen mit der eigenen Kompetenz beim Umgang mit Daten und Software im Rahmen von Kooperationen zu helfen und sich dieses Engagement in irgendeiner Form bezahlen zu lassen.
So lange der kompetente Umgang mit KI, Big Data und Software für Unternehmen ein personeller Flaschenhals bleibt, wird „Big Tech“ Wege finden, die hohe Kompetenz auf diesen Feldern in weiteres Wachstum umzuwandeln.
Weitere Neuland-Kolumen von Stephan Dörner:
- Wann sind wir Digitalversteher überflüssig?
- Folgt auf die GAFA-Ökonomie der Tech-Welt die FAANG-Ära?
- Genosse Jeff Bezos: Wie viel Planwirtschaft steckt in der Plattformökonomie?
„Der Antrieb eines E-Autos mittels Elektromotor und Akku ist tatsächlich trivial – viel weniger komplex als der Antrieb eines Verbrenners.“
Das kann so mit Sicherheit nicht stehen bleiben. Ersten befindet sich zwischen Elektromotor und Akku noch ein Frequenzumrichter und zweitens ist die elektronische, elektrische und thermische Regelung dieses Systems alles andere als ‚trivial‘. Besonders knifflig wird es freilich bei (Plug-in) Hybridantrieben.
Walter, dennoch ist ein moderner Verbrenner weitaus komplexer.
Eine moderne Motorsteuerung samt Steuerung aller Aggregate und Komponenten in verschiedenen Zuständen ist mechanisch und auch technisch sehr anspruchsvoll. Ein Elektroauto ist in jedem Fall deutlich simpler aufgebaut als ein Verbrenner.