Sind Blockchain-Domains das nächste große Ding?
Sie sind für viele eine Selbstverständlichkeit und im heutigen Internet kaum mehr wegzudenken: Domains. Diese für den Menschen lesbaren Adressen ersetzen die Eingabe einer IP-Adresse, um eine bestimmte Website aufzurufen. Verantwortlich dafür ist das sogenannte „Domain Name System“ (DNS), das bereits seit den 1980er Jahren existiert.
Was sind Blockchain-Domains?
Doch auch Blockchains weisen Bausteine mit eigenen Adressen auf. Diese Bausteine sind vor allem Wallets, also digitale Brieftaschen, und Smart Contracts, dezentrale Computerprogramme, die in einer Blockchain leben.
Die zugehörigen Adressen sind dabei üblicherweise alphanumerische Zeichenketten: lange und schwer zu merkende Kombinationen aus Zahlen und Buchstaben. Um ihre Anwendung zu vereinfachen, können sie ebenfalls über Domains abgebildet werden.
Möchten die Nutzer:innen Alice und Bob beispielsweise eine Zahlung über eine Blockchain erhalten, könnten sie jeweils eine Blockchain-Domain registrieren. Eine Transaktion wäre dann an ihre neuen Adressen „alice.eth“ und „bob.eth“ möglich.
Welches Problem lösen Blockchain-Domains?
Beim Versuch, eine Wallet-Adresse händisch zu übertragen, kommt es leicht zu Zahlendrehern und Fehleingaben. In der Praxis werden Blockchain-Adressen daher in die Zwischenablage kopiert und an anderer Stelle eingefügt. Doch auch hierbei besteht Verwechslungsgefahr. Außerdem existieren Formen der Schadsoftware, die zwischengespeicherte Adressen unbemerkt verändern.
In zentralisierten Systemen sind solche Fehleingaben häufig durch die Aktualisierung von zugrundeliegenden Datenbanken möglich. Beispielsweise kann eine Kurznachricht an einen falschen Empfänger noch rückwirkend gelöscht oder bearbeitet werden. Selbst Banküberweisungen an einen falschen Adressaten können teilweise noch zurückgezogen werden, sofern die Buchung noch nicht stattgefunden hat. Im dezentralen System einer Blockchain sind solche nachträglichen Änderungen jedoch nicht möglich. Die Unveränderbarkeit von bestätigten Transaktionen ist schließlich eine der wesentlichen Charakteristiken einer Blockchain.
Ein falscher Adressat oder eine fehlerhafte Adresse kann daher zum Totalverlust eines zu versendenden Betrages führen. Eine fehlerhafte Adresse ist beispielsweise eine Adresse ohne Eigentümer:in oder eine Adresse auf einer anderen Blockchain, zu der keine Kompatibilität besteht.
Eine Besonderheit ist die Organisationsform dieser Blockchain-Domains. Statt von einer zentralen Institution werden sie über Smart Contracts betrieben und verwaltet.
Welche aktuellen Systeme gibt es?
Heute arbeiten unterschiedliche Projekte an der Umsetzung solch dezentraler Systeme für die Namensauflösung. Sie unterscheiden sich unter anderem durch den Grad ihrer Dezentralisierung und Kommerzialisierung, durch ihr Verhältnis zu bestehenden Domain-Systemen und durch ihre unterstützten Domain-Endungen, den sogenannten „Top-Level Domains“ (TLD).
Nachdem im Jahr 2011 mit der libertär geprägten und mitunter sehr umstrittenen Bitcoin-Abspaltung Namecoin ein erstes System zur dezentralen Namensverwaltung initiiert wurde, stehen heute andere Projekte im Fokus. Zwei der bekanntesten Projekte sind der Ethereum-Name-Service und Unstoppable Domains sowie einige weitere Ansätze, auf die im Folgenden kurz eingegangen wird.
Ethereum-Name-Service
Der Ethereum Name Service (ENS) ist das aktuell wahrscheinlich vielversprechendste Blockchain-Domain-Protokoll. Entwickelt unter der Leitung des früheren Google Mitarbeiters Nick Johnson, feierte es im Jahr 2017 sein Debüt. Damals wurden die ersten Domains unter der Top-Level-Domain .eth ausgegeben. Das Projekt arbeitet mit der „Internet Corporation for Assigned Names and Numbers“ (ICANN) zusammen: Ziel ist die Ergänzung des bestehenden DNS statt dem Aufbau zweier konkurrierender Systeme.
Besonders wichtig: Der Begriff Ethereum Name Service leitet sich lediglich davon ab, dass dieser Domain-Service auf der technischen Grundlage des Ethereum-Netzwerkes entwickelt wurde. Neben der Kryptowährung Ether unterstützt dieses Domain-System aber auch andere Blockchains, wie zum Beispiel Bitcoin oder Litecoin. Nach eigenen Angaben wurden über das System bis Dezember 2021 bereits 552.000 Domains registriert. Wiederum 344 andere Apps und Integrationen haben den Ethereum Name Service bisher eingebunden.
Der Ethereum Name Service ist in Form eines Non-Profit-Unternehmens namens True Names organisiert.
Unstoppable Domains
Einer der Wettbewerber, der auf ENS folgte, ist das 2018 gegründete US-amerikanische Unternehmen Unstoppable Domains Inc. Es verfolgt einen kommerzielleren Ansatz als ENS und wurde Anfang 2019 unter anderem vom bekannten Investor Tim Draper finanziert.
Basis ist die sogenannte „Crypto Name Service“ (CNS)-Architektur, die sich an der ursprünglichen ENS-Architektur orientiert. Auch hier basiert das System auf Smart Contracts, vor allem aber auf einer sogenannten Registry und dem Resolver. Die Registry ist ein Smart Contract, der wie eine Art Telefonbuch funktioniert und jede Domain inklusive der:des zugehörigen Eigentümer:in enthält. Der Resolver funktioniert ganz ähnlich, ordnet den Domains jedoch unter anderem Wallet-Adressen zu. Das bedeutet, dass eine Domain auch programmatisch an eine andere Person verliehen werden kann. Und das, ohne dass der:die Eigentümer:in die Kontrolle über die Domain aus der Hand geben muss.
Weitere Projekte
Daneben existieren zahlreiche weitere Projekte, die ähnliche, wenngleich leicht unterschiedliche Ansätze verfolgen. Ein Beispiel dafür ist das Handshake-Protokoll, das sich heute communitygelenkt organisiert. Ein anderes Beispiel ist das Projekt Decentraweb, das sich vor allem auf die dezentrale Organisation von Top-Level-Domains fokussiert. Darüber hinaus existieren zahlreiche weitere Projekte, deren Entwicklungsstand jedoch hinter dem der angesprochenen Projekte zurückliegt oder deren Entwicklungsanstrengung über die Zeit abebbte.
Die Zukunft der Blockchain-Domains
Der Nutzen der Blockchain-Domains leitet sich daraus ab, dass sie Adressen vereinfachen und die Verwendung von Blockchains einfacher und sicherer machen. Mit der generellen Adaption von Blockchains dürfte auch die Verbreitung derartiger Domains zunehmen. Ihr Stellenwert ist dabei zunächst unabhängig von der Frage, welches der vielen Projekte sich als globaler Standard durchsetzen wird. Da bei Domain-Systemen vor allem der Netzwerkeffekt eine Rolle spielt, könnte sich ein einzelnes Projekt als solcher Standard etablieren. Bestens dafür aufgestellt scheint der Ethereum Name Service zu sein.
Eine besondere praktische Bedeutung könnte sich für Blockchain-Domains ergeben, wenn sich der viel diskutierte Ansatz „Sign in with Ethereum“ durchsetzen sollte. Damit ist eine universelle Authentifizierung gemeint, mit der sich Nutzer:innen mit ihrem Ethereum-Wallet auf einer Website einloggen können. Ein gesondertes Registrieren und Einloggen über E-Mail und Passwort wäre auf diese Weise nicht mehr notwendig. In diesem Fall wären Blockchain-Domains mehr als reine Adressabkürzungen. Sie wären ein Schritt hin zu einer vollständigen digitalen Identität.
Auch wenn Blockchain-Domains schon heute praktisch einsetzbar sind, bestehen doch noch offene Fragestellungen. Einige dieser Fragen sind beispielsweise: Wie werden Markenrechtsverletzungen gehandhabt, wenn die Domains von einem dezentralen Register in Form eines Smart Contracts verwaltet werden? Wie sieht eine optimale Preisgestaltung für die Vergabe neuer Domains aus? Und wie wird eine bestmögliche Integration in das bestehende DNS erreicht?
So oder so: Blockchain-Domains sind der logische nächste Schritt zur Verbesserung und Vereinfachung von blockchainbasierten Anwendungen.
Guter Artikel. Ich würde noch unbedingt Handshake (HNS) hinzufügen. Aktuell am vielversprechendsten und auch größer als die anderen beiden.