China vs. Neuralink: Wer gewinnt das Rennen um die Brain-Computer-Interfaces?

Elon Musks Neuralink sieht sich wachsender Konkurrenz ausgesetzt – und die gibt auch noch Gas. (Bild: JLStock / Shutterstock)
Neuralink war lange das Synonym für futuristische Gehirnchips – medienwirksam orchestriert von Elon Musk, inszeniert mit kritikwürdigen Darstellungen von Pong-spielenden Affen oder Mario-Kart-spielenden Schwerstgelähmten, dabei getrieben von einem Versprechen: Die Gedankensteuerung kommt, und sie kommt aus Kalifornien. Gemeint sind sogenannte Brain-Computer-Interfaces, kurz BCIs – also Schnittstellen, die Gedanken in digitale Signale übersetzen.
Doch während in den USA noch gefeiert, getestet und manchmal auch gezweifelt wird, zieht in China eine Kombination aus staatlicher Forschung und strategischem Ehrgeiz leise, aber entschlossen nach – vielleicht demnächst sogar vorbei.
Erster Empfänger eines Neuralink-Implantats nutzt sein BCI schon 14 Monate
Stand Frühjahr 2025 ist das Rennen um den ersten echten Brain-Computer-Marktführer offen wie nie. Neuralink hat nach aktuellen Angaben drei Menschen mit seinem „Telepathy“-Chip versorgt – der prominenteste davon, Noland Arbaugh, nutzt das Implantat seit über einem Jahr, steuert damit Spiele wie Civilization VI, verfasst Texte, flirtet mit Chatbots, liest Bücher, und startet gerade eine Karriere als Keynote-Speaker. 10 Stunden Nutzung täglich – allein das spricht für eine gewisse technische Reife.
Was Neuralink neu macht, ist die Kombination aus kabelloser Kommunikation, mehr Elektroden als bei bisherigen Systemen und maximaler Medienaufmerksamkeit. Aber die Grundidee, per Gedanken mit Maschinen zu kommunizieren, ist nicht neu.
Forschungsprojekte wie das Braingate-Konsortium haben schon vor Jahren gezeigt, dass das prinzipiell funktioniert. Neuralinks entscheidender Vorteil liegt also nicht im „Ob“, sondern im „Wie“ – und im Ziel, daraus ein Produkt für viele zu machen.
Chinesische Kooperation kündigt 13 Implantate am Menschen für 2025 an
Währenddessen baut China ganz in Ruhe seine eigene Pipeline auf. Eine Kooperation aus dem staatlichen Chinese Institute for Brain Research (CIBR) und dem Unternehmen Neucyber Neurotech, beide mit Sitz in Peking, hat inzwischen ebenfalls drei Personen mit dem Chip Beinao Nr. 1 versorgt.
Und laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters vom 31. März 2025 sollen im laufenden Jahr zehn weitere Implantationen folgen – also insgesamt 13 Patient:innen bis Ende 2025. Gelingt das, wäre die chinesische Kooperation im laufenden Jahr an Neuralink vorbeigezogen – zumindest nach reinen Fallzahlen.
Neucyber verfolgt dabei zunächst einen vorsichtigeren Ansatz: Statt wie Neuralink direkt ins Gehirngewebe einzudringen, wird der Chip auf die kortikale Oberfläche – also die äußere Schicht des Großhirns – gesetzt. Das reduziert chirurgische Risiken, könnte aber bei der Signalqualität Abstriche bedeuten. An einem invasiveren Modell, dem Beinao Nr. 2, das stärker an Neuralinks Bauweise erinnert, wird bereits gearbeitet. Für 2026 ist zudem eine klinische Studie mit 50 Patient:innen in Planung.
Neben Neucyber ist mit Neuracle Neuroscience ein weiteres chinesisches Unternehmen aktiv. Es verfolgt ebenfalls einen semi-invasiven Ansatz mit auf dem Gehirn platzierten Elektroden und führt laut MIT Technology Review derzeit zwei klinische Studien in China sowie eine in den USA durch. Konkrete Patientenzahlen nennt Neuracle allerdings nicht – das Unternehmen spricht lediglich davon, dass „mehrere Personen“ das Implantat erhalten haben.
Auch Synchron mischt mit – und liegt vorn
Was dabei oft untergeht: Derzeit hat weder Neuralink noch Neucyber die Nase vorn, wenn man rein auf die Zahl menschlicher Implantationen schaut. Die liegt bei einem Dritten im Bunde: Synchron. Das US-Unternehmen mit Sitz in New York nutzt eine besonders schonende Technik, bei der ein Elektroden-Stent über die Halsvene in ein Blutgefäß im Gehirn eingeführt wird – ganz ohne Schädelöffnung. Zehn Patient:innen, sechs in den USA und vier in Australien, wurden laut MIT Technology Review bisher mit dem „Stentrode“ versorgt.
Zwar erlaubt das System aktuell nur einfache Steuerimpulse („Switches“), mit denen man etwa zwischen Optionen navigieren oder vorgefertigte Nachrichten auswählen kann. Doch das Unternehmen punktet mit Skalierbarkeit, regulatorischer Nähe und prominenten Investor:innen wie dem Amazon-Gründer Jeff Bezos und dem Microsoft-Mitgründer Bill Gates.
Was zählt am Ende – Technik, Tempo oder Vertrauen?
Während China auf Geschwindigkeit und staatliche Förderung setzt, Neuralink auf technische Tiefe und Popkultur-Buzz, und Synchron auf medizinische Machbarkeit, bleibt die alles entscheidende Frage offen: Wann wird aus der Demonstration ein Produkt? Und wer bringt es zuerst auf den Markt – oder in den Alltag?
Die Herausforderungen sind nicht trivial: Wie lange hält ein Implantat wirklich? Wie viel Kontrolle bietet es im Alltag? Und wie geht man mit Datenschutz, Missbrauchsrisiken oder ethischen Fragen wie jenen aus Neuralinks umstrittener Tierversuchsgeschichte um?
Europa spielt in diesem Rennen bisher bestenfalls eine Nebenrolle. Während in Frankreich oder Deutschland BCI-Forschung weiter stark in der universitären Grundlagenarbeit verankert ist, fehlen ambitionierte Programme und politische Flankierung. Gerade im Gesundheitswesen wäre eine robust regulierte, datenschutzfreundliche BCI-Alternative aus Europa denkbar – doch sie existiert schlicht (noch) nicht.
Das BCI-Rennen ist offen
Im Jahr 2025 geht es in der BCI-Welt nicht mehr nur um das Ob – sondern um das Wer. Neuralink mag weiterhin das lauteste Projekt sein, doch China schickt sich an, die größere Fallzahl zu erreichen. Und Synchron könnte mit seinem leiseren, pragmatischen Ansatz zuerst bei den Behörden durchkommen.
Die Technologie, die vielen Menschen mit schweren Behinderungen Hoffnung machen kann, steht an der Schwelle zur echten Anwendung. Aber das Rennen ist offen – und es wird global geführt.