DHDL: Wie viel Startup-Realität steckt in der Sendung? Eine Expertin klärt auf

Immer wieder montags treten derzeit Gründerinnen und Gründer in der „Höhle der Löwen“ vor Investor:innen. Sie pitchen, versuchen den USP ihres Unternehmens klarzumachen und müssen sich den Fragen von Ralf Dümmel, Judith Williams und Co. stellen.
Der Auftakt der zwölften Staffel bescherte Vox 1,67 Millionen Zuschauer:innen – doch es gibt auch Kritik an der Sendung. Es bleibt die Frage: Wie viel Startup-Realität kann die Sendung tatsächlich wiedergeben, wo liegen ihre Grenzen und Chancen?
Die Grenzen von DHDL
Wer bei „Die Höhle der Löwen“ einschaltet, muss sich vor allem einer Sache bewusst sein: Die Sendung ist ein Unterhaltungsformat. Sie soll für ein breites Publikum verständlich und kurzweilig sein – und ist dementsprechend konzipiert.
Pitch im Schnellverfahren
Das erste Beispiel dafür: Während der Aufzeichnung kann ein Pitch bis zu eineinhalb Stunden dauern, die Zuschauer:innen sehen davon insgesamt 20 Minuten. Am Ende entscheiden die Investor:innen und das Startup, ob sie einen Deal schließen wollen.
Ganz anders ist der zeitliche Rahmen in der Startup-Realität. „Realistisch betrachtet sind das schon ein paar Wochen, die vom Erstkontakt bis zur Entscheidung vergehen“, erklärt Magdalena Oehl vom Bundesverband deutsche Startups.
Auch die Pitch-Situation selbst unterscheidet sich. Die TV-Kulisse sei eher konfrontativ gestaltet – auf der einen Seite die Gründer:innen, auf der anderen die Löw:innen. Die Kritik fällt aus Oehls Sicht manchmal etwas harsch aus. In der Praxis würden Gespräche mit Investor:innen dagegen „häufig mit einem Austausch auf Augenhöhe beginnen“ – zum Beispiel bei einem gemeinsamen Abendessen.
Und: „Viele Investoren sagen auch, sie investieren nicht in eine Idee, sondern in ein Team.“ Bei den ersten Treffen gehe es dementsprechend viel um die menschliche Komponente – ein Aspekt, für den in der „Höhle der Löwen“ vorm symbolischen Deal hingegen kaum Zeit bleibt.

Magdalena Oehl ist Gründerin und Vorstandsmitglied beim Bundesverband Deutsche Startups. „Ich glaube, dass die Möglichkeit zu gründen viel mehr in den Mittelpunkt der Gesellschaft kommen muss”. (Foto: Widemann)
Pitch, Deal – und dann?
Das Kennenlernen unter Zeitdruck könnte mit ein Grund dafür sein, dass manche Deals, die vor laufender Kamera „geschlossen“ wurden, im Nachhinein platzen.
Aber auch sonst muss nach der symbolischen Einigung im Studio noch so einiges passieren, was bei Verhandlungen im realen Leben direkt mit inbegriffen ist. Es gilt beispielsweise zu klären, wie die Zusammenarbeit konkret aussehen soll. Dafür bekommen Startups in der Praxis „meistens ein Term-Sheet von einem Investor, das heißt es wird schon mal vorformuliert, wie der Vertrag in den wesentlichen Punkten aussehen soll“, erklärt Magdalena Oehl.
Steht im TV-Studio ein mündliches Angebot seitens eines Investors oder einer Investorin, können angerufene Vertraute den Gründer:innen meist nur raten, auf ihr Bauchgefühl zu hören. Im realen Leben wird stattdessen das Term-Sheet mit den Mitgründer:innen „und häufig auch mit einem Anwalt“ besprochen – und wer möchte, könne meist auch noch eine Nacht darüber schlafen.
Erhöhtes Ausfallrisiko: Warum scheitern so viele DHDL-Startups?
Doch auch wenn ein Deal tatsächlich zustandekommt, ist das noch keine Erfolgsgarantie. Zwar gibt es Positiv-Beispiele wie Everdrop oder Ankerkraut, die nach der Sendung zu millionenschweren Unternehmen wurden, die Bonitätsauskunft Creditsafe hat bei DHDL-Startups aber insgesamt eine deutlich höhere Ausfallwahrscheinlichkeit als in der gesamtdeutschen Startup-Landschaft festgestellt.
Woran liegt das? Magdalena Oehl nennt dafür zwei Gründe. „Eine Rolle spielt natürlich, dass viele der Startups in der Sendung sehr frühphasig sind. Teilweise passt da der Begriff Startup noch gar nicht, sondern es kommt eine Person mit einer guten Idee, für deren Umsetzung sie Kapital braucht.“ In einer so frühen Unternehmensphase ist die Wahrscheinlichkeit noch deutlich höher, letztendlich zu scheitern – das sieht auch Investor Carsten Maschmeyer im t3n-Interview so.
Und: „Viele, die zur Höhle der Löwen kommen, sind Quereinsteiger.“ Sie versuchen, mit ihrem Produkt Probleme zu lösen, die ihnen beispielsweise in ihrem bisherigen Arbeitsalltag begegnet sind. Fehlt es dabei an unternehmerischem Vorwissen, ist das Risiko höher, zu scheitern.
Ein grundsätzliches K.o.-Kriterium ist der Quereinstieg aber keinesfalls, im Gegenteil: Man habe immer die Möglichkeit, „egal was man vorher gemacht hat, sich Themen anzueignen und ein erfolgreicher Gründer zu sein“, findet Magdalena Oehl. „Man muss nicht BWL studiert haben, um ein erfolgreiches Startup zu gründen, sondern man kann das auch nach einer Ausbildung oder direkt nach der Schule machen“ – das werde bei der „Höhle der Löwen“ für viele Zuschauer:innen sichtbar.
Nicht alles lässt sich im TV erklären
Bestimmte Produkte – Lebensmittel, Apps, Haushaltsgeräte – tauchen verlässlich in fast jeder Ausgabe der „Höhle der Löwen“ auf und sorgen immer wieder für Frotzelei in der Twitter-Community. Was auffällt, wenn man die Startup-Auswahl genauer unter die Lupe nimmt: Die meisten Unternehmen in der Sendung arbeiten B2C, wenden sich also direkt an die Verbraucher:innen vor den Bildschirmen.
B2B-Konzepte, bei denen andere Unternehmen zu Kund:innen werden, werden dagegen eher selten gezeigt. „Sie machen aber in der Startup-Szene einen sehr großen Teil aus und gehören häufig zu den erfolgreichsten Startups“, die große Finanzierungen einstreichen.
Auch besonders komplexe Themen, für die es beispielsweise technisches Vorwissen bei Investor:innen und Publikum bräuchte, fallen durchs Raster. „Grundsätzlich sollte jedes Startup in einem Satz erklärbar sein. Aber es gibt natürlich auch gerade im Tech-Bereich Dinge, die eine so hohe Komplexität mitbringen, dass sie in einem kurzen TV-Format nicht ausreichend erklärt werden können“, so Oehl.
Was DHDL leisten kann: Sichtbarkeit fürs Gründen und Reichweite für Startups
„Die Höhle der Löwen“ sollte also keinesfalls als realistische Darstellung der Startup-Welt verstanden werden. Trotzdem bietet sie auch Chancen, findet Magdalena Oehl.
Der größte Vorteil für Unternehmen, die in der Show auftreten: Sie erhalten mit der TV-Ausstrahlung eine enorme Reichweite. „Es ist eine riesengroße Chance, gleich zu Beginn des Startups so viele Leute erreichen zu können, und sein Startup detailliert vorzustellen.“
Wer auf sich allein gestellt auf ähnliche Reichweitenzahlen kommen will, „müsste schon sehr viel Geld in Marketing“ oder viel Zeit in organisches Wachstum stecken, erklärt Oehl. Trotzdem sollten Unternehmen aus ihrer Sicht nicht nur für die Reichweite in die Sendung gehen – denn Pitches, bei denen es eigentlich gar nicht darum geht, einen Deal zu machen, könnten langfristig das Konzept der „Höhle der Löwen“ zerstören.
Doch nicht nur einzelne Unternehmen, sondern auch die Startup-Landschaft an sich bekommt durch die Sendung eine Plattform geboten. „Die Höhle der Löwen“ bringt Gründertum und Unternehmergeist ein Stück weit „in die Mitte der Gesellschaft“. Das hat auch Magdalena Oehl schon erlebt, die selbst Gründerin ist: „Mir ist es auch selbst schon häufiger passiert, dass wenn ich erzähle ‚ich mache ein Startup‘, viele Leute darauf antworten: ‚Ah, sowas wie in Höhle der Löwen‘.“