Ein Jahr Threads: So wurde das Meta-Netzwerk zur echten Twitter-Alternative

Wisst ihr noch, als Elon Musk Ende Oktober 2022 mit dem Waschbecken in der Hand in die Twitter-Zentrale lief? Spätestens da war klar: Das Twitter, wie wir es kannten, ist Geschichte. Seitdem sind viele Nutzer:innen auf der Suche nach einer Alternative. Einige von ihnen haben sie in Threads, dem jüngsten sozialen Netzwerk von Meta, gefunden – auch ich. Denn Threads macht vieles richtig, hat aber auch den ein oder anderen Haken.
Twitters Niedergang legt die Grundlage für Threads
Nach der berühmt-berüchtigten Waschbeckenszene verging eigentlich kein Tag, an dem Twitter beziehungsweise dessen neuer Besitzer Elon Musk keine Schlagzeilen machte. Aus der langen Liste nur ein paar der „Highlights“: Im November nach der Übernahme entließ Musk per Mail einen Großteil der Belegschaft. Mitarbeiter:innen? Braucht man nicht! Im Januar 2023 dann verbot Twitter ohne lange Vorwarnung die Nutzung der beliebten Drittanbieter-Apps wie Tweetbot. Beim Super Bowl im Februar ließ Musk seine eigene Reichweite massiv manipulieren, weil ein Tweet des US-Präsidenten mehr Likes hatte als sein eigener.
Presseanfragen beantwortete man über Monate nur mit einem Kackhaufen-Emoji, und dann ist da ja noch die Sache mit den blauen Haken, die plötzlich gegen Geld zu haben waren, was die eigentlich mal damit verbundene Verifizierungsfunktion komplett ad absurdum führte. Mein Lieblingsgeschichte aus dieser Zeit: Während dem echten Account des Papstes (@pontifex) zwischenzeitlich der blaue Haken entzogen wurde, bekamen @jesus, @god und @satan einen, schlicht weil sie dafür nun zahlten.
Währenddessen wurden die Gerüchte lauter, dass Meta an einem eigenen sozialen Netzwerk arbeitete, welches auf kurzen Textnachrichten basiere und Twitter nicht unähnlich sein solle. Ich wage einfach mal zu behaupten: Hätte Musk Twitter nicht übernommen und ins Chaos gestürzt, bei Meta wäre niemand auf die Idee gekommen, ein Konkurrenznetzwerk zu entwickeln. Aber sie taten es.
Am 3. Juli 2023 tauchte dann im amerikanischen App-Store tatsächlich die Threads-App auf, am 5. Juli konnte man sich darin anmelden. Da Twitter nun mal das geworden war, was Musk daraus gemacht hatte, probierten viele Menschen Threads direkt aus. Auch in der EU, obwohl die App dort eigentlich noch gar nicht verfügbar war. Nach zwei Wochen war für EU-Nutzer:innen aber erst einmal Schluss, Meta koppelte die Nutzung von Threads dann nämlich an den tatsächlichen Standort und ließ uns Europäer:innen nur noch zugucken, aber nichts mehr posten.
Die Zahl der aktiven Nutzer:innen steigt
Das tat dem Wachstum aber keinen Abbruch, denn innerhalb von nur fünf Tagen nach dem Release gelang es Threads nach Angaben von Meta-Chef Mark Zuckerberg, weltweit die Marke von 100 Millionen Nutzer:innen zu knacken, was einen neuen Geschwindigkeitsrekord einbrachte und sogar das Wachstum von ChatGPT in den Schatten stellte. Der offizielle Start in Europa am 14. Dezember 2023 wird für noch mehr Nutzer:innen gesorgt haben, deren Anzahl stieg im Februar 2024 nämlich weltweit auf 130 Millionen und im April 2024 sollen es laut Zuckerberg 150 Millionen monatlich aktive Menschen gewesen sein.
Das klingt nach viel, ist im Vergleich zu anderen Netzwerken wie Instagram und Facebook aber noch immer winzig. Instagram kommt 2024 auf knapp zwei Milliarden aktive Nutzer:innen, Facebook auf drei Milliarden. Wie es im Vergleich zu Twitter aussieht, ist hingegen schwer zu sagen, da X keine genauen Zahlen mehr veröffentlicht.
Social-Media-Analyst Luca Hammer hat im Zuge der Republica 2024 alle Posts zu dem Thema analysiert und die Anzahl der Beiträge im Fediverse, bei X, Bluesky, Threads, Linkedin und bei Facebook gezählt. Natürlich ist die Zielgruppe der Republica nicht repräsentativ, dennoch ist das Ergebnis interessant. Denn die meisten Postings erschienen im Fediverse, also zum Beispiel bei Mastodon. X kam weiterhin auf Platz zwei, Bluesky und Threads lagen auf Platz drei und vier sehr nah beieinander.
Was gut läuft, was eher nicht
Twitter war für mich vor allem ein Ort, an dem ich mich mit der Tech- und der Medien-Bubble vernetzen konnte und an dem ich immer wieder auf Themen oder Links gestoßen bin, die ich bisher nicht gekannt hatte und ohne Twitter sehr viel später entdeckt hätte. Ein personalisierter Kurznachrichtendienst eben. Nach inzwischen einem Jahr ist mein Account bei Threads so weit, diese Lücke für meine Bubble zu schließen.
Sehr gut zu sehen ist das am aktuellen Beispiel von Apple gegen die EU. Dass man in Cupertino plant, unter anderem die KI-Funktionen in der EU erst mal nicht anzubieten, habe ich zuerst bei Threads gelesen. Und die Stunden und Tage danach habe ich dort auch viele gute und sachliche Postings zu dem Thema gesehen. Generell ist der Tonfall, zumindest in meinem Feed, auch sehr angenehm. Auch wenn ich von anderen User:innen weiß, bei denen es leider nicht so nett zugeht in der Timeline und in Kommentaren und bei denen sich Threads in diesem Punkt leider wenig von X unterscheidet.
Und dann ist da noch der Algorithmus. Immer wieder schaffen es vor allem belanglose Postings in die Trends, politische Themen versucht Meta zum Beispiel weniger stark auszuspielen, das scheint zu gelingen. Und egal, wie oft ich dem Algorithmus in der For-you-Timeline mitteile, welche Themen mich interessieren oder nicht (per Swipe-Gesten wie bei Tinder), ich habe nicht den Eindruck, dass das irgendeinen Einfluss auf den Feed hat. Aber das konnte der Algorithmus von Instagram bisher auch nicht sonderlich gut, wieso sollte es bei Threads anders sein?

Relativ neu ist die Funktion, in der Webansicht von Threads verschiedene Spalten dazustellen – wie früher bei Tweetdeck. (Bild: Screenshot t3n)
Eine positive Sache gibt es allerdings noch zu berichten, und die betrifft eine ehemalige und sehr beliebte Twitter-Funktion. Vor einigen Wochen hat Meta eine Art Tweetdeck in der Webversion von Threads freigeschaltet. Man kann nun in Spalten zum Beispiel die For-you-Page, die Beiträge von Menschen, denen man folgt, und die Reaktionen auf eigene Postings nebeneinander und gleichzeitig sehen. Sehr komfortabel.
Die Zukunft: Fediverse und Werbung
In der EU noch warten müssen wir allerdings auf die für den Rest der Welt bereits freigeschaltete Anbindung an das Fediverse. Auch eine Darstellung der aktuellen Trendthemen bei Threads ist für Nutzer:innen in der EU nicht sichtbar. Warum? Unklar. Meta sagt dazu wenig bis gar nichts, vermutlich hat es etwas mit den Regularien in der EU zu tun, unter anderem also mit dem Digital Markets Act (DMA). Warum aber gerade eine Öffnung zu anderen Netzwerken wie Mastodon für den DMA ein Problem darstellen könnte, ist nicht ersichtlich. Eigentlich zielt das Gesetz über digitale Märkte genau auf eine solche Interoperabilität ab.
Und auch ich würde diese Funktion in der EU sehr begrüßen, könnte ich damit doch wählen, wo ich mein digitales Zuhause aufschlagen möchte, und Follower:innen könnten selbst entscheiden, ob sie mir bei Mastodon oder lieber direkt bei Threads folgen wollen. Aber wie der Start von Threads in der EU wird sich auch die Anbindung an das Fediverse wohl einfach nur verzögern.
Womit sich Meta hingegen gern noch Zeit lassen könnte, wäre die Einbindung von Werbung. Bisher gibt es sie gar nicht, aber das ist sicher nur eine Frage der Zeit. Auch Instagram war zum Beispiel zu Beginn komplett frei von Werbung, was sich bekanntlich änderte, und gerüchteweise führt Meta bereits die ersten Gespräche mit Werbekunden und Agenturen zu Threads.
Aber ob mit oder ohne Werbung, mit Threads hat Meta innerhalb eines Jahres neben Mastodon und Bluesky eine gute Alternative zum alten Twitter geschaffen und damit ein mögliches Exil für Menschen, die dem blauen Vogel noch immer hinterhertrauern. Falls ihr noch bei X seid: Gebt einem der anderen Netzwerke mal eine Chance, es kann sich lohnen.