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Elektroschrott: Warum das Recycling immer noch ein Problem ist

Alte Smartphones, Computer oder Fernseher verschwinden erst für Jahre in unseren Schubladen oder Kellern und landen dann auf Mülldeponien und im Hochofen. Dabei muss das nicht sein. Neue Technologien und Initiativen bieten Alternativen.

Von Boris Hänßler
7 Min.
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Die Menge an Elektroschrott steigt. Die Rücknahmequote bleibt niedrig. (Foto: Shutterstock.com)

Das Smartphone Teracube 2e kann technisch nicht mit den ­aktuellen High-End-Geräten mithalten. Kritiker bemängeln trotz des relativ günstigen Preises von 200 Euro, dass es kein HDR unterstütze, seine 720-Pixel-Auflösung nicht gerade ein Renner sei und die Bildwiederholfrequenz nur 60 Hertz betrage. Die Kameraabdeckung verfüge nicht über eine oleophobe Beschichtung, sodass viele Teracube-2e-Käufer mit einer Schicht Fingerfett auf der Kamera herumlaufen. Die Ultraweitwinkelkamera habe keinen Autofokus, die Detailgenauigkeit sei selbst bei guter Beleuchtung schlecht.

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Dennoch ist das Gerät ausverkauft, denn es hat einen im­mensen Bonus: Es besteht zu einem großen Teil aus biologisch abbaubaren Materialien. Außerdem ist es für Reparaturen ausgelegt – der Akku lässt sich austauschen, ein neues Display ist mit 59 US-Dollar weitaus günstiger als bei den meisten anderen Anbietern, zudem gibt es eine vierjährige Garantie. Teracube ist ein nachhaltiges Gerät, das E-Waste – den Elektromüll – ­reduzieren soll. Und das ist mit Blick auf den weltweit wachsenden Berg an Elektroschrott dringend nötig.

Im Januar 2019 haben das Weltwirtschaftsforum (WEF) und die E-Waste-Koalition der Vereinten Nationen festgestellt, dass unsere Gesellschaft jedes Jahr etwa 50 Millionen Tonnen Elektroschrott produziert. Durch die Coronapandemie werden die Zahlen wahrscheinlich noch weiter steigen – viele Menschen haben sich ein Homeoffice eingerichtet und dafür zusätzliche Technik angeschafft.

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Die Zielvorgabe für die Sammlung von Elektronikaltgeräten, die ein EU-Mitgliedstaat jährlich zu erreichen hat, beträgt 65 Prozent des durchschnittlichen Gewichts der Altgeräte der vergangenen drei Jahre. Nur drei Länder haben das bisher geschafft: die Schweiz, Bulgarien und Kroatien. Doch es gibt auch Hoffnung: An neuen Recyclingmethoden wird intensiv geforscht, und ­immer mehr kreative Köpfe denken über ein neues Leben für die ausgedienten Geräte nach.

Allerdings wird der Trend zum Müll vorerst weitergehen. „Das hängt auch damit zusammen, dass es in vielen Regionen der Welt, insbesondere in der südlichen Hemisphäre, eine ­gestärkte Bürgerschaft gibt, die mehr Finanzmittel zur Verfügung hat“, sagt Rüdiger Kühr, Leiter des Bonner Büros des United ­Nations Institute for Training and Research und Direktor des Programms für nachhaltige Kreisläufe (SCYCLE). „Sie haben einen großen Nachholbedarf, was den Konsum von elektronischen Gütern anbelangt. Daher erwarten wir rapide Anstiege auch in den ­nächsten Jahren, zumal es gerade in diesen Regio­nen an Rücknahmeinfrastrukturen mangelt.“ Was zudem bedeute, dass das Recycling in Industrieländern nicht optimal funktioniere.

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Ein großer Teil des Elektroschrotts landet aber auch bei uns nicht im Recycling. „Wir haben die Möglichkeit, ­Elektro­schrott entweder an Recyclinghöfen, in Containern oder bei Verkaufsstellen zurückzugeben“, sagt Kühr. „Es bedarf also der aktiven Partizipation, und das funktioniert nicht besonders gut.“

Berg an E-Waste wächst

Papier, Biomasse und Verpackungsmüll werden hausnah gesammelt, Elektromüll hingegen nicht. Das könnten Konsumenten zu Recht nicht nachvollziehen. Somit bleibt er zum Teil über ­Jahre in Schubladen, auf Dachböden, in Schränken oder in Kellern. In deutschen Haushalten befinden sich rund 124 Millionen unbenutzte Alt-Handys. Kleinteilige Geräte, die entweder einen ­Stecker oder eine Batterie haben, wandern häufig in den Hausmüll, weil das Bewusstsein dafür, diese Geräte separat zu entsorgen, mangelhaft entwickelt ist. Der Berg an E-Waste wächst weiter – auch durch Corona und das Homeoffice. Aber es gibt Hoffnung.

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Mit Anreizen wird versucht, das Bewusstsein zu schärfen. Zum Beispiel mit dem Automaten EcoATM, der unter anderem in ­einigen ­Mediamarkt-Filialen steht. Hier kann man gebrauchte Mobiltelefone abgeben und bekommt dafür sofort einen finanziellen Gegenwert – das Gerät wird dann recycelt. Jedoch ist der Gegenwert oft so gering, dass sich viele Menschen nicht die Mühe machen, ihr Gerät abzugeben.

Der Schrott landet zu oft noch in ­Afrika und Osteuropa

Im etwas größeren Maßstab kaufen auf Elektroschrott spezialisierte Broker alte Geräte auf. Sie weiden den Schrott tonnen­weise nach Metallen aus. Einige von ihnen ­verschieben dann jedoch den restlichen Müll illegal nach Afrika oder Osteuropa. Ein Bericht über Elektro­schrott in Norwegen aus dem Jahr 2018 schätzt, dass dort zwischen vier und zehn Kilotonnen an Altgeräten pro Jahr verschwinden – der größte Teil davon wird illegal aus dem Land ausgeführt.

In den Zielländern versucht man dann erneut, aus dem Rest wertvolle Ressourcen zu ge­winnen, allerdings ohne Rücksicht auf die Gesundheit. Säure, die zur Goldentfernung verwendet wird, landet in Flüssen. Es ­entstehen Feinstaub bei der Demontage der Geräte und Dämpfe bei der Verbrennung von Drähten oder dem Kochen von Leiterplatten. Die Folgen sind Fehlbildungen bei der Geburt, neurologische Entwicklungsstörungen bei Kindern, DNA-Schäden, kardiovaskuläre Krankheiten, Auswirkungen auf die Atemwege sowie das Immunsystem, Hautkrankheiten, Hörverlust und Krebs.

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Beim Recycling in Industrieländern filtert man einige ­Stoffe zwar heraus, aber man fokussiert sich nur auf die wertvolleren Metalle wie Gold, Silber und Stahl. Der Rest wird verbrannt. Das größte Problem für die Umwelt ist aber der ökologische Fuß­abdruck durch die Produktion. Fredrik Forslund, ­Direktor des International Data Sanitisation Consortium (IDSC), das ­Organisationen und Normungsgremien über die dauerhafte Löschung von Daten aufklärt, sagt: „Der Herstellungsprozess von Computern verbraucht etwa 80 Prozent aller Energie und ­Ressourcen, die ansonsten im gesamten Lebenszyklus eines ­Computers verbraucht werden.“

Recycling von weniger wertvollen Materialien zu erreichen, ist nicht einfach. Forscher um Ulrich Bochtler von der ­Technischen ­Hochschule Aschaffenburg etwa entwickeln schon seit Längerem ein Verfahren, um sogenannte Tantal-Konden­satoren zurückzugewinnen. Solche Mikrokondensatoren sorgen zum Beispiel dafür, dass sich der Akku schneller wieder auflädt. In ihnen steckt das Tantal-Erz Coltan, das im Kongo unter oft menschenverachtenden Bedingungen – etwa durch Kinder­arbeit – aus Minen gewonnen wird. Um dies zu recyceln, haben die ­Forscher ein maschinelles Lernverfahren mit Bildanalyse erarbeitet und es mit 10.000 Bauteilen trainiert. Es kann mithilfe einer Kamera und eines Laserscanners zur Tiefenmessung die relevanten Bestandteile auf Leiterplatten erkennen – und das zu 95 Prozent. Unabhängig davon, ob es sich um einen Chip für PCs oder Smartphones handelt.

Im nächsten Schritt entstand ein Verfahren, um die Teile abzutrennen. Zunächst versuchten die Forscher es mit Löten und Absaugen oder Herunterblasen. Als effizienter erwies sich letzten Endes ein weiterer Laser, der die Beine der Kondensatoren abschneidet. Er funktioniert schnell und zuverlässig, ist aber teuer. Schrotthändler denken in Tonnen – aber je Teil bleibt nur ein ­halbes Gramm verwertbaren Materials übrig, das dann chemisch aufgelöst, getrennt und aufgearbeitet werden muss. Bochtler sagt: „Die Technik wird sich erst lohnen, wenn die Rohstoffpreise weiter steigen – was durchaus möglich ist, da immer mehr davon gebraucht wird.“

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Verbrennt das Material erst einmal, entsteht eine Schlacke, die glitzert, da so viele metallische Materialien enthalten sind – darunter eine ganze Reihe von seltenen Erden und Edelmetallen. Ein Smartphone enthält etwa die Hälfte des Periodensystems und das wird sich auch so schnell nicht ändern, ist sich Kerstin Kuchta von der ­Technischen Universität Hamburg sicher. Sie erforscht chemische und biologische Verfahren, um die ­seltenen ­Erden aus der Schlacke zu gewinnen.

„Die Effizienz unserer Technik verlangt, dass Hersteller jedes Element ausknautschen müssen – allein die Farbbrillanz im Display erreicht man nur durch eine Menge von Metallen und Verbindungen.“ In Zukunft könnten diese Funktionen von organischen Halbleitern oder programmierbaren Materialien übernommen werden, aber bis dahin werde es noch dauern.

Umdenken ist gefordert

Im Chemical Engineering Journal beschreiben Forscher der Penn State University eine Nanotechnologie zur Abtrennung von ­Neodym mithilfe von pflanzlicher Zellulose, die in Papier, Baumwolle und Zellstoff enthalten ist. Neodym ist Bestandteil von starken Permanentmagneten und auch in ­Smartphones enthalten. Bei dem Verfahren kommen haarige Zellulose­nanokristalle zum Einsatz. Das sind Nanopartikel, die aus ­Zellulosefibrillen gewonnen werden. Sie binden sich selektiv an Neodymionen, um sie so von anderen Ionen wie Eisen, Kalzium und Natrium zu trennen.

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Das Verfahren sei effektiv: Es könne Neodym in Sekundenschnelle abtrennen. Ein Recycling könnte die Abhängigkeit von China reduzieren, wo Neodym meist abgebaut wird. Doch auch dieses Verfahren ist von einem Einsatz außerhalb des Labors noch weit entfernt und muss noch unter Beweis stellen, dass es sich wirtschaftlich lohnen kann.

Bildergalerie: So sieht der Klimawandel aus Sicht der Nasa aus

So sieht der Klimawandel aus Sicht der Nasa aus Quelle: Nasa

Mehr Service und Reparatur

Forscher wie Kühr fordern ein generelles Umdenken – hin zu ­einer Service-Wirtschaft statt einer Besitz-Wirtschaft. Dabei würden Kunden mit den Herstellern einen Vertrag eingehen und das Produkt nutzen und dann regelmäßig neue Geräte erhalten; die Hersteller hätten dann ein größeres Interesse, die Geräte zu recyceln.

Ein anderer Weg sei, die Geräte nicht ständig auszutauschen, sondern zunächst reparieren zu lassen. Die EU-Initiative Right to Repair fordert deshalb von der Europäischen Kommission, dass alle ­Europäer das Recht haben müssen, ihr Smartphone mindestens zehn Jahre lang zu nutzen. Die Hersteller müssten sich verpflichten, Reparatur­informationen und langfristige ­Software- und Sicherheitsupdates bereitzustellen. Sie fordert auch einen europäischen Reparaturindex, in dem die am einfachsten und kostengünstigsten zu reparierenden Handys aufgeführt sind. Eine Verlängerung der Lebensdauer von Smartphones um nur ein Jahr könne 2,1 Millionen Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr einsparen, bei zehn Jahren könnten bis 2030 jährlich 6,2 Millionen Tonnen eingespart werden. Das wäre eine Verringerung des gesamten Fußabdrucks der Produkte um 42 Prozent.

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Die Initiative wird gehört: Im vergangenen Jahr hat die EU bereits neue Vorschriften eingeführt, nach denen die Hersteller von Elektrogeräten wie Kühlschränken und Fernsehern verpflichtet sind, ihre Produkte mindestens zehn Jahre lang nach dem ­ersten Markteinstieg reparierbar zu machen. Laut einer Eurobarometer-­Umfrage würden 77 Prozent der EU-Bürger ihre Geräte lieber reparieren als austauschen. 79 Prozent sind der Meinung, dass die Hersteller gesetzlich verpflichtet werden sollten, die ­Reparatur digitaler Geräte oder den Austausch von Einzelteilen zu erleichtern.

Allerdings haben sich die Voraussetzungen für das ­Recycling von Smartphones zwischenzeitlich eher verschlechtert. Laut eines Berichts des Europäischen Umweltbüros, der „Right to Repair“-Kampagne und von Forschern der Universität Lund vom Dezember 2021 gibt es keine verkaufsstarken Smartphones mehr, bei denen kein Klebstoff zur Verbindung und Befestigung von Akkus und Gehäuse verwendet wird – was einen Wechsel des Akkus erschwert. Und: Der Absatz von Fairphone, dem Vorreiter für nachhaltige Smartphones, lag 2020 bei 95.000 Geräten und Zubehörteilen. Das iPhone verkaufte sich im gleichen Zeitraum 34,9 Millionen Mal. Das sind Zahlen, die zeigen, dass viele Konsumenten noch nicht bereit sind, beim Kauf von Elektrogeräten umzudenken.

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2 Kommentare
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der bug ist das ziel

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alle jammern ueber elektroschrott. ist ja auch total unerklaerlich was die ursachen so sind. ja ne ist klar. danke fuers nicht selber denken.

Antworten
Andy

der meiste Müll wird exportiert

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