
Seitdem läuft das Gerichtsverfahren zum Bankrott eines der ehemals größten Kryptounternehmen. Tom Braegelmann ist Insolvenz- und Restrukturierungsexperte bei der Fintech-Kanzlei Annerton und als Anwalt in Deutschland und den USA zugelassen. Er berät im Wirtschafts-, Restrukturierungs- und Insolvenzrecht und insbesondere zu modernen digitalen Geschäftsmodellen. Mit ihm haben wir über das undurchsichtige FTX-Verfahren gesprochen.

Anwalt Tom Braegelmann ist Insolvenz- und Restrukturierungsexperte. (Foto: privat)
t3n: Auch in der klassischen Finanzbranche haben wir schon spektakuläre Pleiten erlebt. Zum Beispiel die der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers 2008. Wie unterscheidet sich der Bankrott der Kryptobörse FTX davon?
Tom Braegelmann: Die Unterschiede sind groß. Das Geschäftsmodell von Lehman Brothers, die Verbriefung von Immobilien, ist damals durch die geplatzte Immobilienblase zusammengefallen, weil es ein schlechtes – aber damals legales – Geschäftsmodell war. Bei FTX geht es Medienberichten zufolge darum, dass Kundengelder unberechtigt verwendet wurden. Unter Umständen hat die Börse amerikanisches Regulierungsrecht, das bereits für den Kryptobereich gilt, nicht eingehalten.
t3n: Die Kryptobranche ist aber noch nicht so sehr reguliert, wie die Finanzbranche. Wird FTX ein Beispielfall?
Der Fall ist schon speziell. Es ist aber insofern ein Präzedenzfall, weil nun auch die Kryptoszene sehen wird, dass in einem großen, weltweiten Insolvenzverfahren viele Zahlungsströme mit aufgeklärt werden, Krypto also nicht irgendwie im rechtsfreien Raum stattfindet. Das hat nämlich nie gestimmt. Vielerlei Recht und Rechtsordnungen waren schon immer auf Krypto anwendbar, aber manche Puristen mochten das lange nicht wahrhaben. – Und das ist ja eigentlich eine gute Erkenntnis.
„Solche Insolvenzen sind nicht das Ende der Kryptowelt.“
t3n: Welche Bedeutung hat die FTX-Pleite für die noch junge Kryptobranche?
Das Insolvenzverfahren von FTX ist anscheinend die Konsequenz schlechten Wirtschaftens durch SBF. Es ist gut, dass die Kryptoszene sieht, dass schlechtes Wirtschaften Konsequenzen hat.
Insolvenzen wie die von FTX, Celsius oder Voyager sind aber nicht das Ende der Kryptowelt. Denn Insolvenzen sind ein normaler Teil des Wirtschaftsrechts und können wie eine Marktbereinigung wirken, aus der überlebende Marktteilnehmer gestärkt hervorgehen. Es könnte auch dazu führen, dass Anleger in Zukunft besser prüfen, welche Kryptoanbieter vertrauenswürdig sind.
t3n: Der Kollaps von FTX wird wahrscheinlich auch viele der angelegten Gelder vernichten. Brauchen Kryptounternehmen mehr Vorgaben zum Verbraucherschutz?
Diese Frage wird jetzt wieder aufkommen. Es ist wie in vielen anderen Märkten und bei allen risikoreichen Investments: Verbrauchern muss klar gemacht werden, dass ihnen ein Totalverlust droht.
Es geht aber nicht darum, Krypto unbedingt noch stärker zu regulieren. Allgemein ist Europa aber mit der demnächst in Kraft tretenden MiCA-Regulierung gut aufgestellt.
t3n: Wie könnte das Bankruptcy-Verfahren für FTX enden?
So ein Verfahren dauert. Drei Jahre wohl bestimmt. Ob FTX insgesamt wieder auf die Beine kommt, kann man noch nicht wissen. Wahrscheinlich ist wohl, dass Tochtergesellschaften, die eigentlich nicht schlecht gewirtschaftet haben und wertvoll sind, verkauft werden, unter Umständen zum Beispiel FTX Europe.
t3n: Ob FTX wieder auf die Beine kommt, könnte John Ray wissen. Er löste Sam Bankman-Fried als CEO ab und strukturiert FTX nun um. Wie sieht sein Job aus?
John Ray ist wie eine Art treuhänderischer Verwalter des gesamten Vermögens von FTX. Sam Bankman-Fried und die anderen abgesetzten Führungskräfte und Gesellschafter haben kein Mitspracherecht mehr, was mit FTX passiert. Dafür bestimmt der neue CEO als Chief Restructuring Officer den Kurs. John Ray handelt, in Rücksprache mit dem Gericht, Deals aus, um zum Beispiel einzelne Sparten der Firma zum bestmöglichen Preis zu verkaufen und so die Insolvenzmasse zu vergrößern.
t3n: In Interviews hat der ehemalige FTX-Chef SBF moniert, das Unternehmen habe noch genug Geld, um die Anleger:innen auszubezahlen. Ist so etwas, trotz Insolvenzverfahren, denkbar?
FTX hat ein Bankruptcy-Verfahren in den USA beantragt. Es ist ein Chapter-11-Verfahren, das in Eigenverwaltung ohne Insolvenzverwalter, aber unter Aufsicht des Gerichts und der Gläubiger stattfindet. Im Gegensatz zu einem deutschen Insolvenzverfahren können Firmen dieses Verfahren in Amerika schon früher anmelden, wenn sie noch weit davon entfernt sind, insolvenzreif oder komplett zahlungsunfähig zu sein. So kommt es dazu, dass FTX anscheinend trotz des Verfahrens noch über erhebliche Geldbestände verfügt.
Mit dem Bankruptcy-Verfahren kann das Unternehmen leichter abgewickelt, saniert oder Werthaltiges darin verkauft werden. Der Verkaufserlös geht dann an die FTX-Gläubiger.
t3n: Vielen Dank für das Gespräch