Googles 1,1 Milliarden für HTC: Was die Investition für die Unternehmen bedeutet
Google greift HTC mit Milliarden-Deal unter die Arme – nicht ganz uneigennützig
Schon seit Monaten kursierten Gerüchte über eine mögliche Übernahme des seit Jahren gebeutelten Smartphone- und VR-Headset-Herstellers HTC. Das Unternehmen kämpft seit Jahren ums Überleben, bereits 2015 wurde es an der Börse als wertlos eingestuft. Im August ging es dem Unternehmen so schlecht wie lange nicht: Dem letzten Finanzbericht HTCs zufolge war es der schlimmste Monat seit 13 Jahren – der Umsatz fiel im Vergleich zum Juli um 51,5 Prozent und um 54,3 Prozent zum August 2016. Der Deal mit Google kommt HTC also zeitlich mehr als recht. Die Investition Googles in Höhe von 1,1 Milliarden US-Dollar kommt HTC einem temporären Befreiungsschlag gleich. Denn nun hat HTC wieder finanzielle Ressourcen, um sich (erneut) neu aufzustellen.
Der Niedergang HTCs liegt nicht (mehr) an den Smartphones, die das Unternehmen produziert, denn die letzten Topmodelle, das 2016 HTC 10 und das aktuelle HTC U11 ,gehören zu den besten Geräten, die ihr auf dem Markt bekommen könnt. Dennoch kauft kaum jemand die Smartphones, was teilweise mit den begrenzten Mitteln fürs Marketing zusammenhängen dürfte, aber auch mit der starken Konkurrenz wie Samsung, Huawei und nicht zuletzt Apple.
Google zieht etwa die Hälfte des HTC-Entwickler-Teams zu sich
Wie wir berichteten, übernimmt Google für die genannte Summe das Team an HTC-Mitarbeitern, das bereits seit geraumer Zeit eng mit Google für die Pixel-Smartphones zusammenarbeitet. Die ersten Google-Smartphones der Pixel-Reihe wurden bekanntlich schon zusammen mit HTC entwickelt. Wie die New York Times berichtet, übernehme Google etwa 2.000 HTC-Mitarbeiter – die andere Hälfte des bislang über 4.000-köpfigen Entwicklungs-Teams bleibe bei HTC. Ferner erhält Google eine Lizenz zur Nutzung der HTC-Patente, die jedoch nicht exklusiv ist.
Google baut seine Ambitionen als Smartphone-Hersteller aus. ( Foto: t3n)
Mit den Lizenzen kann Google unter anderem technische Spielereien wie den drucksensitiven Gehäuserahmen in seine Pixel-Geräte verbauen, der zuerst im HTC U11 in Erscheinung trat. In den kommenden Pixel-2-Modellen wird diese Technologie bereits erwartet. Die Verwendung der HTC-Patente dürfe für Google im Unterschied zur Übernahme von Motorola im Jahr 2011 nur zweitrangig sein. Damals musste Google sich für einen drohenden Patentkrieg einen gewissen Schutzpanzer zulegen, der im Nachhinein weniger effektiv war als angenommen. Darüber hinaus, so schien es, wollte Google auch nicht als Hardware-Hersteller fungieren. 2014 verkaufte Google Motorola schließlich an Lenovo zum Schnäppchenpreis.
Google baut seine Ambitionen als Hardware-Hersteller aus
Seitdem hat sich eine Menge geändert: Google baut kontinuierlich seine Hardware-Ambitionen aus und bietet seit 2016 nach eigenen Vorstellungen entwickelte Smartphones an. Googles Hardware-Chef, seines Zeichens ehemaliger Motorola-Chef, sieht die Investition in HTCs Pixel-Team als eine langfristige Investition. Er schreibt in der Ankündigung zum HTC-Deal, dass man sich auf das 2017er-Line-up, das am 4. Oktober vorgestellt wird, freue, aber er sei noch gespannter darauf, was in den nächsten fünf, zehn oder 20 Jahren passieren werde. Er sehe die Entwicklung wunderschöner Produkte, auf die man sich jeden Tag verlassen könne, als eine Reise, und Google investiere langfristig.„We are investing for the long run.“ – Rick Osterloh
Mit dem übernommenen Pixel-Team HTCs hat Google sich zum einen neues Know-how eingekauft, zum anderen aber mehr Unabhängigkeit von anderen Herstellern erlangt. Damit hat Google jetzt noch mehr Kontrolle bei der Entwicklung seiner Pixel-Geräte als bisher. Bei den letztjährigen und auch den kommenden Pixel-2-Geräten musste Google sich auf Hardware-Partner wie HTC und LG verlassen.
Ab 2018 werden Googles Pixel-Geräte mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit noch mehr Google-DNA besitzen und Hard- und Software noch besser aufeinander abstimmen. Dazu gehört auch die Entwicklung einer eigenen Prozessor-Familie à la Apple. Für die Prozessor-Entwicklung hat Google sich kurioserweise den leitenden Chipentwickler für Apples A-Prozessor-Reihe, Manu Gulati, geschnappt.
Einsteiger- oder Mittelklasse-Smartphones werden wir von Google nicht erwarten, in diesem Sektor sieht das Unternehmen keinen Bedarf. Wie Android-Chef Hiroshi Lockheimer im Oktober 2016 erklärte, werden Googles Pixel-Geräte stets im Premium-Segment angesiedelt sein – diese Produktreihe sei für ein gesundes Ökosystem wichtig. Einige Hersteller wie Samsung, Huawei und Apple hätten sich in diesem Sektor positioniert, Google sehe aber noch Raum für einen weiteren Player. Mit den eigenen Geräten will Google seinen Mitbewerbern und Partnern auch zeigen, dass es möglich ist, Smartphones software-seitig auf dem aktuellen Stand zu halten. Lockheimer ist mit der Update-Situation immens unzufrieden.
Die neuen Mitarbeiter des Pixel-Teams sollen aber nicht nur Smartphones entwickeln. Google-Mitarbeitern zufolge arbeite man auch eifrig daran, die hauseigene KI-Software, wie den sprachgesteuerten Google Assistant, in neue Produkte zu integrieren.
Firewall: Android- und Pixel-Sparte sind getrennt
Wie Lockheimer schon 2016 erklärte, müssten die Hardware-Partner wie Samsung, Huawei, HTC und weitere sich keine ernsten Sorgen um eine Bevorzugung der Pixel-Geräte auf der Software-Seite machen. Denn die Pixel- und Android-Entwicklung sei in zwei strikt voneinander unabhängige Teams unterteilt: Rick Osterloh sei explizit für die Entwicklung der Hardware verantwortlich, Lockheimer nehme die führende Rolle im Android-Segement ein. Die Abteilungen seien gewissermaßen durch eine Firewall getrennt. Entsprechend werde das Pixel-Team wie ein anderes Unternehmen – also nicht anders als Samsung oder Huawei – behandelt. Ob diese Trennung künftig weiter erhalten bleibt, ist abzuwarten.
HTC kann erst mal weitermachen – neues Topmodell kommt in Kürze
HTC hat mit dem großen Investment neuen finanziellen Spielraum, der das Unternehmen wieder auf Kurs bringen soll. HTC wolle sein Smartphone-Portfolio reduzieren – „streamlinen“ – und operational effizienter arbeiten, heißt es in der Ankündigung. Ein neues Smartphone-Topmodell sei bereits in Arbeit.
Den zweiten Unternehmens-Pfeiler, der Virtual-Reality-Bereich um HTC Vive, werde ebenso weiter geführt. Dieser Sektor HTCs gilt als erfolgreicher als das aktuelle Smartphone-Geschäft. Es bleibt für HTC zu hoffen, dass sich das Unternehmen fängt und wieder an alte Erfolge anknüpfen kann. Fürs Erste hat das Unternehmen immerhin wieder einen gewissen finanziellen Spielraum.
Auch nach Abschluss des Deals, der Anfang 2018 besiegelt werden soll, bleibt Google enger Partner HTCs. Denn ein weiterer Bestandteil des Abkommens sieht vor, dass HTCs Taiwan-Standort ein wichtiger Innovations- und Technologie-Hub für Google bleibe.
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