Mehrwertsteuersenkung: Neue Probleme für Händler, Startups und Selbstständige
„Na, hoffentlich kommen die Preissenkungen auch bei den Kunden an“, twitterten gleich nach der Verkündung der Mehrwertsteuersenkung Mittwochabend viele Nutzer. Berechtigte Bedenken – denn insbesondere für kleinere Unternehmen und Händler wird ein solcher Schritt mit reichlich Problemen und Mehraufwand verbunden sein. Da sind zunächst einmal die Buchhaltung und die Kassensysteme. Die lassen sich in vielen Fällen eben nicht einfach per Knopfdruck mit einem regulären und einem reduzierten Mehrwertsteuersatz ausstatten, sondern es braucht entsprechende Updates und Zuordnungen. Waren die Geschäfte in den Innenstädten gerade Anfang des Jahres mit der Umstellung auf die Bonpflicht befasst, bedeutet die Änderung jetzt erneut Anpassungen im Payment-Prozess.
Schwierig ist dagegen in der Buchhaltung vor allem der parallele Betrieb, da die 19 respektive 7 Prozent ja nicht nur vorher, sondern auch wieder danach gelten müssen. Und noch schwieriger wird’s dann erst, wenn man den Leistungszeitraum korrekt dem Abrechnungszeitraum zuordnen soll – etwa in Branchen, in denen Vorprodukte und Zutaten gekauft werden müssen. Ein Steuerberater prognostiziert, dass gerade dieser Teil des Konjunkturpakets seinem Berufsstand zusätzliche Aufträge bescheren werde.
Umfangreiche Anpassungen bei Preisen
Ob die Händler und Unternehmen überhaupt diese Umstellung in dieser knappen Zeit hinbekommen, hängt davon ab, welche Waren sie verkaufen. Für B2B-Händler, die ohnehin netto rechnen, bedeutet es auf jeden Fall, dass sie die zusätzlichen Kosten haben werden, ohne davon irgendwie zu profitieren. Und auch etliche Startups, die sich in B2B-Märkten tummeln, werden nur den zusätzlichen Aufwand durch die Umstellung haben, während weder sie noch ihre Kunden davon profitieren.
Hinzu kommt bei vielen Onlinehändlern, dass bei oftmals großen Warenbeständen und Varianten oder Größen das Pricing angepasst werden müsste, wenn das auch bei den meisten sicher nicht mehr physisch erfolgt. Das ist schon deshalb nötig, damit in der Anzeige des Shopsystems, die ja auf Bruttopreise ausgerichtet ist, keine krummen Zahlen stehen, die den Kunden verwirren würden. Die Ladengeschäfte dagegen werden sicher nicht ihre gesamten Preisauszeichnungen ändern – sie haben meist einen Bruttopreis an der Ware sehen und sehen nach der Schließung durch die Coronakrise nicht ein, warum sie jetzt ihre Verluste der letzten Monate nicht zu verringern versuchen sollten.
Mehrwertsteuersenkung: Mehr Aufwand bei der UStVA
Wie reibungslos eine solche Umstellung geht, hängt aber auch von der Frage ab, wie schnell die Buchhaltungsdienste und Softwarehersteller das realisieren können. Für die Developer ist das alles mehr als nur ein Pulldown-Menü, das neben 0, 7 und 19 Prozent jetzt auch 5 und 16 Prozent anzeigen muss. Wie Yannick Krohn, Gründer der Buchhaltungs-Cloudlösung Goodlance und Podcaster des Freelancer-Podcasts auf Anfrage erklärt, macht ihm vor allem der knappe Zeitrahmen Sorgen. Denn auch wenn es für agile Unternehmen einigermaßen zeitnah möglich ist, entsprechende Anpassungen vorzunehmen, dürfte es für das Finanzamt schwierig werden, das „so schnell“ umzusetzen.
Denn wie in zahlreichen Buchhaltungs-Clouds gehört auch bei Goodlance die steuerliche Verarbeitung in Form der Umsatzsteuervoranmeldung zu den Features. Die kommt auf die Unternehmen erstmals Anfang August (bei bestehender Dauerfristverlängerung Anfang September) zu. Ob die Steuerverwaltung, also die Finanzämter, bis dahin aber ihr Elster umgestellt haben, ist fraglich – und dann erst können Softwarehersteller ihren XML-Export anpassen. Denn Elster führt bekanntermaßen eine Plausibilitätsprüfung durch und ordnet dem gemeldeten Umsatz in der jeweiligen Steuerklasse einen entsprechenden Umsatzsteuerbetrag zu – korrigiert der Händler diesen, dürfte es Probleme beim Übermitteln geben. „Ich hoffe, dass die Finanzbehörden die Anpassung der Schnittstellen möglichst bald vornehmen, damit wir die Veränderungen unserer Schnittstellen rechtzeitig erledigen können“, erklärt Krohn. „Es ist ja eine gute Sache, dass man die Unternehmen vonseiten der Bundesregierung entlasten will, aber ich fürchte, dass es in der IT schwierig wird, mit dem knappen Zeitplan Schritt zu halten.“ Für Goodlance selbst sieht er dagegen weniger ein Problem, man arbeite ja agil.
Steuersenkung nicht durchdacht – nur die Großen gewinnen
Und auch hier werden große Player im E-Commerce überproportional profitieren, weil für sie die Umstellung unterm Strich besser skaliert als bei kleineren Händlern oder Startups. Amazon und die anderen großen Plattformen profitieren also einmal mehr von Corona. Die Bundesregierung rechnet damit, dass die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer zu einem 20-Milliarden-Loch in der Staatskasse führt. Sie hat die entstehenden Kosten, die ganz Deutschland für die Umsetzung haben wird, nicht einkalkuliert. Eines dürfte jedenfalls sicher sein: Eine Preissenkung an den Kunden weiterzugeben, das können sich, wenn sie es überhaupt wollen, nur die großen Unternehmen leisten, für die sich die befristete Umrüstung überhaupt rechnet. Zumindest dieser Teil des Konjunkturpakets dürfte also in den seltensten Fällen beim Endkunden ankommen.
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Steuersenkung schön und gut, aber die wird bei niemandem, der sie benötigt, ankommen oder etwas bringen. Im B2B Bereich eh kein Unterschied und im B2C Bereich werden die meisten sicherlich nicht ihre Bruttopreise anpassen, sondern so lassen, wie sie sind. Der Endkunde zahlt also weiterhin genauso viel und bekommt keinen Anreiz, so wieder die Wirtschaft anzukurbeln.
Und es gibt noch mehr Probleme: Was ist mit Anbietern von Artikeln mit gesetzlicher Preisbindung? Die dürfen Ladenpreise erst nach 18 Monaten ändern. Und die müssen Änderungen in einem bürokratischen Prozess mit festgelegten Vorläufen an Händler, Grossisten und Verzeichnisdienste melden. Sie können die Steuersenkung also de facto nicht an die Kunden weitergeben. Und schon gar nicht mit ein paar Wochen Vorlauf.
Super!?!? Ursprünglich war der Schwachsinn ja mal für die Gastronomie gedacht. Die sollten die Preise beibehalten, aber für Speisen dann nur 7% MwSt. abführen!!! … wer Ahnung von Kalkulation hat, schüttelt da sowieso schon mal den Kopf. Aber dieser Irrsinn jetzt … mir fehlen die Worte…
Glaubst du wirklich das hat der Gesetzgeber nicht bedacht? lel
Wie geht ihr denn mit der Anpassung im Onlineshop um? Zeigt ihr auf der Artikeldetailseite direkt den neuen (inkl. 5% bzw. 16%) an, oder kommt das ganze erst auf der Zusammenfassung, bzw. im Warenkorb? Ich habe jetzt von unterschiedlichen Herangehensweisen gehört und würde mich über eure Ideen freuen!
Erstmal ist da ein Fehler im Artikel, da steht was von 15%. Hatte gerade einen kurzen Schock erlitten.
Man stelle sich vor man müsste Speisekarten neu drucken, Preisschilder drucken und verteilen…
Ein Online-Shop hat zig stellen wo die MwSt. angezeigt bzw. auch (r)ausgerechnet werden muss: Artikellisten, Warenkorb, Bestellemail, Rechnung usw.
Jedes Shopsystem, jede Warenwirtschaft ist anders – egal ob Standardsoftware von der Stange oder etwas selbst programmiertes oder eine extra für seine Bedürfnisse programmierte Software.
Die Entwickler, Programmierer, Developer mag es freuen. Bringt Arbeit, aber auch Verantwortung.
Der eine oder andere Entwickler wird in der Silvesternacht auch nicht mehr ganz nüchtern sein und dann gibts lustige Preise in diversen Shops.
Bisschen Offtopic:
Unterschiede ob Preise intern netto oder brutto gepflegt werden…
Wer Preise netto pflegt kann z.B. keinen VK brutto 999 darstellen.
Brutto VK 999 ergibt bei 19% 839,50 netto.
Netto 839,50 ergibt bei 19% 999,01 brutto.
Google mal nach „999,01 €“ -> da sind viele Produktdetailseiten