NRW-Auktion: Als hätte es den Bitcoin schon zur Kanzlerzeit Willy Brandts gegeben
Mit einer Pressekonferenz hat es begonnen. Schon die erstaunte. Immerhin wollte Justizminister Peter Biesenbach (CDU) die Expertise seines Hauses im Umgang mit einer der größten technischen Innovationen der letzten 15 Jahre beweisen.
Protagonisten erfreuen sich daran, Bitcoin auf Stift und Papier reduziert zu haben
Mit Krypto kenne man sich richtig aus, sollte die Veranstaltung zeigen – sie wurde dann aber an alten Besprechungstischen mit Pappnamensschildern in einem zu kleinen Besprechungsraum abgehalten. Die beiden von Biesenbach als größte Experten deklarierten Staatsanwälte zeigten sich zwar rechtsfest, aber keinesfalls auf der Höhe der Technik und ihrer Perspektiven.
Oberstaatsanwalt Markus Hartmann, der die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC NRW) des Landes Nordrhein-Westfalen leitet, erging sich wortreich in Verfahrensabläufen, die für teure Schuhe und gestohlene Autos ersonnen waren, und freute sich darüber, wie es seiner Behörde gelungen war, Bitcoin in ebendieses Schema zu pressen.
Und der laut Biesenbach größte Kryptoexperte des Landes, Staatsanwalt Andreas Brück, wähnte sich auf der Höhe seiner kreativen Schaffenskraft, als er stolz verkündete, dem Land sei es gelungen, einen perfekten Weg zur Verwertung von Bitcoin zu definieren, nämlich den Verkauf per Paper-Wallet – auch als Stift und Papier bekannt. Bitcoin könnten so innerhalb des Justizsystems mit bekannten Verfahren sicher aufbewahrt und sehr einfach – nämlich per manueller Übergabe – Käuferinnen und Käufern zugänglich gemacht werden.
Man sah den drei Protagonisten der ersten Bitcoin-Auktion des Landes ihren Stolz förmlich an. Dass sie sich zum Tragen des gleichen Anzugs aus Regierungsbeständen von Altlandesvater Johannes Rau verabredet haben sollen, ist indes bloße Spekulation.
Pressekonferenz mit dem Charme des letzten Jahrhunderts
Auf der Seite derer, die tatsächlich mit Stift und Notizblock und großen Kameras nach Köln gereist waren, um die Informationen in körperlicher Anwesenheit direkt aufzunehmen, war der gleiche Geist zu spüren. Wo die Bitcoin herstammten, wollte man wissen, und wie man überhaupt an sie gekommen sei. Aus dem Online-Drogenhandel kämen sie, aha. Ob es denn da auch Clan-Bezüge gebe? Facepalm.
Der geneigte Livestream-Zuschauende wähnte sich in einer Parallelwelt. Apropos Livestream: Den hatte das Ministerium noch schnell eingerichtet, als den Verantwortlichen aufgefallen war, dass es ein erhebliches Interesse an der Veranstaltung gibt – ach? Ob wegen des kurzen Vorlaufs oder aus anderen Gründen sei dahingestellt. Jedenfalls ruckelte der Stream zu oft und brach sehr gern auch ab – professionell geht anders.
Online-Plattform sieht nach Public-Domain-Script aus den Neunzigern aus
Die eigentliche Versteigerung fand dann auf einer hochgelobten Online-Auktionsplattform statt, die das Justizministerium eigens wegen der diffizilen Rechtslage geschaffen hatte; die aber aussieht wie eines der PHP-Skripte, die wir in den 90ern des letzten Jahrhunderts bei Hot Scripts runtergeladen und auf unserem Webspace installiert haben – ohne Anpassungen.
Einen Designpreis kann die Plattform nicht gewinnen – das Gegenteil vielleicht. Hier würde Oberstaatsanwalt Hartmann wahrscheinlich stolz zu bedenken geben, dass es der Justiz allein um die rechtssichere Verwertung gehe, nicht um ein nutzerfreundliches Design. So hatte er im gleichen Brustton bereits auf der Pressekonferenz geäußert, die Bitcoin würden nicht zu möglichst günstigen Zeitpunkten versteigert, sondern dann, wenn sie eben so weit sind.
Die Justiz wäre schließlich kein Spekulant. Ob der Finanzminister dieser Betrachtungsweise folgen würde oder – aus Sicht eines Steuerzahlers betrachtet – sollte, darf bezweifelt werden. Immerhin ist es, wenn man bereits Bitcoin hat, relativ leicht, sie dann an den Markt zu geben, wenn die Preise am höchsten sind. Das scheint Hartmann irgendwie anrüchig zu finden.
Bitcoin: Versteigerung trotz einheitlicher Kurse verwundert
Im Netz – hauptsächlich auf Kryptotwitter – hat die Bitcoin-Auktion pures Staunen ausgelöst. Warum versteigern die was, was auch an Börsen umgesetzt werden kann, fragten sich viele. Wegen der rechtlichen Vorgaben, die eine hohe Transparenz fordern, antwortete die Justiz. Aber stopp! Ist das plausibel?
Sicherlich, wenn die Polizei einen Luxuswagen sicherstellt, muss in der Verwertung darauf geachtet werden, dass der nicht für kleines Geld etwa von einem Justizangestellten abgezogen wird. Da ist eine Versteigerung das Werkzeug der Wahl. Denn so ist sichergestellt, dass das maximale Angebot, das zu diesem Fahrzeug in der Versteigerungssituation existiert, auch zum Zuge kommt. Hier ist ja jede Liste, etwa Schwacke, immer nur ein Näherungswert unter ganz bestimmten Annahmen.
Bei Kryptowährungen indes gibt es international abgestimmte Kurse. Bitcoin zu versteigern, ist also so ähnlich, wie einen Hunderteuroschein zu versteigern. Vielleicht gibt ja jemand 110 Euro dafür. Nee, Spaß. Und so schmunzelten Bitcoin-Aficionados vor der Auktion twitternd in sich hinein. Wer mehr bieten würde als den aktuellen Wert, der müsse doch ziemlich blöd sein, hieß es weithin. Ebenso wurde die lange Bindungsfrist von zwei Tagen als problematisch gesehen in einem Bereich, in dem ein Coin schon mal 4.000 Dollar in einer halben Stunde steigen oder sinken kann.
Erfolg der ersten Auktion erstaunt die meisten
Am Ende der ersten Tranche zeigte sich indes, dass es der Justiz tatsächlich gelungen war, die Bitcoin über Kurswert abzusetzen. Paper-Wallets mit 0,1 Bitcoin wurden sämtlich deutlich über 6.000 Euro verkauft. Der erste ganze Bitcoin wurde am Mittwoch nach zwei Tagen Auktionsdauer für 57.010 Euro versteigert. Derweil war der Kurs der Währung von knapp 54.000 am Montag auf 50.900 Euro am Mittwochmittag gefallen.
An ebendiesem Nachmittag fiel der Hammer für ein Paket aus zehn Bitcoin für 522.500 Euro. Das höchste Gebot kam kurz vor Schluss. Auch dieses lag damit deutlich über dem aktuellen Kurswert, der auf 50.700 Euro pro Bitcoin weiter gesunken war. Da blieb so manchem der Mund offen stehen, auch dem Autor dieser Zeilen.
Theorie 1: Dummheit
In der Tat erscheint das auf den ersten Blick völlig unlogisch. Jeder der Bietenden hätte zu jeder Zeit irgendeine Kryptobörse aufrufen und dort einen Bitcoin oder einen Anteil daran zum aktuellen Kurs erwerben können – ganz ohne Gebotsrisiko und vor allem zu einem niedrigeren Preis.
Was war passiert? Während manche den Bietenden schlichtweg Dummheit unterstellen, halten es andere in einer etwas differenzierteren Definition von Dummheit für möglich, dass Bietende Dollar- und Eurokurs verwechselt haben könnten.
Theorie 2: Geldwäsche
Echte Krummdenker sehen dahinter indes eine besonders pfiffige Form von Geldwäsche. Immerhin könne es kaum einen saubereren Bitcoin geben als einen aus den Händen der deutschen Justiz, argumentieren sie. Dafür könne man gern mal etwas mehr schmutziges Geld aufbieten als zu Binance oder Coinbase hätte fließen müssen.
Diese Theorie wollen manche dadurch untermauert sehen, dass die KYC-Vorgaben, also die Notwendigkeit, sich umfassend zu legitimieren, bei der Justiz-Plattform erheblich schmaler ausfallen würden als gemeinhin üblich und gefordert.
Theorie 3: Sammelleidenschaft
Wenn wir schwache Kognition und schwache Gesetzestreue vorerst einmal gedanklich ausschließen, bleibt als plausibler Erklärungsansatz etwas übrig, das auch schon den NFT-Markt antreibt, nämlich die Spekulation auf Bares für Rares. Dadurch, dass die Justiz die Bitcoin zu Urkunden auf Papier macht, haben sie einen eigenständigen Wert in Form ebendieser Urkunde. Sie können unproblematisch analog verkauft werden. Man kann sie sich an die Wand hängen oder in den Tresor legen oder einen Papierflieger daraus falten und ihn aus dem Fenster der Staatskanzlei werfen.
Insbesondere der erste versteigerte Bitcoin der Justiz NRW könnte auf diese Weise seinen zu hohen Kaufpreis ganz schnell wieder reinspielen. Wenn Käuferin oder Käufer ihn jetzt noch als NFT minten, könnten sie einen wahren Reibach daran machen. Spätestens dann würde das Gelächter auf Kryptotwitter verstummen.
Glückwunsch, aber ist die Strategie nicht dennoch falsch?
Dem Land kann es wurscht sein. Minister Biesenbach wird jetzt hochzufrieden sein und den weiteren Auktionen entspannt entgegensehen. Bedenken sollte er dabei mehrerlei: Sollte es sich um durch Theorie 3 getriebene Gewinne handeln, dann werden die jetzt sinken. Denn die Faszination der ersten Charge wäre dahin. Aus Sicht des Staatssäckels wäre es zudem besser, die Bitcoin nicht zu verwerten, sondern zu halten. Es ist doch seltsam, dass immer mehr Staaten in aller Welt Bitcoin kaufen, während Deutschland sie verkauft. Immerhin hat Biesenbach das Wachstumspotenzial anlässlich der Pressekonferenz sogar selbst erläutert. Und wenn einem die Kryptokohle schon auf diese Weise in den Schoß fällt, dann könnte man es ja auch einfach mal probieren – das mit dem Hodlen.