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Interview

Softwareentwicklung: Dem IT-Fachkräftemangel mit interdisziplinären Teams begegnen

Professorin Claudia Nass Bauer vom Fraunhofer IESE ist überzeugt: Interdisziplinäre Teams können Softwareprojekte besonders erfolgreich bewältigen. Warum sie darin auch einen Weg sieht, mit dem Fachkräftemangel in der IT umzugehen, erklärt sie im Interview mit t3n.

5 Min.
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Claudia Nass Bauer vom Fraunhofer IESE berät Unternehmen in den Themenfeldern Innovation-Workshops, Interaction Design und User Interface Prototyping. (Foto: Fraunhofer IESE)

Claudia Nass Bauer leitet am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) in Kaiserslautern Industrieprojekte im Bereich der Konzeption von Digitalen Ökosystemen. Ursprünglich hat sie eine Ausbildung im Industriedesign gemacht, dann „Graphische Künste“ sowie Marketing, Kommunikationsmanagement und Organisationsentwicklung studiert.

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Als Nass Bauer vor mehr als 16 Jahren nach Kaiserslautern kam, war sie die erste Designerin im Team für „Digital Innovation Design“. Inzwischen ist sie Expertin für Digital Ecosystem Service Design – und davon überzeugt, dass interdisziplinäre Teams maßgeblich für den Erfolg von Software-Projekten verantwortlich sind.

t3n: Frau Nass Bauer, in der IT herrscht Fachkräftemangel, besonders Software-Entwickler:innen sind gefragt – warum ist das so?

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Claudia Nass Bauer: Das liegt an der Marktentwicklung. Quasi jedes Unternehmen ist inzwischen ein Softwareunternehmen geworden. Gute Beispiele dafür lassen sich im Gesundheitswesen, in der Lebensmittelindustrie oder der Landwirtschaft finden. Man denkt, die hätten nicht viel mit Software-Engineering zu tun, aber mittlerweile hat fast jedes Produkt eine Website oder einen Webshop, softwaregestützte Prozesse, vielleicht sogar eine App. Diese Produkte müssen als Teil der Costumer-Journey entwickelt und gestaltet werden.

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t3n: Inwiefern haben sich die Anforderungen im Software-Engineering verändert?

Grundsätzlich hat sich die Art der Produkte verändert. Es wird beispielsweise viel mehr miteinander vernetzt und mit Kundendaten gearbeitet, weil die Möglichkeiten dafür gewachsen sind. Aber auch im B2B-Bereich, in der Industrie 4.0 zum Beispiel, gibt es mittlerweile neue Sensoren, viele Maschinen werden automatisiert. Das wiederum erlaubt es Unternehmen, bessere Prozesse zu gestalten.

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t3n: Wie können Unternehmen und Wissenschaft den Nachwuchs im Software-Engineering fördern?

Wir merken, dass Software-Engineering nicht mehr nur ein Thema für Informatikerinnen und Informatiker ist. Das ist vielmehr ein interdisziplinäres Unterfangen. Ich war bei uns am Fraunhofer IESE in der Abteilung für „Digital Innovation Design“ vor 15 Jahren die erste Designerin – im Lauf der Zeit haben wir immer mehr Designerinnen und Designer eingestellt. Mittlerweile ist der Anteil an Informatiker:innen und Nicht-Informatiker:innen gleich groß. Wir haben Menschen aus der Psychologie im Team, aus dem Wirtschaftsingenieurwesen, aus dem Mediendesign oder der Medieninformatik. Multidisziplinarität kann eine Strategie sein, mit dem Fachkräftemangel umzugehen.

Ich erläutere das kurz: Verschiedene Statistiken besagen, dass nur 30 Prozent der Softwareprojekte erfolgreich sind. Das liegt oft nicht an mangelnder technischer Kompetenz oder der Größe des Entwicklungsteams. Stattdessen fehlt teilweise das Verständnis dafür, was das Produkt am Ende leisten soll, oder das Produktmanagement während der Entwicklung ist ineffektiv. Hier kommt die interdisziplinäre Arbeit ins Spiel. Wenn der Produktumfang besser definiert und während des gesamten Prozesses mit Einbeziehung von Nutzerrecherchen effektiv gesteuert wird, können Softwareentwickler:innen effizienter arbeiten.

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t3n: Wenn zum Beispiel jemand mit psychologischem Hintergrund in das Team kommt – muss diese Person dann programmieren lernen, damit die Zusammenarbeit klappt?

Nein. Die Psycholog:innen bei uns kommen beispielsweise aus der Marktforschung und der User-Research. Ihr Wissen ist für uns sehr wichtig, denn nur wenn wir verstehen, was die User:innen brauchen, können wir neue Funktionen daraus ableiten. Nicht-Informatiker:innen müssen bei uns nicht programmieren können. Aber: Sie müssen ein Verständnis für den Software-Engineering-Prozess aufbauen. Das funktioniert vor allem durch Praxis und Weiterbildung.

t3n: Das heißt aber auch, dass die Projekte nur im Team funktionieren?

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Grundsätzlich ist die Softwareentwicklung eine Teamarbeit. Es ist sehr schwierig, allein eine wirklich gute Software zu bauen. Natürlich gibt es auch ein paar Entwickler:innen auf dem Markt, die viele verschiedene Kompetenzen in sich vereinen. Das ist aber eher selten, und ich fände es falsch zu sagen, dass eine Person alles können muss. Auch in der Wirtschaft sind interdisziplinäre Teams mittlerweile State of the Art – es gibt aber noch Entwicklungspotenzial. Das merkt man beispielsweise bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz und anderen datenintensiven Systemen: Wenn die Entwicklungsteams zu wenig vielfältig sind, fällt auch die KI einseitig aus. Das kann beispielsweise zur Diskriminierung bestimmter Gruppen führen – wie etwa beim Amazon-Einstellungsprozess vor einigen Jahren.

t3n: Wie fördert man interdisziplinäre Teams?

Bei uns an der Hochschule Mainz gibt es bestimmte Anforderungen für Forschungsteams, die in den Grenzgebieten zum MINT-Bereich arbeiten. Was noch weniger im Bewusstsein präsent ist, sind die Quereinstiege in die Softwareentwicklung. Gerade bei der Ausbildung arbeitet jede Disziplin noch für sich. Da könnte man in den Designstudiengängen stärker dazu ermutigen, ein Praktikum im Software-Engineering zu machen.

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t3n: Und wo liegen dabei die Schwierigkeiten?

Viele meiner Studierenden orientieren sich noch eher klassisch, zum Beispiel an der Arbeit in Designagenturen. Ich glaube, dass es noch Berührungsängste gibt. Kreative Menschen denken oft, sie müssten fürs Software-Engineering mathematisch begabter sein. Sie wissen meist gar nicht, wie interdisziplinär die Teams eigentlich sind. Wahrscheinlich ist schon das Wort „Engineering“ ein wenig einschüchternd. Und auf der Entwicklungsseite fehlt teilweise das Verständnis für die kreativen Prozesse. Gemeinsame Praxisprojekte und interdisziplinäre Kurse können aber zum Beispiel helfen, schon im Studium das Eis zu brechen.

Betrachtet man spezifisch das Spannungsfeld zwischen Design und Informatik, zeigt sich: Das Design läuft meistens noch unter dem Schirm des Software-Engineerings. Die Software-Seite bestimmt, wie der Arbeitsablauf und die Aufgabenverteilung ist, das Design kann dabei ein bisschen mitmachen.

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Hier zeigen einige Vorreiter-Unternehmen, dass für eine Kollaboration auf Augenhöhe die Offenheit von beiden Seiten notwendig ist. Teams, die das schaffen, haben einen wirtschaftlichen Vorteil, weil sie bessere Produkte liefern – und können dem Fachkräftemangel zumindest ein bisschen entgegensteuern.

Ich selbst konnte am Anfang auch nicht entwickeln, habe es dann aber gelernt, weil ich einige Sachen selbst machen wollte und es mir Spaß gemacht hat.

t3n: Sie selbst beschäftigen sich mit der Gestaltung und Entwicklung von digitalen Ökosystemen, also beispielsweise Vermittlungsplattformen wie Ebay oder Airbnb. Mit ihrer Methode des „Tangible Ecosystem Design“ unterstützen Sie die interdisziplinäre Zusammenarbeit in entsprechenden Projektteams. Wie funktioniert diese Methode?

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Digitale Ökosystemen müssen verschiedene Perspektiven berücksichtigen: die technische, die geschäftliche und die rechtliche. Dabei soll die Experience sowohl für die Konsument:innen als auch für den Anbieter möglichst angenehm sein.

Bei der „Tangible Ecosystem Design“-Methode geht es spielerisch zu – da reagieren Teilnehmende auch mal neugierig. (Foto: Fraunhofer IESE)

Um all diese Aspekte, die dazugehörigen Geschäftsbeziehungen und Mehrwerte für die unterschiedlichen Partner zu veranschaulichen, benutzen wir Playmobilfiguren und eine Reihe von Vorlagen. Wir arbeiten mit den Unternehmen Zukunftsszenarien aus, lassen sie reflektieren, welche technischen und organisatorischen Voraussetzungen es für die Umsetzung braucht. So reden die Bereiche nicht aneinander vorbei, weil die Idee für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer physisch greifbar ist.

t3n: Wie reagieren die Teams auf diesen spielerischen Ansatz?

Viele sind neugierig, was dahintersteckt und was daraus wird. Nach der ersten Übung haben sie dann verstanden, wie wichtig das ist. Wir sagen ja auch nicht, dass man immer mit Playmobil arbeiten muss, aber bei den Workshops mit verschiedenen Interessensgruppen hilft das immens. Sogar in Unternehmen, in denen eigentlich eine traditionelle Arbeitskultur herrscht, waren die Leute begeistert.

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