Kaufhäuser: Die Bundesregierung rettet Geschäftsmodelle der Vergangenheit
Die Warenhauskette Karstadt Kaufhof hat ein Darlehen von der Bundesregierung in Höhe von fast einer halben Milliarde Euro erhalten. Ein Staatskredit für einen Kaufhauskonzern, der in den letzten Jahren vieles falsch gemacht hat, zu wenig digitalisiert und auch ansonsten eher an der alten Welt hängt, als dass er eine Omnichannel-Strategie fahren würde. Für die 26.000 Mitarbeiter ist das schön – und in der Pandemie sicher auch tröstlich. Runtergerechnet wird jeder Arbeitsplatz mit einem Kredit von gut 19.000 Euro besichert.
Für alle anderen, die für ihre großen wie kleinen Unternehmen an der Digitalisierung arbeiten, ist das allerdings kaum nachvollziehbar. Sie kämpfen teilweise, wenn sie nicht so groß wie Karstadt Kaufhof oder TUI sind, mit Anträgen, mit nicht bewilligtem oder erst nach Monaten schleppend ausgezahlten Hilfsleistungen des Staates, mit KfW-Krediten, für deren Gewährung sich die Regelungen im Laufe der Zeit ändern (was Steuerberater mit Recht zum Verzweifeln bringt), und nicht zuletzt auch mit sehr viel Eigenverantwortung, weil sie eben nicht das schützende Etikett „systemrelevant“ erhalten.
Wie systemrelevant ist ein Kaufhaus an sich?
Doch ist ein Kaufhaus wirklich systemrelevant in einer Zeit, in der die Innenstädte einen Wandel durchlaufen, wie wir ihn seit mehr als siebzig Jahren nicht gesehen haben? Und was kann der Fachhandel tun, um wettbewerbsfähig zu bleiben und eben nicht austauschbar gegen jeden Kistenschieber im Netz zu sein?
Es wäre vernünftig, wenn der Staat, wenn er sinnvollerweise schon sein (und damit unser) Geld so mutig verteilt, in die Zukunft investieren würde, anstatt die in Beton gegossene Vergangenheit der Innenstädte am Leben zu erhalten. Möglich wäre das beispielsweise mit Förderprogrammen, die all jene Geschäftsleute betrifft, die über den Tellerrand des eigenen Ladens schauen und sich über zukunftsfähige Geschäftsmodelle Gedanken machen. So wie beispielsweise Gründer gefördert werden, wenn sie entsprechende Konzepte einreichen, ginge dies auch mit Einzelhändlern (unterschiedlicher Größe), die schon lange im Geschäft sind.
Doch auch die sollten langsam aus ihrer Komfortzone rauskommen: Denn vernünftiger, als neidisch auf Amazon, Otto und Co zu schauen, wäre es, sich selbst über Ship from Store und über Click & Collect Gedanken zu machen, das dauerhaft auch nach der Pandemie angeboten wird. Denn oftmals will der Kunde gar nicht zwingend bei Zalando, Amazon und Co bestellen, sondern er tut es, weil die Alternativen, die zu unserer Lebensführung passen, nicht vorhanden sind. „Lass den Klick in unserer Stadt“ heißt sowas beispielsweise in einigen Städten – in denen dann die Geschäfte nur einen Bruchteil der Varianten vom dem da haben, was der Kunde haben will.
Ein Order Management System (OMS) könnte gerade bei stark variantenreichen Sortimenten das Problem lösen, das beispielsweise früher große Bekleidungsketten für ihre Kunden zu lösen bereit waren: „Sie wollen das Sakko in dieser Größe lieber in der anderen Farbe? Haben wir nicht da, aber lassen wir Ihnen gerne aus einer anderen Filiale kommen“, war vor zwanzig Jahren selbstverständlich und wurde im Laufe der Zeit abgeschafft. „Zu teuer, wird nicht mehr von der Zentrale unterstützt“, erfährt man als Stammkunde hinter vorgehaltener Hand heute. Und dann ist da der Onlinehandel – der zentral oder dezentral Zugriff auf das gesamte Angebot in allen Größen und Farben bietet. Wo kauft der Kunde dann wohl?
Ein anderes Beispiel sind digitale Serviceangebote, die gezielt in der Filiale zur Verfügung stehen (könnten): Ein Touchscreen, zur Not auch ein einfaches Tablet, über das der Kunde in Echtzeit prüfen kann, wo die Ware noch vorhanden ist und sie im besten Fall voreingestellt kostenlos nach Hause geliefert bekommt. Er hat den Weg zum Anprobieren ja bereits in die Filiale gemacht, sodass (ganz nebenbei) die Retouren-Wahrscheinlichkeit gegen Null tendiert. Übrigens könnte man so auch den Verkäufer provisionieren, der ansonsten seine kleine Nummer auf den Abholschein kleben durfte.
Einkaufspaläste als Shoppingerlebnis
Besagte alteingesessene Kaufhäuser strahlen dagegen entweder den Charme längst vergangener Tage (wenn es sich um die kleineren Standorte handelt) oder aber den Zauber der Großstadt aus, wenn es sich um die Kadewes und Oberpollingers dieser Republik handelt. Die meisten entstanden in den 20er und 30er Jahren als bewusster Gegenentwurf zum Laden um die Ecke. Und die Mitarbeiter dort waren auch in späteren Jahrzehnten noch stolz, dort zu arbeiten und etwas Besonderes zu präsentieren. Dieses Einkaufserlebnis müssen die verbleibenden Häuser noch aufrechterhalten – in Kombination mit geschickt eingesetzten digitalen Assets und einem zeitgemäßen, ungezwungenen Service auf Augenhöhe. Übrigens muss das gar nicht nur für die alten Konsumtempel gelten, denn auch Shopping Malls können das leisten – wenn sie nicht nur auf austauschbare Filialisten setzen.
Gleichzeitig dürfte es dem Handel helfen, würde er sich ein Beispiel an der Bankenwelt nehmen, die in den letzten Jahren eine wichtige Lektion gelernt hat: Bestimmte Services, beispielsweise im logistischen Kontext, muss man nicht selbst anbieten, sondern kann sie durchaus auch von Profis, die darauf spezialisiert sind, (unter dem eigenen Label freilich) einkaufen. Wenn der Kunde nämlich das Einkaufserlebnis so bekommt, wie er es im Online-only-Commerce eben nicht so einfach findet, dann hat der Handel in den Städten auch eine Zukunft. Ein Anbieter für Unterhaltungselektronik, der Premium-Produkte auch mal vorführt; ein Fachhändler, der wirkliches Know-how in der Nutzung an seine Kunden weitergibt; ein Musikhaus, das Instrumente von einem Vorbild der Branche vorführen lässt – all das sind Dinge, die der reine Onlinehandel nicht bieten kann und will.
All das kostet Geld – viel Geld, das sich dann aber auch wieder in Umsätzen und Umsatzsteuer niederschlägt. Doch statt damit ein Me-too-Produkt zu unterstützen, das das Rennen mit dem Onlinehandel nicht gewinnen kann, sollte sich die Bundesregierung ihrer Verantwortung und der Handel seiner Stärken besinnen – und mit einem klugen Mashup das Beste aus der alten und der neuen Welt kombinieren.
Darlehen von „einer halben Million Euro“?
Schön wärs, ne halbe Milliarde passt erstmal besser.
Mal schauen wie es weitergeht.
Vollkommen korrekt – danke für den Hinweis. Es handelt sich natürlich um eine halbe Milliarde Euro… wurde angepasst.
Trotzdem finde ich die Sichtweise, oder Herangehensweise an das Thema sehr gut. So etwas wünsche ich mir für die Innenstädte und „Großkaufhäuser“.