Metas baldiger CTO: Menschen sind selbst Schuld, wenn sie Desinformationen glauben
Facebook steht für seine Empfehlungsalgorithmen schon lange enorm in der Kritik. Der Algorithmus macht Menschen unglücklich, verbreitet Desinformationen, Facebook trägt Mitschuld am Mord und der Vertreibung der Rohingya in Myanmar. Die größtenteils ungehinderte Ausbreitung von Hass und Hetze führte 2020 zu einem Werbeboykott von über 90 Firmen weltweit.
In einem Interview hat sich nun Andrew Bosworth bei Axios zu Desinformationen auf Facebook geäußert. Bosworth ist ab nächstem Jahr CTO, Chief Technical Officer, bei Meta.
„Menschen entscheiden sich dafür, Desinformationen zu glauben“
Im Interview betont Bosworth, dass der Ansatz der Algorithmen der richtige sei. Die individuellen Menschen seien diejenigen, die Desinformationen glauben und sich dazu entschließen würden, zu teilen oder zu folgen. Er fühle sich nicht wohl dabei, zu sagen, dass bestimmte Personen keinerlei Stimme bekämen, weil er nicht mögen würde, was sie sagen, oder weil er den Aussagen nicht zustimme.
Laut Bosworth sei es vor allem unsere Fähigkeit, Desinformationen zu erkennen, die fragwürdig seien. Daher fühle er sich nicht wohl, davon auszugehen, dass es genug „fundamental rightness“ gebe, selbst im Kern der aktuell anerkannten wissenschaftlichen Studien, um diese Macht über Menschen auszuüben – diese möchten sagen, was sie zu sagen haben, und möchten zuhören, wem sie wollen. Stattdessen wähle der Algorithmus also nach der Frage aus: „Was möchten die Menschen hören?“ Und das empfinde Bosworth als richtigen Weg, an einen solchen Algorithmus heranzugehen.
Facebook sei quasi machtlos
Selbst wenn Meta jeden einzelnen US-Dollar und jede einzelne Person dafür aufwenden würde, sei es unmöglich zu verhindern, dass Menschen Aussagen sähen, „die ihnen nicht gefallen“. Sie würden auch dann nicht verhindern können, dass Menschen Gelegenheiten hätten, die Plattform böswillig zu nutzen.
Ina Fried von Axios erwähnte, dass die Plattform die Gesundheit von Menschen und die Demokratie bedrohe. Laut Bosworth stelle sich die Frage, was das für eine Demokratie sei, die nicht verschiedene Meinungen aushalte. Er verstünde, wie gefährlich manche Meinungen seien, aber die Meinungsfreiheit sei eine „grundlegend demokratische Technologie“. Er wolle allerdings die Tools zur Vernetzung und für Zugang zu Informationen allen zur Verfügung stellen, nicht nur einer kleinen Elite-Gruppe.
Wird sich bei Meta und vor allem bei Facebook etwas ändern?
Insgesamt macht Social Media unglücklich, radikal und aggressiv, wie eine Studie der Uni Hamburg und Uni Münster ergab. Aber es gibt zumindest Plattformen wie Pinterest, die aktiv daran arbeiten, ein positiver und sicherer Ort zu sein. Ob das Facebooks Ziel ist, ist unklar, aber Ergebnisse in die Richtung gab es bisher nur wenige.
Wenn der künftige CTO von Meta sich nun kritisch gegen die Einschränkung von Desinformationen äußert und stattdessen Individuen die Schuld daran gibt, in Filterblasen zu sein und sich zu „entscheiden, Desinformationen zu glauben“ – dann stehen die Sterne eher schlecht, dass umfassende und wirkmächtige Änderungen auf der Plattform und am Algorithmus vorgenommen werden. Durch die Whistleblowerin Frances Haugen ist bekannt, dass engagierte Facebook-Mitarbeitende gegen die Chef:innen nicht ankommen.
Einige Aussagen grenzen zudem an Wissenschaftsfeindlichkeit: Besonders in der Wissenschaft ist es Konsens, dass die Menschheit nicht alles weiß. Es ist aber Aufgabe der Wissenschaft, mit neuen Erkenntnissen und Studien Fehler aufzuzeigen und zu berichtigen, nicht von fachfremden, verängstigten Menschen auf Facebook. Zuletzt geht es bei Desinformationen nicht um Aussagen, die jemandem nicht gefallen – sondern um Falschinformationen, die Gesundheit und Leben bedrohen. Das Argument der Meinungsfreiheit ist dazu von Mark Zuckerberg bekannt, davon spricht er seit Jahren.
Für Werbetreibende bedeutet das, Facebook auch in Zukunft kritisch zu betrachten und zu prüfen: Ist Facebook für meine Produkte und Anzeigen die richtige Plattform mit den besten Ergebnissen?
Einen Ausschnitt des Interviews mit Andrew Bosworth, geführt von Ina Fried von Axios, seht ihr in diesem Video – es ist allerdings auf Englisch.