Mehrere Wochen feilten Unternehmer:innen und Interessierte aus der Krypto-Welt an dem gemeinsamen Schriftstück, das sich an Entscheider:innen in den EU-Institutionen richtet, die in den kommenden Wochen im Trilog über aktuelle Gesetzesentwürfe für die Regulierung des Kryptomarktes entscheiden werden. Damit versucht die EU, Regeln für den sich entwickelnden dezentralen Finanzmarkt (Defi) aufzustellen, um gegen Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und Betrug vorzugehen. Als Orientierung dienen meist Vorschriften des klassischen Finanzmarktes, wie die KYC-Anforderungen.
Markets in Crypto Assets Regulation (Mica-Regulierung) und die Transfer-of-Funds-Regulation (TFR) sind die beiden Regelwerke, die in Brüssel besprochen werden und in einigen Wochen im Trilog der europäischen Institutionen zum Abschluss kommen könnten. Nach den aktuellen Entwürfen könnten die beiden Regulierungen den Handel mit Kryptowährungen und Token stark einschränken. Einer der Hauptkritikpunkte ist, dass laut einer Beschlussvorlage des Wirtschaftsausschusses (ECON) des EU-Parlaments bald anonyme Zahlungen – egal, in welcher Höhe – verboten werden könnten.
Identitätsprüfung bei Unhosted Wallets
Ziel der TFR ist vor allem, dass sich die Nutzer:innen von sogenannten „unhosted Wallets“ bei jeder Transaktion ausweisen müssen. Diese Non-Custodial Wallets sind Krypto-Konten, die nicht von einem Verwahrungsdienstleister betreut werden. Die Identifizierungspflicht würde den Grundsatz der Pseudonymität, der bei Transaktionen mit Kryptowährungen herrscht, aufweichen. Außerdem würde damit die Entwicklung des dezentralen Finanzsystems (Defi) innerhalb der EU stark ausgebremst. Kritiker:innen befürchten, dass Startups und Firmen im Bereich Defi, NFT und Metaverse außerhalb der EU ansiedeln, um die Regulierung zu umgehen.
EU-Bürger:innen seien davon weniger betroffen, sagt Blockchain-Professor Philipp Sandner. „EU-Bürger können natürlich all diese Technologien nutzen, selbst wenn die Firmen nicht in der EU sind. Das sehen wir heute auch schon: Wir nutzen Gmail, Amazon, Netflix, Apple, Google, Visa, Mastercard oder Paypal – auch wenn diese Firmen nicht in der EU ansässig sind“, erklärt der Blockchain-Experte der Frankfurt School. Unglückliche Regulierungseingriffe würden vor allem Unternehmen treffen und seien wirtschaftsschädlich.
Über 2.000 Krypto-Unternehmen und Einzelpersonen
Der Aufschrei der europäischen Krypto-Welt ließ nicht lange auf sich warten. Ein jetzt veröffentlichter offener Brief wendet sich an EU-Politiker:innen. Dahinter stehen über 80 Krypto-Projekte, -Unternehmen und -Initiativen sowie mehr als 2.000 Unterzeichner:innen aus Europa. Neben Alexander Lange vom Wagniskapitalgeber Inflectionist ist der Defi-Startup-Gründer Peter Großkopf eine der treibenden Kräfte hinter dem Brief. „Wir haben dafür mit einigen dutzend Leuten gesprochen und ihr Feedback eingearbeitet“, sagt Großkopf. Mit dem offenen Brief wollen sie der Web3-Community in Europa eine Stimme geben.
Dabei sei das zusammenfinden dieser europäischen Web3- und Defi-Community schwierig. „Viele Projekte bleiben by-design unter dem Radar der Öffentlichkeit“, sagt Großkopf. An dem Brief an die EU-Politiker:innen konnten in den vergangenen Wochen alle Interessierten mitschreiben, was einen Raum für offene Diskussionen bieten sollte, so die Initiator:innen. Anfang Mai veröffentlichten sie den Brief.
„Wir haben versucht möglichst viele Leute hinter den Thesen zu versammeln“, sagt Großkopf. „Immerhin geht es nicht nur um Feedback zur Mica und TFR – wir machen auch Vorschläge, wie die Regulatorik technologie-adäquater aussehen könnte.“ So geht der 16-seitige Aufsatz auch auf digitale Identität ein und zeigt auf, wie DAO (Decentralized Autonomous Organisations) als juristische Person fungieren könnten.
„Von Kontakten aus Deutschland haben wir bereits positive Reaktionen bekommen.“ – Peter Großkopf
Die Intiator:innen wollen einzelne Politiker:innen direkt anschreiben, um sie auf die Debatte innerhalb der Krypto-Community hinzuweisen. „Von Kontakten aus Deutschland haben wir bereits positive Reaktionen bekommen“, sagt Großkopf.
Großkopf selbst hat vor über einem Jahr das Defi-Startup Unstoppable Finance gegründet, mit dem er das dezentrale Finanzsystem massentauglich machen will. „Wir glauben daran, dass eine offene, für jeden zugängliche, globale, transparente, dezentrale Finanzinfrastruktur längst überfällig ist und setzen uns deshalb dafür ein“, sagt er. „Banken tun sich mit Innovation schwer und lobbyieren gegen die neue Welt, weil sie darin nicht mehr gebraucht werden.“