Porsche-Chef: „Beim autonomen Fahren müssen wir nicht die Ersten sein“
In diesen Tagen sind Autos in Los Angeles noch wichtiger als sonst. Während der Messen Automobility LA und der seit 1907 stattfindenden L.A.-Autoshow stellen Hersteller aus der ganzen Welt ihre Fahrzeuge vor. Immer wichtiger wird neben Design, Performance und neuerdings auch E-Mobilität das Thema digitale Vernetzung der Mobile.
Wer auf diesem von gewaltiger Disruption gekennzeichneten Gebiet nicht schleunigst punkten kann, dessen Tage als Autobauer könnten schon bald gezählt sein. Das weiß auch Oliver Blume, der seit nunmehr zwei Jahren als Vorstandsvorsitzender die Porsche AG leitet.
Wie es dem Sportwagenhersteller trotz widriger Umstände für die Mountain View in einem ausführlichen Gespräch erzählt.
Neuer Standort in Kalifornien
Nur wenige Kilometer entfernt liegt Santa Clara, das Zentrum des Silicon Valley. Hier hat die Ludwigsburger Unternehmenstochter Porsche Digital, seit 2016 selbsterklärte „Schnittstelle zwischen Porsche und Innovatoren weltweit“, vor wenigen Monaten nach Berlin und Tel Aviv einen weiteren nicht-schwäbischen Außenposten installiert, der dafür sorgen soll, dass das traditionsreiche Unternehmen künftig mehr von jenem innovativen Spirit einatmet, den das Silicon Valley berühmt gemacht hat.
Helfen soll zum Beispiel weltweites Scouting. Man möchte Trends „gezielt identifizieren und bewerten“ und sich dadurch Zugriff auf relevante Technologien sichern, wie es formell heißt. Wie das alles gehen soll, weshalb Porsche nicht überall der Erste sein muss und warum Tesla angeblich kein Konkurrent ist, erklärt Oliver Blume im Interview.
t3n.de: Du warst heute Nachmittag bei Tim Cook von Apple. Wie ist es gelaufen?
Oliver Blume: Es war ein tolles Gespräch. Ich habe ihn zum ersten Mal getroffen – ein sehr angenehmer und beeindruckender Mensch.
Was wolltest du bei ihm?
Ich wollte die Perspektive einer anderen Industrie einnehmen und schauen, was ich auf unser Business übertragen kann.
Apple-Ideen auf die Autobranche übertragen
Was ist für dich das Besondere an Apple?
Die haben eine wirklich tolle, durchgängige Linie im ganzen Unternehmen. Was mich fasziniert ist die einfache Handhabung der Geräte. Die Maxime von Apple heißt: Keep it simple! Und das wird mit einer klaren Standardisierung konsequent umgesetzt. Einiges davon lässt sich auch gut in unser Geschäft, die Autobranche, übertragen.
Beim Thema Elektromobilität musste die alte Autobranche zunächst gar nicht erst aktiv werden, da hat Tesla vorgelegt. Hast du als Chef eigentlich manchmal Angst, dass irgendein disruptives Element, zum Beispiel ein neues Unternehmen oder eine revolutionäre Idee, euch ein wichtiges Geschäftsmodell kaputtmachen könnte?
Nein, keine Angst. Wir halten natürlich die Augen offen. Disruptive Ideen muss man ernst nehmen, aber sie schrecken mich nicht. Ich denke, solche Pläne müssen dann auch erst einmal umgesetzt werden. Und so etwas passiert nicht von heute auf morgen.
Du spielst auf Tesla an …
Wir bei Porsche konzentrieren uns auf uns selbst und sind damit immer gut gefahren. Und so werden wir das auch in Zukunft machen. Trotzdem muss man sagen: Tesla hat vieles gut gemacht. Es ist Pionier bei der Elektromobilität. Dafür mein großer Respekt. Jetzt ziehen alle anderen Automarken nach, auch wir. Tesla ist für uns aber nicht der Maßstab.
Aber …
Wir werden sehen, ob Tesla mit seinem Modell erfolgreich ist. Elon Musk muss seine Projekte nun auch ins Ziel fahren. Geld hat er mit ihnen bis heute zumindest nicht verdient.
Angst vor dem Tesla-Roadster?
Mal abgesehen vom Geldverdienen: Setzt dich der von Tesla kürzlich präsentierte Roadster unter Druck? Euer eigener Supersportwagen Mission-E soll nach jetzigem Stand 2019 kommen …
Das angekündigte Tesla-Coupé, von dem du sprichst, lehnt sich designtechnisch sehr stark an unseren Mission-E an. Wir sehen das eher als eine Wertschätzung unserer Arbeit.
Neben dem futuristischen Design soll der Mission-E auch elektrisch fahren. Welche Rolle kann oder darf Elektromobilität bei einem Sportwagenhersteller spielen?
Der Mission-E ist der erste rein elektrisch betriebene Porsche. 600 PS, von 0 auf 100 km/h in weniger als 3,5 Sekunden, eine Reichweite von 500 Kilometern, in 15 Minuten zu 80 Prozent wieder aufladbar. Alltagstauglich und hohe Performance zugleich. Wir sehen die Elektromobilität als sinnvolle Ergänzung zu unserem Produktportfolio. Und wir finden, dass der E-Antrieb auch sehr gut zu Porsche passt. Neben der Effizienz bietet er eine hohe Dynamik. Für uns als Unternehmen ist es grundsätzlich wichtig, alle neuen Technologien zu beobachten. Bei einigen übernimmt Porsche die Führerschaft, bei anderen sind wir nicht die Ersten, sondern greifen sie auf und entwickeln sie weiter.
Autonomes Fahren als Angstvokabel?
Auf welchem Gebiet greift ihr auf andere zurück?
Beim autonomen Fahren zum Beispiel. Da muss Porsche nicht der Erste auf dem Markt sein. Wenn es aber darum geht, besonders sportliche Verbrenner-Motoren zu bauen, solche, bei denen man einen Turbo in so richtig hohe Leistungsklassen bringt – da wollen wir schon Vorreiter sein und bleiben.
Autonomes Fahren scheint für Porsche eine Art Angstvokabel. Ihr wollt eure Kundschaft nicht mit einem autonom fahrenden Porsche verschrecken, oder?
Autonomes Fahren ist ganz bestimmt keine Angstvokabel für uns. Ich finde, es birgt viele positive Aspekte. Für uns ist nur wichtig – und deswegen unterstreichen wir das auch –, dass Porsche immer ein Fahrer-Auto bleiben wird. Und das letzte Auto auf dem Markt mit richtigem Lenkrad wird sicherlich irgendwann dann auch ein Porsche sein.
Was ihr für Porsche wollt, ist also eine Art autonomes Fahren light?
Nein, wir wollen unseren Fahrern aber die Wahl lassen. Ein Stau- oder Park-Assistent ist irgendwann selbstverständlich. Auch im Porsche. Uns geht es um eine – ich nenne sie einmal – Porsche-typische Lösung, eine sinnvolle Kombination sinnvoller Anwendungen. Um Dinge, die nur Porsche kann.
Gamifizierung des autonomen Fahrens?
Geht es auch etwas mehr sexy?
Klar. Unter dem Arbeitstitel „Mark-Webber-App“ nutzen wir autonome Fahrfunktionen, um dem Kunden zu ermöglichen, seine eigenen Fahrfähigkeiten auf der Rennstrecke zu verbessern. Genau so etwas sehen wir als „Porsche-typisch“.
Der Sonderweg von Porsche ist also eine Art Gamifizierung des autonomen Fahrens?
Naja, die Webber-App ist nicht unbedingt ein Spielzeug, eher ein Hilfsmittel, ein virtueller Instrukteur. Mit ihr kann ich Autofahren trainieren. Das Fahrzeug zeigt mir, wie ich die Ideallinie finde, wann ich bremsen oder beschleunigen muss. Und dann lege ich Mark Webber mit meiner eigenen Fahrt übereinander und sehe, wo die Unterschiede sind – und kann mich so immer weiter verbessern. Er übernimmt das Steuer und coacht mich.
Als wichtig für das strategische Fortkommen eines Autoherstellers wird auch immer wieder ein eigenes Ökosystem genannt. Dein Kollege Johann Jungwirth, Digital-Chef eures Mutterkonzerns Volkswagen, hat neulich auch davon gesprochen. Welchen Stellenwert hat es bei Porsche?
Grundsätzlich eröffnet uns so ein Ökosystem große Chancen für die Zukunft. Es geht darum, technologische Applikationen miteinander zu verbinden, Mehrwert zu schaffen und dem Kunden ein einzigartiges Fahrerlebnis zu ermöglichen, das über das reine Fahren hinausgeht. Der Kunde soll etwas bekommen, was es nur bei Porsche gibt. Und das aus einem System.
Wie weit seid ihr denn damit?
Wir haben das Konzept bei Porsche jetzt im Grundsatz aufgesetzt. Der erste Schritt ist getan. Unser neues System verbindet alle „Connected“-Dienste, also alles, was Verbindung zum Internet hat. Außerdem beinhaltet es Mobilitätsangebote und Applikationen für Elektromobilität, also zum Beispiel Lade-Dienste, aber noch vieles mehr. Pilotprojekte in mehreren Ländern laufen. Anfang 2018 wird es dann ernst.
Was bedeutet das für den Nutzer?
Er kann das Ganze künftig über eine sogenannte „Porsche-ID“ steuern. Die kann man durchaus mit einer „Apple-ID“ vergleichen. Über ein System, das sich „My Porsche“ nennt, kommt man dann auf die Porsche-Plattform. Und dort lässt sich ein Fahrzeug und all diejenigen Dienste, die wir darum herum entwickeln, managen.
Porsche in Santa Clara, Silicon Valley
In Santa Clara im Silicon Valley hat Porsche sich in einem typisch untypischen Coworking-Space eingenistet. Retro-Style en masse, heimelige Beleuchtung, lauschige Ecken zum Brainstormen und eine Handvoll Whiteboards, die mit diversen, möglicherweise sinnstiftenden Zukunftsvisionen für die Autoindustrie bemalt sind. Irgendwann demnächst sollen hier 80 oder vielleicht sogar 100 Mitarbeiter herumwuseln, erzählt man. Derzeit sind es zwölf. Warum leistet sich Porsche überhaupt einen solchen Außenposten?
Porsche ist nicht das erste Unternehmen, das sich ein Standbein im Silicon Valley schafft. Wie könnt ihr glaubhaft darlegen, dass ihr hier mehr wollt als auf euch aufmerksam machen?
Für uns ist der Standort in Santa Clara nicht irgendein Feigenblatt oder eine Werbeaktion, sondern ganz konkretes Business. Das Büro ergänzt, was wir bei Porsche in Zuffenhausen und Weissach (Entwicklungszentrum, d. Red.) machen. Es ist einfach ein tolles Element außerhalb des Unternehmens. Wir wollen den Kontakt zur Tech-Branche hier im Silicon Valley vertiefen. In Berlin sind wir ja schon vertreten, auch in Tel Aviv. Und künftig wollen wir auch nach China gehen. Die ersten Anwendungen werden jetzt fertig, die wir dort entwickelt haben.
Worum geht es euch konkret?
Um Scouting, also darum, zu schauen, ob es interessante neue Technologien gibt, die wir nutzen können. Außerdem wollen wir gute neue Leute für das Unternehmen Porsche gewinnen. Genauso geht es um Venturing sowie um neue Partnerschaften. Wir wollen Strategien, Visionen entwickeln. Und das gelingt einfach besser, wenn ich nah dran bin an einer Community, die an solchen Ideen strickt.
Ihr seid jetzt seit ungefähr einem halben Jahr hier vertreten. Habt ihr schon Erfolge zu vermelden?
Der Chef von Porsche Digital, Thilo Koslowski, ist seit 20 Jahren im Silicon Valley daheim. Er ist hier bestens verdrahtet. Das ist eine gute Basis. Natürlich ist schon einiges passiert: Wir haben beispielsweise eine App entwickelt, mit der man virtuell das Porsche-Museum in Zuffenhausen besuchen kann. Dieses Konzept übertragen wir jetzt: Von Zuhause aus sollen sich unsere Kunden künftig bei ihrem Händler einklicken können. Sie werden sich die Autos virtuell anschauen können, die er bei sich im Showroom hat. Und sich schon einmal überlegen können, welches Fahrzeug sie bestellen wollen und in welcher Konfiguration. Für uns ist wichtig, dass wir eine Verbindung zwischen unseren Autos und dem schaffen, was wir um die Fahrzeuge herum entwickeln.
Connectivity …
Genau. Ein Bereich unserer Digitalisierungsstrategie ist „Produkte und Services“. Die Porsche Digital GmbH, zu der auch der neue Standort im Silicon Valley gehört, legt den Fokus auf Services. Um Produkte geht es hingegen traditionell in den Entwicklungsbereichen. Als zweiten Schwerpunkt haben wir „Handel und Kunde“. Auch hier sind Applikationen denkbar, die Porsche Digital anstößt. Der dritte Sektor sind Unternehmensprozesse, mit diesen ist unser Digital Lab in Berlin betraut. Der Bereich „Mensch und Kultur“ betrifft wiederum das ganze Unternehmen. Die digitale Transformation durchzieht alle Bereiche. Wir nehmen das Thema ernst.
Auto mit Over-the-Air-Update
Ist Software eigentlich auch für einen Autohersteller die neue Hardware?
Die Software wird in jedem Fall eine größere Rolle spielen als bisher. Sie bietet ganz einfach ganz neue Möglichkeiten. Die Hardware dagegen wird auch in Zukunft ähnliche Zyklen wie heute haben. Bei der Software wird es schnellere Aktualisierungen für das Fahrzeug geben, entweder mit einem kompletten Software-Update beim Händler oder per Over-the-Air-Update. Es wird also in etwa so sein wie heute mit den Smartphones. Über Nacht wird das Auto dann einfach mal schnell aktualisiert.
Gibt es schon ein Update zu eurem mit dem Medienkonzern Axel Springer geplanten Accelerator?
Wir haben ja erst vor ein paar Tagen bekanntgegeben, dass wir einen gemeinsamen Accelerator gründen wollen. Jetzt warten wir noch auf das Go vom Bundeskartellamt. Im Frühling soll es dann richtig losgehen.
Welches Ziel genau verfolgt ihr mit diesem Joint-Venture?
Es soll sich um Startups in einer ganz frühen Phase kümmern. Wir suchen junge Unternehmen, bei deren Ideen wir uns vorstellen können, dass aus ihnen etwas Großes wird. Finden wir solche, unterstützen wir sie finanziell, mit Know-how, mit unserem Netzwerk, und wollen schauen, wie wir eine solche Idee für unser Unternehmen nutzen können.
Warum Springer?
Der Springer-Konzern kommt aus einer ganz anderen Branche. Das ist reizvoll. Dort hat man großen Wert auf die Partnerschaft mit uns gelegt. Wir sind zwei starke Marken, die sich überhaupt nicht ins Gehege kommen.
Wie wäre es mit Medieninhalten von Springer für Porsche-Fahrer?
Klar, das ist denkbar. Wenn ich mich künftig vom Stauassistenten durch den zähen Verkehr bewegen lasse, könnte ich währenddessen eine Zeitung lesen. Aber Medieninhalte sind beim jetzt geplanten Joint-Venture nicht der Fokus.
Zu deinem Amtsantritt 2015 gab es von einem Kollegen Vorschusslorbeeren. Du seist für Porsche „der Vorbote einer neuen Ära“, hieß es …
Das müssen andere beurteilen. Ich habe mich als CEO von Porsche nicht verändert, sondern bin die Person geblieben, die ich vorher war. Ich gehe mit den Menschen um mich herum genauso um, wie ich das immer getan habe. Ich habe viele Stationen im Konzern durchlaufen. Für mich macht es keinen Unterschied, ob ich mit meinen Kollegen in der Produktionslinie spreche oder mit einem Vorstand. Für mich ist wichtig, jeden Menschen wie einen Menschen zu behandeln. Und ich behandle jeden so, wie ich auch behandelt werden möchte. Das ist meine Maxime, und mit der bin ich immer gut gefahren.
Vielen Dank für das Gespräch, Oliver.
Disclosure: Die Reise unseres Autors zur Automobility LA wurde von Porsche finanziert. Einfluss auf die Berichterstattung hat das nicht.