System am Anschlag: Amazon und die Lagerlogistik bereiten Händlern Probleme
Amazon hat ein Problem – ein Luxusproblem sozusagen. Der Handelsriese ist zu groß geworden und der ohnehin schon große Boom mit immer neuen Rekordzahlen wurde durch die Pandemie noch verstärkt. So berichten uns Händler übereinstimmend, dass der Umgang mit der Logistik immer mehr zur Herausforderung werde. War es in der Vergangenheit stets einfach, Ware in großem Stil über das Fulfillment bei Amazon zu vertreiben, kommt das Unternehmen inzwischen mit dem Einlagern kaum nach. Auch bei den Direktbestellungen, die dann Amazon selbst verkauft, würde das Unternehmen eher häufiger und dafür kleinere Stückzahlen bei Herstellern anfordern, berichtet ein Hersteller.
Amazon habe aber, so hat des Nils Zündorf, E-Commerce-Spezialist beim Beratungshaus Factor-a, bei zahlreichen Kunden beobachtet, in den ersten Monaten des Jahres bei einzelnen Kunden extrem viel bestellt, sodass insbesondere zum Prime Day viele Händler nicht ausreichend dort für das Fulifillment-Geschäft Ware einlagern konnten. Während bei Amazon der zeitigen Lieferung an den Endkunden offenbar noch höhere Priorität beigemessen wird als etwa vor zwei Jahren, werde es für Hersteller und Händler zunehmend schwieriger, die Ware innerhalb von Europa verteilt zu bekommen.
Seller und Hersteller brauchen mehr eigene Zwischenlogistik
Schwierig für viele Händler – das bestätigten uns mehrere Händler unterschiedlicher Größe – sei es gerade auch, ausreichend Ware bei Amazon in die Lager stellen zu können. Amazon habe offenbar an den grundlegenden Prioritäten einiges geändert. „Hersteller konnten früher Container aus Fernost nach der Qualitätskontrolle einfach zu Amazon stellen. Amazon baut inzwischen immer mehr dahingehend um, nicht das mittelfristige Lager zu sein, sondern nur noch das schnell umschlagende Endlager.“ Dadurch haben die Hersteller und Seller das Problem, dass sie sich wieder mehr um eigene Zwischenlogistik kümmern müssten (ähnlich wie dies schon mal kurzfristig zu Beginn der Pandemie der Fall war).
Auch dauere es oft Wochen, bis sich Ware wieder auslagern ließe, erklärt Zündorf. „Gerade bei den Produkten, die sehr viel nachgefragt werden, sind die Waren oft nicht verfügbar, andererseits sind oft noch Produkte im Lager, die den knappen Platz blockieren.“ Daher motiviert Amazon offenbar, so beobachten es die Handelsexperten, Händler und Hersteller immer öfter dazu, mithilfe der eigenen Lieferlogistik als Prime direkt zu versenden – unter den üblichen strikten Regelungen und mit den kurzen Lieferfristen, die auch am Wochenende bei 24 Stunden liegen. Für Unternehmen ist das dennoch eine Chance, da das Geschäft skaliert und man das Prime-übliche Vertrauen auch als Marketplace-Händler genießt.
Amazon kann laut eigener Aussage diese Beobachtungen nicht nachvollziehen: „Unser Engagement für unsere Verkaufspartner war noch nie so stark wie heute, und ihre Produkte machen inzwischen mehr als 60 Prozent des Bestands in unserem europäischen Logistiknetzwerk aus“, erklärt ein Unternehmenssprecher. Insgesamt orchestriere das Unternehmen 60 Logistikzentren mit mehr als 135.000 Mitarbeitenden europaweit. „Da wir weiterhin sehen, dass Verkaufspartner das Versand durch Amazon-Programm stark in Anspruch nehmen, verbessern wir die Lagereffizienz. So helfen wir sicherzustellen, dass Verkäufer die größtmögliche Produktauswahl anbieten können.”
Gibt es 2021 einen zusätzlichen Prime Day?
Und dann ist da noch der Prime Day, der in diesem Jahr zwar wieder erfolgreich war, von den Angeboten vieler Hersteller und Händler aber nicht überzeugen konnte: Auslaufmodelle, Vorjahresware an vielen Stellen – und selbst bei den Amazon-eigenen Smartspeakern und Technikprodukten auf Alexa-Basis teilweise Engpässe und längere Wartezeiten bei der Lieferung. In den nächsten Monaten könnte es, so befürchtet es ein Berater, der E-Commerce-Händler unterstützt, wohl für die Unternehmen eher schwieriger werden, gerade im Bereich ITK und Unterhaltungselektronik die gewünschte Ware in größerer Stückzahl zu bekommen. Probleme mit den Lieferketten aus den letzten Monaten haben hier auch mittelfristig noch Auswirkungen und die Chipknappheit wird uns wohl auch noch bis ins nächste Jahr begleiten. Hinzu kommen für viele Branchen erhöhte Produktions- und Frachtkosten aus Asien sowie erhöhte Materialkosten aufgrund von Verteilungsproblemen.
„Die Cyberweek und der Black Friday könnten für Amazon, aber auch für die ganze Branche, zu einer großen logistischen Herausforderung werden“, befürchtet Factor-a. Zündof glaubt, dass trotz des hohen Stellenwertes, den die westeuropäischen und hier besonders der deutsche Markt bei Amazon genießen, der US-Markt bei den Amazon-eigenen Produkten bevorzugt werden könnte. „Amazon steht gerade massiv unter Druck und es ist nicht auszuschließen, dass Amazon noch einmal, wie schon im vergangenen Jahr, einen Prime Day im Oktober zwischenschiebt.“ Dieser könnte, so glaubt Zündorf, dazu beitragen, dass das Vorweihnachtsgeschäft noch früher eingeläutet wird und dadurch immerhin etwas entzerrt würde.