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Ende von Paragraf 219a wird nicht zu Abtreibungswerbebannern führen

Bei der Diskussion um Paragraf 219a befürchte viele Menschen, dass es dann aktive Werbung für Schwangerschaftsabbrüche geben könnte.  Expert:innen halten die Sorge für unbegründet.

7 Min. Lesezeit
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Die Aufhebung des Roe-versus-Wade-Urteils kann durchaus Auswirkungen auf die Werbeplattformen in Deutschland haben. (Foto: Jim Brown Photography/Shutterstock)


Ein Argument in der Diskussion um den Paragrafen 219a war: Der Wegfall ermögliche großflächige Werbung für Schwangerschaftsabbrüche. Als würden Influencer:innen demnächst 15-Prozent-Codes für Abtreibungen verwenden. Das vermeintliche Argument wird auch von Politiker:innen gern verwendet: Andrea Lindholz, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, spricht hinsichtlich Paragraf 219a nicht von Informationen, sondern von Werbung aufgrund von kommerziellen Interessen der Mediziner:innen. Wird der Wegfall von Paragraf 219a zu Abtreibungswerbung führen? Wir haben uns bei Fachanwält:innen, Werbeplattformen, Frauenärzt:innen und Agenturen umgehört.

Wo ist die Grenze zwischen Werbung und Information?

Obwohl Paragraf 219a bisher „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ verbietet, geht es bei der Debatte nicht um klassische Werbung. Als Werbung gelten laut Bundesregierung schon „ausführliche Informationen über verschiedene Methoden des Schwangerschaftsabbruchs sowie die damit jeweils verbundenen Risiken“. Und es geht exakt darum: ausführliche Informationen über Wege und Risiken, ungewollte oder potenziell gefährliche Schwangerschaften abzubrechen. Der Gegenstand sind nicht Werbeformate wie Displaybanner oder TV-Spots und nicht besonders attraktiv gestaltete Produktseiten, die zum Kauf anregen sollen. Der Bundesjustizminister Marco Buschmann sagt dazu: „Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass ausgerechnet Ärztinnen und Ärzte, die selbst Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und damit am besten sachlich informieren können, nach der derzeitigen Rechtslage eine Strafverfolgung befürchten müssen, wenn sie Informationen zur Verfügung stellen.“ 

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Tendenziell sollten auch Dienstleistungs- und Produktseiten kritisch betrachtet werden. Immerhin werden sie möglichst attraktiv gestaltet, um von einem Kauf zu überzeugen. Allerdings ist das bei medizinischen Eingriffen etwas schwieriger, weil es meist nicht um optionale Handlungen geht, sondern um die Grundversorgung. Dagegen sind andere kritische Eingriffe, beispielsweise in der Regel rein ästhetisch-chirurgische Eingriffe wie Schamlippenreduktionen, vollkommen frei von jeglicher Regulierung bei den Leistungsbeschreibungen. So gibt es durchaus Frauenarztpraxen, die derartige operative Eingriffe auf ihren Seiten plump damit bewerben, dass sie zu einem besseren Selbstbewusstsein führten. Dementsprechend müsste insgesamt über die Gestaltung medizinischer Leistungsseiten gesprochen werden.

1. Die Rechtslage

Der Paragraf 219a befand sich im Strafgesetzbuch (StGB). Es sind aber noch weitere gesetzliche Grundlagen relevant: das Werberecht und das ärztliche Berufsrecht. Nur weil das Strafgesetzbuch Werbung theoretisch erlauben würde, heißt das nicht, dass alle anderen rechtliche Rahmenbedingungen das ebenfalls zulassen.

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Niklas Mühleis ist Rechtsanwalt bei Heidrich Rechtsanwälte in Hannover. Schwerpunkte der Kanzlei sind unter anderem Internetrecht, Markenrecht und Marketingrecht. Er sagt:

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„Zwar ist die Strafbarkeit von Werbung für Schwangerschaftsabbrüche weggefallen, es gibt aber immer noch weitgehende berufsrechtliche Beschränkungen für Werbung von Ärzt:innen. Diese sehen insbesondere vor, dass derartige Werbung nicht ‚marktschreierisch‘ oder anpreisend daherkommt. Verboten ist es zum Beispiel, mit Superlativen oder besonders herausgehobenen Preisen nach außen zu treten. Auch Suchmaschinenwerbung, Displaybanner oder Influencer:innenwerbung sind eher schwer umsetzbar.“

Unproblematisch seien sachliche Informationen über die Praxis und ihre Leistungen: „Hierzu gehört nach der Abschaffung des Paragrafen 219a StGB dann auch die Information, dass der Arzt/die Ärztin Schwangerschaftsabbrüche anbietet. Auch sollte nichts gegen medizinische Informationen über die Durchführung und die Folgen eines solchen Eingriffs sprechen.“

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Laut Mühleis ist das ärztliche Berufsrecht auch streng genug, um eine Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu vermeiden – ein neues Gesetz oder andere Anpassungen seien nicht nötig.

2. Die Plattformen

Neben der Gesetzeslage sind Marketer:innen auch davon abhängig, dass die Werbeplattformen ihre Botschaften überhaupt ausspielen. In den Werberichtlinien der Plattformen gibt es aber Einschränkungen, die strenger sein können als die gesetzlichen Vorgaben in einzelnen Ländern.

Aktuell sind Anzeigen zu Abtreibung laut den Google-Ads-Werberichtlinien verboten, auch bei Tiktok ist das als unpassende Geschäftspraktik nicht zu bewerben. Bei Snap werden Schwangerschaftsabbrüche als „problematisches Thema“ eingestuft und unterliegen daher strengen Anforderungen. Neben gesetzlichen Bestimmungen spielt hier auch Transparenz eine große Rolle. Dementsprechend war Werbung bisher verboten und bleibt aufgrund des ärztlichen Berufsrechts auch weiterhin verboten.

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Dazu kommt die Aufhebung des Roe-versus-Wade-Urteils in den USA: Die Meta-Plattformen haben 2022 sehr radikal alle möglichen Inhalte zur Pille danach gelöscht oder mit Labels versehen, die darauf hinweisen, dass die Inhalte gegen die Richtlinien in Bezug auf Waffen und andere regulierte Waren verstoßen. Während die Werbeplattformen regionale Gesetze einhalten, müssen auch sie grundlegend festlegen: Wo hört Information auf, wo beginnt Werbung? Solche Grundsatzentscheidungen haben überregionale Auswirkungen.

Ob sich bei den Plattformen etwas ändern wird, ist unklar. So erwidert Google auf unsere Anfrage: „Wir entwickeln regelmäßig neue Richtlinien und erweitern bestehende Richtlinien beziehungsweise nehmen bei Bedarf Anpassungen an ihnen vor, um den Missbrauch auf unseren Plattformen anzugehen und einzudämmen.“ Eine Snap-Sprecherin sagt: „ Unsere Werberichtlinien erfordern die Einhaltung der lokalen Gesetze. Wir prüfen die jüngste Entscheidung und ihre Auswirkungen auf unsere Werberichtlinien.“ Tiktok und Meta haben auf die t3n-Anfragen nicht reagiert.

3. Die Agenturen

Agenturen übernehmen in der Regel größere Kampagnen oder technische Aufgaben wie SEO. Die t3n-Anfragen ergeben, dass viele Agenturen nicht vorbereitet sind und nach intensiven Diskussionen keine konkreten Aussagen zu diesem sensiblen Thema treffen wollen oder können. Auch große und namhaften Agenturen sind nicht vorbereitet – sehen dafür aber auch keine Notwendigkeit. Es gehe immerhin bei der Streichung von Paragraf 219a eben nicht um Werbung, sondern um das Recht von Ärzt:innen, zu informieren. Da auch nach der Streichung keine großflächige Werbung erlaubt sein wird, wird es bei diesen Agenturen auch in der Zukunft nicht Anfragen nach Werbefilmen oder Plakaten für Schwangerschaftsabbrüche regnen.

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Anders sieht es bei der Suchmaschinenoptimierung aus. Informationen müssen natürlich gut auffindbar sein. Eine SEO-Agentur äußert sich kritisch, weil auch SEO letztlich zu einer Conversion-Optimierung beitrage. Neben der Seriosität der Kund:innen käme es auch darauf an, wie sich das Team mit den Anfragen fühle. Auch Christian Kunze von SEO Südwest würde eine Anfrage für die Optimierung von Inhalten zu Schwangerschaftsabbrüchen im Einzelfall entscheiden. Eine Richtlinie gebe es nicht. Content wie Blogartikel würde Kunze für Kund:innen nur erstellen, wenn es der Aufklärung dient und in verantwortungsvollem Kontext erscheint.

Sabrina Schultjan, Head of Content bei Suchhelden

Sabrina Schultjan von Suchhelden am Schreibtisch, umgeben von fliegenden Papieren

Sabrina Schultjan, Head of Content bei Suchhelden. (Foto: Suchhelden)

„Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, dass jeder Mensch das Recht hat, über den eigenen Körper zu entscheiden. Deshalb sollte jede:r Arzt/Ärztin die Patient:innen vollumfänglich informieren können. Anfragen würden wir auf jeden Fall annehmen. Bedingungen und Grenzen zu definieren finden wir anmaßend – wir sind eine SEO-Agentur, keine Ärzt:innen. Schwangerschaftsabbrüche sind sehr individuell und leider extrem schambehaftet. Sich darüber zu informieren ist unserer Meinung nach ein Grundrecht. Deshalb, finden wir, braucht es Informationen dazu im Netz. Und zwar so niedrigschwellig und barrierefrei, wie es geht.

Klar würden wir auch Content erstellen! Contenterstellung gehört bei uns zu jeder SEO-Strategie. Hierfür lassen wir uns im ersten Schritt von Fachleuten briefen. Danach verpacken wir die Informationen in gut lesbare, strukturierte Texte. Auch kurze Erklärfilme könnten wir uns zu diesem Thema vorstellen – Videos können Informationen noch einfacher vermitteln als Text.“

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Stanislaw Dell, Team Lead SEO bei MSO digital

Stanislaw Dell, fotografiert von Nicky Seidenglanz

Stanislaw Dell, Team Lead SEO bei MSO digital. (Foto: Nicky Seidenglanz)

„Wir sind der Überzeugung, dass es sinnvoll und wichtig ist, dass Frauen die Möglichkeit erhalten, sich zu dem Thema unabhängig und umfangreich zu informieren. Unter der Prämisse einer neutralen, medizinisch und rechtlich konformen Perspektive können wir grundsätzlich bejahen, Anfragen zur SEO-Betreuung von Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen anzunehmen und selbst Content für Kund:innen zu dem Thema zu erstellen.

Es bedarf im Falle einer Anfrage zunächst einer Analyse, um zu prüfen, inwiefern die Anfrage unseren Werten und unserer Moral als Unternehmen entspricht. Denn durch eine Unterstützung mit gezielten SEO-Maßnahmen verhelfen wir unseren Kund:innen zu einem besseren Ranking, Sichtbarkeit in der Zielgruppe und damit zu mehr Erfolg. Daher ist es – insbesondere bei einem so sensiblen Thema – umso wichtiger, sicherzustellen, dass sowohl die Inhalte als auch der Auftraggeber vertrauenswürdig sind.“

4. Die Frauenärzt:innen

Zuletzt gibt es den Faktor derjenigen, die die Werbung schalten würden: Frauenärzt:innen. Antje Elfers ist Frauenärztin in Dresden. Bislang musste sie die Aufklärung ausschließlich mündlich vornehmen: „Bisher habe ich mir immer ausreichend Zeit für unsere Patientinnen genommen um beide Methoden des Schwangerschaftsabbruchs mit ihren Vor- und Nachteilen zu besprechen und uns dann gemeinsam für eine Methode zu entscheiden.“ Sie habe vermieden, Informationen auf die Website zu stellen. Mit dem Wegfall von Paragraf 219a wolle sie das aber in naher Zukunft ändern. „Jedoch werde ich auch in Zukunft keine Werbung im eigentlichen Sinn machen.“

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Bedeuten mehr Informationen auch mehr Schwangerschaftsabbrüche?

Elfers verneint das entschieden: „Meiner Meinung nach wird sich die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche durch den verbesserten Zugang zu Informationen nicht erhöhen. Aber die Frauen fühlen sich besser informiert und vorbereitet und können beim Arztgespräch auch gezieltere Fragen stellen. Keine Frau wird sich leichtfertig für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, und das wird sich auch durch den Wegfall von Paragraf 219a nicht ändern.“

Fazit: Die Kirche im Dorf lassen!

Der Wegfall von Paragraf 219a bedeutet keinesfalls Displaywerbung und 2-für-1-Angebote für Schwangerschaftsabbrüche. Mit dem Wegfall werden lediglich Ärzt:innen ermächtigt, die von ihnen durchgeführten Leistungen zu beschreiben wie alle anderen Leistungen auch. Auf der anderen Seite haben Schwangere die Chance, informiert eine Entscheidung zu treffen. Dazu ist es wichtig, dass solche Informationen nicht nur für den Akutfall relevant sind. Im Idealfall können sich alle, auch potenzielle Väter, jederzeit selbst informieren, um in der Notsituation nicht auch noch zusätzlich mit einer Wissenslücke konfrontiert zu sein. Dazu hilft es, Ärzt:innen kritische Fragen zum Vorgang stellen zu können – Stichwort Zweitmeinung.

Was nun allerdings diskutiert werden muss, sind die Daten, die aus dem Besuch der Informationsseiten entstehen. Gibt es keine Inhalte zu Schwangerschaftsabbrüchen, gibt es auch keine Daten darüber, welche Menschen sie sich wie lang ansehen. Alle Beteiligten müssen sicherstellen, dass keine oder so wenig Daten wie möglich erhoben werden und, wenn welche vorliegen, dass diese auf keinen Fall zu Werbezwecken verwendet werden.

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