General Motors Elektrooffensive: Probefahrt mit Cadillac Lyriq und Hummer EV
Der General Motors Milford Proving Ground im Bundesstaat Michigan wurde 1924 eröffnet – und war damit das erste dezidierte Testgelände der Automobilindustrie. Das 16 Quadratkilometer große Gelände beherbergt über 240 Kilometer an Straßeninfrastruktur – angefangen bei grobem Gelände über befestigte Landstraßen bis hin zur Rennstrecke. Damit zählt der Milford Proving Ground bis heute zu den größten und umfangreichsten Testeinrichtungen für Fahrzeuge aller Art.
Und genau dort werden wir uns gleich auch den neuen Cadillac Lyriq und den Hummer EV anschauen. Bevor es so weit ist, geht es aber noch mit dem Cadillac Escalade auf den Highway. Was sofort auffällt: Die Zeiten, in denen man selbst teure amerikanische Fahrzeuge für ihre günstige Materialauswahl und deren Verarbeitung kritisieren konnte, sind vorbei. Im Escalade ist alles vom Feinsten – und von dem auf Android Automotive basierenden Infotainmentsystem könnte sich der ein oder andere deutsche Autobauer durchaus eine Scheibe abschneiden.
Das eigentlich Interessante ist aber die sogenannte Super-Cruise-Funktion, denn sie erlaubt es uns, auf dem Highway die Hände in den Schoß zu legen und uns zurückzulehnen. 15 Minuten lang übernimmt der Escalade für uns das Steuer, führt sogar Überholvorgänge eigenständig durch. Das klappt alles tadellos und ohne böse Überraschungen in Form von Phantombremsungen oder unkoordinierten Lenkbewegungen. Erst als wir den Highway verlassen, bittet uns das Fahrzeug wieder, das Steuer zu übernehmen.
Wir sind jetzt mit #SuperCruise im @Cadillac #Escalade auf dem Highway unterwegs. Weitestgehend autonom, sogar die Spurwechsel. Läuft offiziell aber noch als Level 2 und wäre in Deutschland so nicht erlaubt. #GMInternational @GM pic.twitter.com/2BMiZbpzSg
— Frank Feil (@frankfeil) July 26, 2022
Um Super Cruise zu ermöglichen, hat General Motors über 320.000-Highway-Kilometer in den USA und Kanada mittels Lidar-Mapping-Technologie erfasst. Wichtig zu wissen: Obwohl sich das alles schon sehr nach „autonomem Fahren“ anhört, zählt Super Cruise formell lediglich zum teilautomatisierten Fahren (Level 2). Deshalb darf man – anders als beispielsweise bei der Level-3-fähigen S-Klasse von Mercedes-Benz – während der Fahrt nicht aufs Smartphone schauen, und hierzulande wäre es mit dem System auch nicht erlaubt, die Hände länger als ein paar Sekunden vom Lenkrad zu nehmen. Dennoch macht Super Cruise deutlich, wie weit Konzerne wie General Motors auf dem Weg hin zum autonomen Fahren schon sind.
Cadillac Lyriq: Unterwegs im vollelektrischen Luxus-Crossover
Neben dem autonomen Fahren hat sich General Motors mit seinen Marken Cadillac, GMC und Chevrolet vor allem eines auf die Fahne geschrieben: die Elektromobilität. Über 35 Milliarden US-Dollar investiert der Konzern in entsprechende Technologien, um die Vision „einer Welt ohne Unfälle, Emissionen und Staus zu verwirklichen“. Bereits heute gibt es strategische Kooperationen mit dem norwegischen Startup Wind Catching Systems und dem südkoreanischen Konzern LG Energy Solution sowie eine Technologiepartnerschaft mit Honda.
Herausgekommen ist dabei unter anderem die komplett auf Elektromobilität ausgelegte Architektur Ultium, auf der auch der erste vollelektrische Cadillac basiert. Der fünf Meter lange Lyriq verfügt über eine 104-Kilowattstunden-Batterie und eine Ladeleistung von maximal 190 Kilowatt. Die Reichweite im amerikanischen EPA-Verbrauchszyklus gibt Cadillac mit rund 500 Kilometern an, WLTP-Werte sind bislang noch nicht bekannt.
Bei unserer Probefahrt präsentiert sich der Lyriq als überaus komfortables, bequemes und vor allem auch designverliebtes Elektro-Crossover mit offenem Raumkonzept und einem Kofferraumvolumen von stolzen 790 bis 1.720 Litern. Das Fahrwerk schluckt jede Unebenheit mit Bravour – und auch bei der Materialauswahl und Verarbeitungsqualität muss sich der Lyriq nicht vor den deutschen Premium-Marken verstecken. Ein weiteres Highlight ist das gestochen scharfe 33-Zoll-Display, in dessen Hintergrund Android Automotive läuft.
Auf Extreme bei der Leistung verzichtet Cadillac derweil. Das Basismodell für rund 60.000 Euro verfügt lediglich über einen Heckantrieb mit 340 PS und 440 Newtonmeter. Den Sprint von 0 auf 100 Kilometer pro Stunde absolviert das über 2,5 Tonnen schwere Fahrzeug damit in etwas mehr als sechs Sekunden. Das reicht für das entspannte Cruisen im Alltag vollkommen aus, im Elektroauto-Kontext beschert es dem Luxus-Crossover aber bestenfalls einen Platz im Mittelfeld.
Bislang ist der Cadillac Lyriq offiziell nur in Nordamerika erhältlich – und auch dort braucht man viel Geduld, da das Verkaufsvolumen für 2023 bereits vollständig ausgeschöpft ist. Dennoch ist davon auszugehen, dass Cadillac sein erstes Elektroauto früher oder später auch nach Europa bringen wird. Hier tritt der Lyriq dann in Konkurrenz zu Fahrzeugen wie dem Mercedes-Benz EQE SUV, dem BMW iX und dem Audi E-Tron. Passend dazu wird es ein Performance-Modell mit Dual-Motor und mehr als 500 PS geben.
Hummer EV: Elektroauto der Superlative
Während sich der Cadillac Lyriq betont zurückhaltend gibt, entschied man sich beim GMC Hummer EV für das exakte Gegenteil. Dessen Batterie verfügt über eine Kapazität von schier unglaublichen 212 Kilowattstunden – und damit diese zügig geladen werden kann, spendiert General Motors dem vollelektrischen Hummer eine Ladeleistung von 350 Kilowatt. Die drei verbauten E-Motoren verfügen über insgesamt 1.000 PS und 1.620 Newtonmeter Drehmoment. Trotz eines Gesamtgewichts von für deutsche Verhältnisse monströsen 4,3 Tonnen, braucht der Hummer EV damit lediglich 3,5 Sekunden von 0 auf 100 Kilometer pro Stunde. Zum Vergleich: Ein Porsche Taycan GTS braucht 3,7 Sekunden.
Dass der Hummer EV kein Auto ist, mit dem man seine Kinder in Berlin Mitte von der Kita abholt, steht außer Frage. Und darum ging es bei der Entwicklung dieses Fahrzeugs auch gar nicht. Im Prinzip zeigt General Motors mit dem Hummer EV, was mit einem Elektroantrieb so alles möglich ist. Der Koloss steckt voller technischer Innovationen, die die Grundlage für die weiteren vollelektrischen Modelle des Konzerns bilden.
Gleichzeitig ist der Hummer EV das derzeit wohl geländegängigste Elektroauto der Welt. Trotz einer Länge von 5,50 Metern ist er überaus wendig und sogar dazu in der Lage, den schwierigsten Offroad-Parcours der Welt, den Rubicon Trail in Kalifornien, zu meistern. Dafür haben sich die Ingenieure so einiges einfallen lassen: Acht Kameras liefern 18 unterschiedliche Bilder auf das Display im Innenraum, sogar vom Unterboden. Letzteres ist beispielsweise beim Überwinden größerer Felsen wichtig. Bei Bedarf kann das Luftfahrwerk den Hummer EV zudem um ganze 15 Zentimeter anheben. Eine weitere Besonderheit ist der „Crabwalk“. Ist dieser aktiviert, schlagen Vorder- und Hinterräder beim Lenken in die gleiche Richtung ein, wodurch der Geländewagen – wie eine Krabbe – dazu in der Lage ist, parallel seitwärts zu fahren.
Dass der Hummer EV trotz 212-Kilowattstunden-Akku „nur“ rund 560 Kilometer weit kommt, liegt am Verbrauch, der – ganz wie bei seinen Vorgängern mit Verbrennungsmotor – enorm ist. Gute 36 Kilowattstunden auf 100 Kilometer zieht der 1.000 PS starke Antrieb aus der Batterie.
Aber wenn man ehrlich ist, spielt das bei einem Fahrzeug in dieser Kategorie auch nicht wirklich eine Rolle. Das belegen auch die über 70.000 Reservierungen, die für die 112.000 Dollar teure „Edition 1“ bereits eingegangen sind.
General Motors setzt auf Android Automotive
Beim Thema Software setzt General Motors derweil auf eine völlig andere Strategie als die deutschen Autobauer. Während hierzulande jeder sein eigenes Süppchen kocht und davon überzeugt ist, dass das Rad immer wieder neu erfunden werden muss, integriert General Motors in seine neueren Modelle Googles Android Automotive.
Das hat den großen Vorteil, dass die Fahrzeuge von Haus aus mit einer konkurrenzlos guten Navigation (Google Maps) und einem hervorragenden Sprachassistenten (Google Assistant) ausgestattet sind. Und da Google sein Handwerk versteht, läuft Android Automotive auf dem gigantischen Display des Cadillac Lyriq nicht nur flüssig, sondern sieht auch noch richtig gut aus.
Schon jetzt steht fest, dass die Software im Auto in den kommenden Jahren eine immer wichtigere Rolle spielen wird. Strategische Partnerschaften mit Techkonzernen wie Google können Autoherstellern wie General Motors einen entscheidenden Vorteil gegenüber ihren Mitbewerbern liefern. Dafür begeben sie sich aber natürlich auch in eine gewisse Abhängigkeit. Welche Strategie letztendlich die richtige ist, wird die Zukunft zeigen.