Neben dem aktuell boomenden Recommerce, also gebrauchten und wiederaufbereiteten Waren, glauben die von t3n befragten Expert:innen aber auch an andere Wege, um mehr Nachhaltigkeit zu realisieren. Dennis Looks, Senior Digital Strategy Consultant bei IBM ix, sieht eine wichtige Stellschraube bei den Retouren. Denn wenn Kundinnen und Kunden Waren vorab virtuell erleben können, reduziere sich das Retourenaufkommen immens. So könnte die Augmented-Reality-Technologie, der es gefühlt immer noch an wirklichen Best-Practice-Cases fehlt, auch zu mehr Nachhaltigkeit beitragen.
Überhaupt fragen die Kund:innen inzwischen deutlich häufiger nach, woher eine Ware kommt, wie sie produziert wurde und auch, wie nachhaltig sie recycelt werden kann. „Eine immer wichtigere Rolle spielt dabei die Transparenz bei Lieferengpässen, der Rohstoff-Nachverfolgung und dem Nachhaltigkeits-Fußabdruck – und das nicht nur mit Blick auf das Lieferkettengesetz, sondern auch und vor allem um das Vertrauen der Kund:innen zu gewinnen und weiter zu stärken“, weiß Xenia Giese, Industry Executive Retail & Consumer Goods bei Microsoft Deutschland.
Künstliche Intelligenz führt zu mehr Freiheit für die Media-Verantwortlichen
Künstliche Intelligenz ist bereits seit Jahren ein Thema, über das die Branche spricht. Doch jetzt kommen KI-gestützte Funktionen im operativen Geschäft an, beobachtet auch Eric Hinzpeter, Content Marketing Manager bei Smarketer, der nach eigenen Angaben größten reinen Google-Ads-Agentur in der DACH-Region. „Künstliche Intelligenz erobert mehr und mehr das Ad-Management. Algorithmen übernehmen beispielsweise auch in der Google-Werbung viele manuelle Tasks. Das entlastet den Anzeigenmanager, der dadurch mehr Freiraum in seiner Arbeit bekommt“, erklärt Hinzpeter. Gerade das sei aber auch wichtig, weil „holistische channel-übergreifende Kampagnen im Hinblick auf die auszuwertenden Daten immer anspruchsvoller“ würden. Also mehr Automatisierung im Ad-Management? Man weiß, dass das innerhalb den Agenturen viele beunruhigt, die befürchten, ihre jahrzehntealte Deutungshoheit gegenüber dem Anzeigenkunden an technische Dienstleister zu verlieren – und das nicht ohne Grund.
Doch auch Christoph Kull, Vice President & Managing Director Central Europe bei Adobe, ist sich sicher, dass die Automation von Marketing- und Vertriebsprozessen 2022 endgültig zum Standard und im globalen Wettbewerb unverzichtbar wird. „Je mehr Aufgaben Technologie übernimmt, desto stärker wird Kreativität zum entscheidenden Differentiator. Personalisierung in Echtzeit in Kombination mit herausragenden Inhalten sind der Schlüssel für Kund:inneninteresse und -bindung.“
Doch die künstliche Intelligenz bringt auch noch mehr Errungenschaften, wie etwa Jenny Gruner, Director Global Marketing beim Logistiker Hapag-Lloyd, feststellt. So machen zusätzliche Datenquellen die KI erst salonfähig, sorgen für deren Notwendigkeit. „Längst ist es schlicht unmöglich, die Informationsmassen und die Vielfalt der Datenquellen noch manuell auszuwerten.“ KI müsse also zwingend zum Einsatz kommen, wenn man datenbasiert arbeiten will. Besonders im Dialogmarketing stecke viel fruchtbarer Boden in Sachen Personalisierung, der bestellt werden will. „Mit der passenden automatisierten Kommunikation und personalisierten Websites ist es möglich, die Kundenbedürfnisse zur richtigen Zeit und am richtigen Ort zu bedienen.“ Auch das Hypertargeting, also die maßgeschneiderte Ansprache sehr granularer Zielgruppen, könne so vorangetrieben werden.
Jede Altersgruppe gezielt adressieren – wichtiger denn je
Bemerkenswert ist im Online-Marketing aber auch, dass immer mehr Unternehmen und Marken gezielt einzelne Alterssegmente ansprechen. Neben den älteren Zielgruppen, die erst im Corona-Winter die digitalen Kanäle schätzen lernten (und in Zukunft aber auch vermehrt online kaufen werden), sind das die jungen Kund:innen der Generation Z. Sie haben nicht nur ein anderes Mindset, sondern entscheiden sich auch nach anderen Kriterien für Marken, beobachten verschiedene Expert:innen. So sieht etwa auch Ralf Gladis vom Zahlungsdienstleister Computop ein sich änderndes Nutzungsverhalten im Konsum: „Mehr als andere Generationen wollen die Digital Natives sparen und Schulden vermeiden. Smartphone und kontaktloses Bezahlen gehören zu ihrem Leben – und Wallets mit Debitkarten, zum Beispiel die Girocard innerhalb von Apple Pay oder das neue Click-to-Pay, bringen beides unter einen Hut.“
Und ähnlich wie sich die Ansprache im Web selbst ändert, muss sich auch die Social-Media-Ansprache ändern. Denn Facebook ist hier längst nicht mehr das Maß aller Dinge, auch wenn viele Werber:innen das mit Rücksicht auf einen Teil ihrer Kund:innen nicht zitiert wissen wollen. Tiktok für die jüngeren Zielgruppen, Linkedin in der B2B-Landschaft und nicht zuletzt Instagram bei vielen bildorientierten Formaten. Bei Facebook, so formuliert es ein Werber, blieben nur noch die Ü50, die zwar prinzipiell interessant seien (siehe oben), aber dann auch nicht unbedingt über soziale Medien adressiert werden müssten.
Auch im Marketing: Ohne Daten ist fast alles nichts
Dass alles in der Werbung immer datengetriebener wird, hören wir seit mindestens zehn Jahren. Doch Simon Kramm, Geschäftsführer Strategie bei Wavemaker, dem zweitgrößten Mediaagentur-Netzwerk weltweit, glaubt, dass das Data-Driven-Marketing und die Zahl der Touchpoints gerade in Deutschland noch zunehmen kann. „Da ist jetzt mehr als zuvor eine saubere Integration aller Business-Bereiche notwendig, um Brüche in der Customer-Experience zu vermeiden. Der Treiber für diese Integration sind Daten, insbesondere First-Party-Daten.“
Das Dauerthema ist dabei das Ende der Cookie-basierten Werbeaussteuerung, ein Trend, den wir ja schon im vergangenen Jahr an dieser Stelle thematisiert haben. Und schaut man genauer hin, haben die werbetreibenden Unternehmen das zwangsweise (durch technologische Veränderungen bei Browserherstellern und Werbenetzwerken verursachte) Ende der Cookie-Ära noch immer nicht verdaut. Und irgendwie hat man immer mehr den Eindruck der Ratlosigkeit bei manchen Marketern in Unternehmen. Der Third-Party-Cookie wird uns zwar noch bis 2023 begleiten, aber trotzdem hat sein nahendes Ende 2021 schon vielerlei Innovationen hervorgebracht.
Alternativen gibt es reichlich: Eine Lösung, die vor allem Unternehmen fernab des Onlinehandels ermöglicht, Kund:innen zum Anmelden zu bringen, sind Login-Allianzen, die dem Nutzer /der Nutzerin einen Mehrwert bieten. Hierunter fällt beispielsweise die European Net ID Foundation. Deren CTO Achim Schlosser prophezeit, dass die Plattformen weiter versuchen werden, Funktionen rund um die personalisierte Werbung bei sich aufzuhängen. „Parallel dazu werden technologische Ansätze für First-Party-datenbasierte Modelle ein Kernthema sein, beispielsweise Data Clean Rooms und Marktplätze (Stichwort Data Use without Sharing), in Kombination mit deutlich stärkerem Einsatz von Machine-Learning basierten Ansätzen.“ Im Trend liegen hier sogenannte Privacy Enhancing Technologies.
Personalisierung bleibt das erklärte Ziel
Eine für viele unerwartete Renaissance erlebte dabei schon in diesem Jahr das Contextual-Advertising. Gleich mehrere Player kamen 2021 mit Lösungen auf den Markt, die dank neuer Technologie der Disziplin neues Leben einhauchten, nachdem sie aufgrund neuer gewinnbringender Ansätze im Behavioural-Targeting über die Jahre fast etwas ins Hintertreffen geraten war.
Auch Milko Malev, der als Director Communications & Media der Branchenkonferenz Dmexco regelmäßig mit vielen Unternehmen und Agenturen spricht, glaubt, dass 2022 zusätzliche Aufgaben im datenbasierten Marketing auf die Marketer zukommen. „Von First-Party-Data über datenbasiertes Storytelling bis hin zu Personalisierung entlang des gesamten Funnels: Unser Business lebt von Daten.“ Die Marketer müssten dabei ständig ihre Rolle überdenken und neu definieren. „Beispielsweise mit No-Code-Anwendungen, die Software-Entwicklung ohne Developer-Kenntnisse ermöglichen. Kreativität und Development rücken somit näher zusammen, Produktideen und Reaktionen auf Kunden-Feedback können schneller umgesetzt werden.“
Auch Mischa Rürup, Gründer und Geschäftsführer von Userscentrics, glaubt, dass First-Party-Daten die Third-Party-Daten beim Tracking ablösen. „Wir erwarten außerdem technologische Weiterentwicklungen bei der datenschutzkonformen Identifizierung von Nutzern und der Aufbereitung dieser Informationen für Werbezwecke. Denn Nutzergruppen mit ähnlichen Merkmalen (Kohorten) und umfeldbezogenes (kontextuelles) Tracking gelten zwar aktuell als die beste Lösung für das digitale Marketing ohne Cookies, haben aber Einschränkungen.“
First-Party-Daten bleiben zentrales Mittel der Advertiser
Die intelligente Kombination von Technologie und First-Party-Daten wird also mit Sicherheit eines der beherrschenden Themen 2022 sein, ist sich auch Corinna Hohenleitner, Managing Director DACH bei Criteo, sicher. „Einerseits weil First-Party-Daten eine signifikante Rolle dabei zukommt, wie Advertiser in Zukunft mit ihren Zielgruppen interagieren werden. Und andererseits, weil viele Commerce-Unternehmen auf wahren Schätzen an Online- wie Offline-Daten sitzen, die unheimlich viel Potenzial mit sich bringen, wenn sie aktiviert werden.“
In diesem Kontext werde die Marketingdisziplin Commerce-Media weiter wachsen, unter anderem mit ihrer Teildisziplin Retail-Media – also mit Platzierungen, über die Brands direkt auf Händlerseiten auf Basis deren Daten werben können. Andererseits würden, glaubt Hohenleitner, Commerce-Daten aber auch Kanäle wie Bewegtbild relevanter machen, was angesichts der steigenden Nutzung von Streaming-Angeboten von zentraler Bedeutung ist.
Auch Oliver Hülse, Managing Director CEE von Integral Ad Science, einem Ad-Verification-Dienstleister, sieht einen Trend hin zum Contextual-Targeting und zur Cookie-basierten Zielgruppenansprache, die ebenfalls mit den Veränderungen in der Browserwelt zu tun hat. „Für die digitale Werbebranche bedeutet dieser Meilenstein vor allem eines: Sie muss sich im kommenden Jahr mit Hochdruck auf ein Audience-Targeting ohne Third-Party-Cookies einstellen.“ Kontextbezogene Targeting-Lösungen, die semantische Technologien und die Klassifizierung von Emotionen für die Zielgruppenansprache nutzen, rückten vor diesem Hintergrund verstärkt in den Kampagnenfokus. Durch die kontextsensitive Ausspielung seien Werber in der Lage, die Mediaqualität ihrer Kampagnen ohne den Einsatz von Third-Party-Cookies zu erhöhen und ihre Markenbotschaften sichtbar, betrugsfrei und markensicher zu platzieren.
Privatsphäre bleibt auch für die Big Tech ein Thema
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, wie vehement die Deutschen inzwischen ihre Privatsphäre in der Werbung einfordern – und damit zum Vorbild in vielen Industrieländern geworden sind. Im Rahmen der Privacy-Enhancing-Technologies rücken der User und dessen Datensouveränität weiter in den Fokus der Werbeindustrie. Und so wächst der Regulierungsdruck auf Google, Facebook, Apple und Co, eine Entwicklung, die auch zu einem Umdenken in der Werbewirtschaft beigetragen hat. „Digital Responsibility wird immer mehr zum Thema für den gesamten Werbemarkt auf der Demand- und Supply-Side“, stellt Stefan Jäckel, Geschäftsführer von Emetriq, fest. „Darunter fällt zum einen der Bereich Sustainable Adtech, also nachhaltiges, umweltbewusstes Werben. In anderen Märkten wie UK gibt es bereits gezielte Angebote für Advertiser, nur über jene Anbieter und Kanäle Werbung zu buchen, die mit den eigenen Nachhaltigkeitsrichtlinien übereinstimmen.“ Ein neuer Ansatz hinsichtlich Brand-Safety – die Werbetreibenden verlangen es und die Agenturen müssen liefern. Zudem würden, so beobachtet Jäckel, immer mehr Mediaagenturen die Messung und das Ausgleichen des CO2-Fußabdrucks von Werbekampagnen anbieten. Advertiser werden also vermehrt klimaneutral, wenn nicht sogar klimapositiv, werben.
Kund:innenkommunikation, Kund:innen, usw. Wie kann man so etwas denken/schreiben???
Irgendwie hat man euch komplett gehirngewaschen, oder?