Die maximale Ladeleistung in Kilowatt sagt zu wenig über die tatsächliche Aufladegeschwindigkeit von Elektroautos aus. Daher hat die Unternehmensberatung P3 gängige Modelle getestet und einander gegenübergestellt. Neben der realen Ladegeschwindigkeit nahm sie auch den Verbrauch unter Einbezug der ADAC-Ecotest-Zahlen und die durchschnittliche Ladeleistung in Kilowatt unter die Lupe. Zudem wurde der eigene Ladeindex angepasst, der das Bewerten der Alltagstauglichkeit der Fahrzeuge vereinfachen soll.
EQS trotz 400-Volt-Netz vorne
Gleich die erste Überraschung bei der Bewertung der Ladegeschwindigkeit gab es auf dem ersten Platz: Die Luxuslimousine EQS 580 (Probefahrt) von Mercedes-Benz gewinnt den Vergleich trotz 400-Volt-Netz. Es war erwartet worden, dass ein Fahrzeug mit 800-Volt-Netz vorne landen würde. Der Mercedes lud in zehn Minuten 144 Kilometer Reichweite auf, mehr waren es nur beim Tesla Model 3 (149 Kilometer). Nach zwanzig Minuten hätte der Benz jedoch schon 266 Kilometer weit fahren können und verwies den Kalifornier somit auf Platz zwei (221 Kilometer). Knapp auf Platz drei landete der VW ID-3 Pro S mit einem Kilometer weniger. Der frühere Spitzenreiter Porsche Taycan S erreichte im Test nach 20 Minuten „nur“ 217 Kilometer und steht damit auf Rang vier. Alle Batterien besaßen zu Beginn der Messungen zehn Prozent Ladung. Die Kürzung des Zyklus von 20 auf 10 Prozent erklärt P3 damit, dass es mehr Ladepunkte gebe und daher mit weniger Puffer gefahren werden könne.
ID-3 mit dem niedrigsten Verbrauch
P3 will einen eigenen Index, den P3-Charging-Index, etablieren, um eine alltagsnähere Vergleichbarkeit von Elektroautos zu erreichen. Dafür teilt man die real nachgeladene Reichweite in 20 Minuten durch 300 Kilometer. Dazu muss man die reale Reichweite erfassen; das erreicht die Unternehmensberatung auf Basis der WLTP-Reichweiten kombiniert mit den Ergebnissen des ADAC Ecotests.
Der Sieger heißt hier VW ID-3 Pro S mit 15,9 Kilowattstunden pro 100 Kilometer. Der ADAC hatte einen neun Prozent höheren Verbrauch gemessen. Doch auch damit bleibt der Mercedes EQA 250 auf dem zweiten Platz: 17,7 Kilowattstunden beträgt sein Wert plus zwölf Prozent ADAC-Ergebnis. Auf Platz drei steht das Model 3 Long-Range von Tesla mit 16,6 Kilowattstunden. Hier maß der ADAC 21 Prozent mehr Verbrauch. 29 Prozent waren es gar beim EQS, der insgesamt nach WLTP 15,7 Kilowattstunden verbraucht und damit auf Platz vier steht. Die Luxuslimousine besitzt mit 107,8 Kilowattstunden den größten Akku im Testfeld.
Durchschnittliche Ladeleistung sehr unterschiedlich
Die Zahlen der Ladeleistung zeigen, dass der maximale Ladestrom wenig aussagekräftig ist. Die Ladekurve des Model 3 Long-Range etwa fällt steil ab, die des Audi E-Tron bleibt quasi durchgehend stabil. Den stärksten Abfall hat zwar der Porsche Taycan Turbo S zu verzeichnen – sie sinkt von 250 auf unter 100 Kilowatt –, aber bewegt sich im Durchschnitt auf höchstem Niveau. Anders sieht das beim Polestar 2 (Test) aus: Von etwa 125 sink sie unter 50 Kilowatt. In Durchschnitt siegt der Taycan mit 184 Kilowatt vor dem Mercedes EQS 580 mit 164 und dem Audi E-Tron 55 mit 146 Kilowatt. Das Ende der Tabelle bevölkern VW ID-4 Pro (102 Kilowatt), Polestar 2 LR (98 Kilowatt) und die Allrad-Version des Ford Mach-E LR.
Charging-Index entspricht Ladegeschwindigkeit
Die Beratungsgesellschaft stellt den Ergebnissen den Charging-Index beiseite und die Platzierungen stimmen mit der Ladegeschwindigkeit-Tabelle überein. P3 betont, bei einem Index von eins könne ein Elektroauto nachweislich in 20 Minuten 300 Kilometer aufladen. Nach dieser Kilometeranzahl empfehle sich sowieso eine kurze Fahrpause. P3 prognostiziert, dass die nächsten Fahrzeuge mit 800-Volt-Netz aus dem Stand in die Top fünf aufsteigen könnten. Namentlich nennt das Unternehmen Hyundai Ioniq 5, Kia EV6 und Audi E-Tron GT (Test).
Auch wenn der Vergleich weit realitätsnäher ausfällt als die rohen Angaben der Hersteller, bleiben einige Fragen unbeantwortet. Zum einen fehlen eine Menge Elektroautos, die da draußen herumfahren. Wie schneidet die aktuelle Version des Zoe von Renault ab? Wie viel verbraucht etwa der Hyundai Ioniq auf der alten Plattform, der Kona Electric? Stattdessen liest man Testergebnisse des EQS, der meines Wissens auch nur als Prototyp existiert. Zudem kommen andere Tester etwa zu dem Ergebnis, der ID-3 verbrauche mehr Strom als das Model 3. Bei Auto, Motor und Sport schlug der Hyundai Ioniq beide in dieser Kategorie, der ID-3 belegte den dritten Platz.
Trotz ein paar Ungereimtheiten bleibt P3 eine wichtige Quelle, um vor allem die Oberklassemodelle miteinander zu vergleichen.
Raimund Schesswendter