Xiaomi Mi Note 10 protzt mit Penta-Kamera und 108 Megapixeln
Mit einem großen Innovationssprung in Kamerabereich hat schon so mancher Herausforderer die Blicke auf sich gelenkt und den vermeintlich gesättigten Android-Markt aufgerollt. Xiaomi setzt seinen expansiven Kurs Richtung Deutschland fort und bringt neben dem Budget-Modell Redmi Note 8T mit dem Mi Note 10 nun einen aufsehenerregenden Fotospezialisten auf den Markt. Der Preis unterbietet den der etablierten Marken deutlich. Das in der oberen Mittelklasse angesiedelte Modell protzt mit fünf Kameraeinheiten auf der Rückseite, wobei eine davon wahnwitzige 108 Megapixel auflöst. Doch mit diesem Kamera-Highlight hat das Xiaomi Mi Note 10 sein Pulver noch nicht verschossen.
Xiaomi Mi Note 10 fotografiert mit bis zu 50-fachem Zoom
Die Fünf-Megapixel-Telekamera (f/2.0) des Xiaomi Mi Note 10 zoomt optisch fünffach und bei einer hybriden Kombination mit digitaler Bildverbesserung sogar zehnfach. Rein digital ist eine 50-fache Vergrößerung möglich. Einen derart hohen optischen Telezoombereich bieten immer noch wenige Smartphone-Modelle, etwa das Huawei P30 Pro (Test). Statt nur einer hat das Xiaomi-Modell zudem zwei Telekameras in petto. Reicht eine geringere Zoomstufe, steht eine Zwölf-Megapixel-Kamera (f/2.0) mit Zweifach-Tele zur Verfügung.
Den Standardweitwinkel von 82 Grad deckt die 108-Megapixel-Hauptkamera (f/1.69) ab. Eine so hohe Auflösung ist bisher nur bei herkömmlichen Profi-Kameras mit deutlich größeren Sensoren verfügbar. Wie der Smartphone-typische Winzigsensor im Xiaomi Mi Note 10 das Rauschverhalten der dicht gedrängten Pixel zu beherrschen vermag, wird ein Test zeigen. Standardmäßig ist der Output ohnehin auf 27 Megapixel reduziert, wobei das Gerät durch Pixelbinning vier Bildpunkte zu einem verrechnet und die Datei zur besseren Nachbearbeitung auch als RAW ausgibt. Zusätzlich ist diese Kamera auf vier Achsen optisch stabilisiert, sodass auch bei längerer Belichtungszeit Verwackler kein Thema sein sollten. Xiaomi hat den hochauflösenden Sensor vom Typ Isocell Bright HMX zusammen mit Samsung entwickelt – das weckt Erwartungen.
Die Penta-Kamera des Xiaomi Mi Note 10 komplettieren eine Ultraweitwinkel-Kamera (f/2.2, 117 Grad Sichtfeld, 20 Megapixel) sowie eine separate Makro-Kamera (zwei Megapixel). Mit letzterer lassen sich Objekte in einer Distanz von zwei bis zehn Zentimetern scharfstellen. Videos zeichnet das Smartphone mit allen fünf Kameras in maximal 4K bei 30 Bildern pro Sekunde auf.
Die Betriebseinstellungen der Kamera-App decken viele Trend-Modi ein. Dazu zählen ein Nachtmodus, eine Porträtmodus mit Bokeh-Simulation und Makro-Zeitlupen mit 960 Bildern pro Sekunde. Selfies lassen sich mit einer 32-Megapixel-Kamera (f/2.0) aufnehmen. Sie dient gleichzeitig als Sensor für Face Unlock, was mangels einer zweiten Kamera oder eines ToF-Sensors aber nicht als besonders sicher anzusehen ist.
Xiaomi Mi Note 10 ist Zoom-King bei DxOMark
Die Imaging-Experten von DxOMark haben die Kameraqualitäten des praktisch baugleichen Modells Xiaomi Mi CC9 Pro Premium Edition bereits getestet und für außerordentlich gut befunden. Mit einem Gesamtergebnis von 121 Punkten teilt sich das Xiaomi-Gerät den Spitzenplatz des Benchmarks mit dem bisherigen Champion Huawei Mate 30 Pro. Einen Rekordwert erzielte das Xiaomi-Smartphone im Teilbereich Zoom mit 109 Punkten. In der Kategorie Video verweist es die bisherigen Spitzenreiter Google Pixel 4 (Test) und Samsung Note 10+ (Test) mit dem bisher höchsten Punktwert von 102 auf die Plätze. Bokeh-Simulation und Nachtmodus schneiden ebenfalls sehr gut ab. Negativ fielen den Experten teils ausgefressene Lichter in Hochkontrastsituationen und in seltenen Fällen minimale Farbstiche fest.
Erste Eindrücke von der Kamera
Unser eigener erster Eindruck ist durchwachsen. Ein Motiv mit fünf verschiedenen Brennweiten zu fotografieren, ist äußerst praktisch. Allerdings genehmigt sich das Xiaomi Mi Note 10 nach jedem Foto eine spürbare Denkpause, um die Datei zu speichern. Ein Update behebt das hoffentlich. Spontan Gelegenheiten festzuhalten, ist so aber nur begrenzt möglich. Mit der Makro-Kamera können wir keine Nahaufnahmen schießen, die den offiziellen Pressebildern annähernd nah kommen. Kein Bokeh, keine formatfüllende Aufnahme. Liegt es an uns oder der Kamera? Wir prüfen das weiter. Außerdem wirkt die Farbwiedergabe auf dem OLED-Dissplay übertrieben. Im ausführlichen Test werden wir diesen Eindruck vertiefen.
Großes, aber nicht sehr helles 6,47-Zoll-Display
Das große Display mit 6,47-Zoll-Diagonale bietet viel Fläche, um die Fotoausbeute zu sichten. Geschwungene Ränder rechts und links, ein äußerst schmaler Rahmen, eine kleine Notch und ein sehr kompaktes Kinn sorgen für einen „grenzenlos“ anmutenden Seheindruck. Den Fingerabdrucksensor hat Xiaomi trendgemäß unter das Displayglas platziert, damit er weder hinten noch vorne den ebenmäßigen Look stört. Der Fingerabdrucksensor reagiert im ersten Test schnell und präzise.
Weil Xiaomi ein AMOLED-Panel verbaut hat, bietet es knackige Farbwiedergabe mit tiefem Schwarz. Bei der Fotodarstellung wirken die Farben aber im ersten Eindruck etwas zu kräftig angehoben.
Die Auflösung von FullHD+ (2.340 x 1.080 Pixel) ist klassentypisch. Besonders hell ist der Bildschirm aber nicht. Typischerweise leuchtet er mit bis zu 430 Nit, bei besonders heller Umgebung mit 600 Nit. An die strahlenden Stars der Branche wie etwa das Samsung Galaxy S10+ (Test) kommt Xiaomi nicht heran. Das Display bei moderatem Sonnenschein draußen abzulesen, fällt uns aber leicht. Als Always-On-Display konzipiert, zeigt der Bildschirm auch im Standby ausgewählte Informationen an.
Gehobene Rechenpower fürs Gaming
Unter der Haube kommt Qualcomms neuer Mittelklasse-SoC Snapdragon 730G zum Einsatz. Die 7er-Serie bringt von der Oberklasse bekannte Features wie Künstliche Intelligenz für Kameraaufgaben in erschwingliche Smartphones. Der Namenszusatz „G“ ist bei dieser Chip-Variante als Abkürzung für Gaming zu lesen. Denn die im Acht-Nanometer-Verfahren gefertigte Recheneinheit soll vor allem bei Spielen mit viel Leistung und sparsamen Energieverbrauch punkten. Für gehobene Grafikleistung steht dem Achtkern-Hauptprozessor Kryo 470 eine Adreno-618-GPU zur Seite. Der Arbeitsspeicher des SoC umfasst angemessene sechs Gigabyte RAM vom Typ LPDDR4x. Bei einer ansonsten baugleichen Version mit Pro-Namenszusatz sind sogar acht Gigabyte verfügbar.
Der Flashspeicher des Xiaomi Mi Note 10 fällt regulär mit 128 Gigabyte vom Typ UFS 2.1 zwar nicht klein aus. Wer viele Medien ablegt oder große Apps installiert, dürfte sich aber ärgern, dass sich der Speicher nicht durch eine Micro-SD-Karte erweitern lässt. Ist mehr Speicher nötig, empfiehlt sich auch hier der Griff zur sogenannten Pro-Version, die 256 Gigabyte an Bord hat.
Starker Akku trägt dick auf
Für genügend Energie bei ausgedehnten Fototouren und Gaming-Sessions soll im Xiaomi Mi Note 10 ein großzügiger Akku mit 5.260 Milliamperestunden sorgen. Nach Xiaomis internen und nicht weiter ausgeführten Berechnungen soll das eine Laufzeit von zwei Tagen ermöglichen. Wenn der Akku dann irgendwann doch einen Steckdosen-Stop einlegen muss, lässt er sich mit einem 30-Watt-Netzteil aus dem Lieferumfang schnell wiederaufladen.
Der üppige Energiespeicher nimmt viel Raum und Gewicht ein. Deshalb fällt auch das in Schwarz, Weiß oder Grün erhältliche Gehäuse des Xiaomi Mi Note 10 mit einem Gewicht von 208 Gramm und 9,68 Millimetern Dicke etwas stämmiger als üblich aus. Wir haben einen richtigen Brocken in der Hand! Ob das im Alltag stört oder unauffällig bleibt, prüfen wir im ausführlichen Praxistest. Immerhin lässt das etwas dickere Gehäuse noch genügend Spielraum, um neben einem USB-Typ-C-Anschluss auch einen für 3,5mm-Klinken unterzubringen.
MIUI 11 rückt Android in den Hintergrund
Angetrieben wird unser Testgerät von Android 9 – also nicht der aktuellen Version von Googles Betriebssystem. Ein Update auf Android 10 soll aber folgen, sobald Xiaomi sichergestellt hat, dass das jüngste Android auch auf neuen Geräten gut läuft.. Für andere, bereits erhältliche Modelle wie das Mi 9T Pro lässt sich die Aktualisierung auf Android 10 schon herunterladen.
Viel von Stock-Android ist auch gar nicht zu sehen. Xiaomis aktuelle Oberfläche MIUI 11 bekleidet das Betriebssystem sehr umfassend mit eigenen Bedienelementen und ergänzt es um Produktivitätsfunktionen. Dazu zählen Wireless Printing, eine von überall erreichbare To-Do-App für Aufgaben und Notizen, drahtloser Datentransfer von Handy zu Handy (Mi Share) sowie eine Viewer-App für Office-Dokumente. Das Always-On-Display informiert anstelle einer Notification-LED mit animierten Leuchtpunkten über neue Nachrichten und stellt die Uhr mit Kaleidoskop-Zifferblätter dynamisch dar. Auf den ersten Blick wirkt MIUI 11 rund und intuitiv. Unsere Alltagserfahrungen folgen im ausführlichen Test.
Preis und Verfügbarkeit
Das Xiaomi Mi Note 10 wird in Deutschland 549 Euro kosten. Eine Version mit mehr RAM (8 Gigabyte) und Flashspeicher (256 Gigabyte) wird Xiaomi als Mi Note 10 Pro vermarkten. Dessen Preis steigt auf 649 Euro. Das Mi Note 10 ist ab dem 11. November hierzulande bei den bekannten großen Händlern sowie O2 und Deutsche Telekom vorbestellbar. Beim Mi Note 10 Pro startet diese Phase zu einem noch ungenannten Zeitpunkt. Als Liefertermin für das Mi Note 10 nennt Amazon den 19. November. Xiaomi selbst äußerte sich dazu noch nicht.
Das Xiaomi Mi Note 10 ist nicht irgendein neues Android-Smartphone eines chinesischen Herstellers. Das vor allem im Fotobereich hochgerüstete Modell zeigt, wie viel Innovationspotenzial noch in der vermeintlich ausgereiften Technik steckt und welche Dynamik der Markt weiterhin zulässt. Ob Xiaomi das (Marketing-)Wunder von Huawei wiederholen kann und als hungriger Aktivposten am Establishment vorbeiziehen kann, bleibt abzuwarten. Ebenso wie Huawei vor ein paar Jahren steigt Xiaomi mit verführerisch niedrigen Preisen ein. Der Moment für das Vorpreschen ist günstig gewählt. Xiaomi profitiert davon, dass Huawei der amerikanische-chinesischen Handelsstreit schwächt, Samsung und Apple satt scheinen und OnePlus noch nicht stark genug ist.
Berti Kolbow-Lehradt